von Pierre Lévy, Paris
Natürlich stellten sowohl der französische Präsident als auch Angela Merkel bei der abschließenden Pressekonferenz demonstrativ eine freundschaftliche Gemeinsamkeit zur Schau. Doch der dabei angeschlagene Ton vermag niemanden zu täuschen. Im Zentrum der Unstimmigkeiten stehen dabei die europäischen Fragen.
Kurz nach seinem Wahlerfolg vom Vorjahr hatte der junge Held aller Befürworter der europäischen Integration zunächst in Athen und später an der Sorbonne "historische" Grundsatzreden gehalten, die eine Erneuerung der Europäischen Union versprachen. Das Duo Frankreich-Deutschland sollte als Motor dieser ehrgeizigen Umwandlung dienen, und zwar mittels des folgenden Deals: Frankreich würde zusätzliche Haushaltskürzungen durchführen und die von Brüssel geforderten Reformen (Arbeitsrechtreform, Bahnreform etc.) beschleunigen, und Deutschland würde im Gegenzug die noch engere Partnerschaft akzeptieren, die vom Elysée zur Erneuerung der EU vorgeschlagen wurde.
Europäisches Abenteuer soll keine deutschen Blankoschecks voraussetzen
Sieben Monate später ist der französische Präsident die Zurückweisungen von deutscher Seite leid – insbesondere was die Reform der Eurozone anbelangt, die der Hausherr des Élysée-Palastes zum Eckpfeiler seiner europapolitischen Maßnahmen zu machen gedachte.
Hierzu hatte er mehrere Vorschläge unterbreitet. So zunächst die Ernennung eines "Euro-Finanzministers" sowie eines "Parlaments" für die Eurozone. Berlin legte umgehend ein doppeltes Veto ein.
Herr Macron besteht hingegen weiterhin mit Nachdruck darauf, ein "Eurobudget" zu etablieren, das mittlerweile jedoch auf die bescheidenere Bezeichnung "Haushaltskapazität" geschrumpft ist. Doch dass dieses vergemeinschaftete Geld weitgehend von der größten Wirtschaftsmacht stammen würde, missfällt den Granden in Berlin - ungeachtet aller europabegeisterten Rhetorik.
Die Kanzlerin ging dem Thema daher sanft aus dem Weg:
Es gibt natürlich immer auch unterschiedliche Ausgangspunkte der Meinungen von Deutschland und Frankreich. Wir brauchen Debatten, wir brauchen offene Debatten und wir brauchen zum Schluss auch die Fähigkeit zum Kompromiss.
Gleiches gilt für die Ablehnung des Projekts zur Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus [ESM, ein Fonds zur Rettung finanziell gefährdeter Staaten, mit der regelmäßig drastische Sparmaßnahmen und Einschnitte einhergehen] in einen Europäischen Währungsfonds, den die Kanzlerin von einer - äußerst unwahrscheinlichen - Reform der europäischen Verträge abhängig macht.
Unerwartete Obstruktion selbst gegen zuvor nicht umstrittene Projekte
Und selbst vorhergehende und einvernehmlichere Projekte wie die Vollendung der Europäischen Bankenunion werden warten müssen, wie Frau Merkel angedeutet hat. Das Fazit des Spiegel lautet: "Die europäische Initiative des französischen Präsidenten ist bereits nach sieben Monaten tot und begraben." Alexander Dobrindt hat sogar erklärt: "Ich habe überhaupt keine Veranlassung, Macrons persönliche Glücksgefühle zu meinem politischen Programm zu machen."
Zudem ist das Thema der "Eurozone" bei weitem nicht der einzige Knackpunkt. So nehmen die Meinungsverschiedenheiten zu vom Kohlenstoffpreis, den Steuerregeln für Internet-Riesen, griechischen Schulden bis hin zum Solo-Besuch Peter Altmaiers in Washington, ohne auch nur den Ärger der Kanzlerin bezüglich der EU-Abgeordneten zu erwähnen, die En Marche! gern der EVP wegschnappen würde. Und auch wenn Frau Merkel die Bombardierung Syriens, an der sich Frankreich beteiligt hat, unterstützte, hat sie sich wohl davor gehütet, selbst daran teilzunehmen.
In Paris ist man umso enttäuschter, als man die Entwicklung der politischen Situation in Berlin nicht vorausgesehen hatte: Die neue "Große" Koalition verfügt nur noch über eine knappe Mehrheit, die FDP liegt auf der Lauer und die AfD ist zur größten Oppositionsfraktion aufgestiegen. Im Kanzleramt ist man sich durchaus darüber im Klaren, dass all dies nicht gerade eine Liebe der Bürger zu EU widerspiegelt...
Auch nordeuropäische Länder wollen nicht die Zeche für Macrons Europatrunkenheit zahlen
Die Rückschläge Emmanuel Macrons (und Brüssels) sind jedoch nicht auf Deutschland beschränkt. Kurz vor der Tagung des Europäischen Rates im März, bei der das Thema verschoben wurde, hatten sich acht Mitgliedsstaaten - angeführt von den Niederlanden, mitgetragen von den skandinavischen und den baltischen Ländern - einer Reform der Eurozone widersetzt und auf der Einhaltung der bestehenden Regeln zur Haushaltsorthodoxie bestanden.
Mit anderen Worten könnte der Europäische Rat bereits Ende Juni den Hoffnungen Macrons in dieser Hinsicht ein Ende setzen. Bis dahin "werden wir mit Frankreich gemeinsame Lösungen finden", so Angela Merkel. Ein deutsch-französischer Ministerrat ist für den 19. Juni geplant. Doch es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Berlin bezüglich seiner roten Linien nachgeben könnte.
Das hat sich wahrscheinlich auch der Hausherr des Élysée-Palastes gedacht, als er am 17. April vor dem Europaparlament sprach. Er plädierte für den Aufbau einer "europäischen Souveränität" - eigentlich ein Oxymoron -, die "stärker ist als unsere eigene", und betonte die dringende Notwendigkeit, die EU in einem "Kontext, in dem eine Art europäischer Bürgerkrieg wieder auftaucht" und "nationale Egoismen" überhandnehmen, neu zu gründen.
In die Ode an die Freude, die am Abend seiner Wahl gespielt wurde, scheinen sich einige sehr schiefe Töne gemengt zu haben…