von Pierre Lévy, Paris
Die italienischen Wähler haben mit ihrer Stimmabgabe am 5. März drei kleine Erdbeben ausgelöst. Das erste ist das beeindruckende Ergebnis, das die vom Kabarettisten Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung, die oft als "populistisch" oder "gegen das System" qualifiziert wird, mit ihren 32 Prozent der Wahlstimmen einfahren konnte. Das zweite Beben besteht in der Niederlage der Demokratischen Partei (PD), die allgemein als "Mitte links" eingestuft wird.
Eine gewisse Analogie lässt sich, mit einigen Jahren Abstand, zwischen der PD und der im Jahr 2016 von Emmanuel Macron in Frankreich gegründeten Bewegung En Marche! feststellen, die sich aus Personen "von links und rechts" zusammensetzte. So wurde die PD nach dem Zusammenbruch der politischen Landschaft Italiens durch die Vereinigung der Kräfte, die aus der ehemaligen Christdemokatie hervorgingen und der ehemaligen Kommunistischen Partei gegründet.
Der junge Matteo Renzi hatte im Jahr 2013 ihre Führung übernommen, bevor er in Windeseile auf den Posten des Ministerratspräsidenten gelangte. Damals tauchte er auf wie der Mann, der mit seinem Bild der Erneuerung und Jugend das Wunder vollbringen würde, der Europäischen Union neues Leben einzuhauchen. Seine Niederlage beim Verfassungsreferendum im Dezember 2016 besiegelte den Untergang dieser Sternschnuppe.
Das dritte Erdbeben hat (fast) alle überrascht: Die Lega (früher Lega Nord), die es geschafft hat, sich aus einer regionalen Gruppierung zu einer Partei nationalen Ausmaßes zu mausern, erhält 18 Prozent der Stimmen und überholt damit die Silvio Berlusconi ergebene Bewegung Forza Italia (14 Prozent).
Fünf-Sterne-Bewegung, Demokratische Partei, Rechtes Bündnis: Keiner der drei Blöcke erreicht die nötigen 40 Prozent, um eine Mehrheit zu bilden. Aber man ist ja nicht verpflichtet, diese für die Wahlkampagne gebildeten Koalitionen über das Abstimmungsergebnis hinaus fortzusetzen.
Allianz wäre Katastrophe für die EU
Eine Allianz zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega Nord – bisher von diesen Parteien ausgeschlossen – wäre für alle EU-Liebhaber die Katastrophe schlechthin. Sie würde konkretisieren, was die Beobachter schon bemerkt haben: eine nie dagewesene öffentliche Feindseligkeit gegen die europäische Integration.
Diese Feindseligkeit hat sich insbesondere durch die Migrationsfragen herauskristallisiert. Weniger hat man hervorgehoben, dass auch die sozialen Belange eine große Rolle bei der Stimmabgabe der Wähler gespielt haben. Millionen von Italienern leiden weiterhin unter den Folgen der Krise, die ab dem Jahr 2008 über die Europäische Union hinwegfegte. Die Arbeitslosigkeit bleibt eine Geißel, die insbesondere die jungen Menschen ihrer Zukunft beraubt.
Doch sie sind nicht die einzigen Opfer. Ganz den europäischen Orientierungen entsprechend hat es Matteo Renzi geschafft, die grundlegenden Garantien zu brechen, die im italienischen Arbeitsgesetzbuch verankert waren. Zudem haben sowohl die Lega als auch die Fünf-Sterne-Bewegung die Verantwortung des Euro für das wirtschaftliche und soziale Fiasko (Gehaltseinsparungen, Budgetbeschränkungen, und so weiter) unterstrichen, auch wenn die Movimento 5 Stelle aus Gründen der "Ehrenhaftigkeit" in diesem Punkt eine Kehrtwende eingeleitet hat.
Am Tag nach der Wahl merkte die große Tageszeitung La Stampa in ihrem Leitartikel an: "Zum ersten Mal gewinnen in Europa die Anti-System-Kräfte." Die Bildung einer Regierungskoalition zwischen diesen beiden Kräften (der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung) käme für die Zukunft der EU einem Tsunami gleich, umso mehr, als es sich um eines der Gründungsländer des Gemeinsamen Marktes und die drittgrößte Wirtschaft der Union handelt.
Mögliches Bündnis trifft auf Gegenwind
Doch so weit ist es noch nicht. Zwar ist die Bildung einer solchen Konstellation rechnerisch möglich, sie wird aber auf immensen Druck stoßen. Zahlreiche Kräfte kämpfen offen und im Schatten bereits für die widernatürliche Annäherung zwischen den Freunden von Beppe Grillo und den Überlebenden der Demokratischen Partei (oder einer Spaltung von diesen).
Festzustellen bleibt eine für die europäischen Politiker belastende Tatsache. Nach dem Brexit, dann den Wahlergebnissen in Deutschland, Österreich, Tschechien – und bald wahrscheinlich auch in Schweden – zeichnet sich in den meisten Ländern der EU (und darüber hinaus) eine Tendenz ab: Ein Teil der Bürger, der sich um die bei der Globalisierung auf der Strecke Gebliebenen herausbildet, weigert sich nunmehr, im Innern des etablierten Systems zu verweilen. Diese grundsätzliche Entwicklung wird sich so bald nicht ändern, im Gegenteil.
Die nächsten Wochen werden sicherlich zeigen, welche politische Konstellation sich im Stiefel herausbildet – oder nicht. Eines jedoch ist bereits sicher: Die Italiener haben dem (absurden) Refrain, der in Brüssel (und Paris) in den letzten Monaten gesungen wurde, und dem zufolge "Europa wieder da ist" ("Europa is back", in der makronischer Sprache), den Gnadenstoß versetzt.
Es wird ein außergewöhnliches Marketing-Kabinett nötig sein, um einen neuen Slogan zu finden.
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