von Ali Özkök
"Die hoffnungsvolle Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft der westlichen Balkanstaaten liegt im eigenen politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interesse der Union, es handelt sich um eine geostrategische Investition in ein stabiles, starkes und vereintes Europa auf der Grundlage gemeinsamer Werte", heißt es in einem Fact Sheet der Europäischen Kommission, in dem die neuen Leitinitiativen umrissen werden.
Die Strategie, die die Europäische Kommission am Dienstag vorgestellt hat, soll Albanien, Bosnien-Herzegowina, das Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien auf dem Weg zum EU-Beitritt begleiten.
"Es ist heute klar und das ist die Botschaft - wir werden eine gemeinsame Zukunft innerhalb unserer Europäischen Union haben", sagte EU-Außenpolitik-Chefin Federica Mogherini in Straßburg.
Bringen wir den Westbalkan in die Europäische Union, nicht in einer fernen Zukunft, sondern in unserer Generation.
Russland steht der "geostrategischen Investition in ein stabiles, starkes und vereintes Europa" skeptisch gegenüber. Die russische Historikerin und Leiterin des Forschungszentrums für moderne Balkankrisen, Elena Guskowa, erklärte auf Anfrage von RT Deutsch:
Russland ist sich dessen bewusst, dass die EU-Politik hinsichtlich Serbiens und Montenegros eine antirussische Tendenz aufweist, weil es bekannt ist, dass sich die Völker Serbiens und Montenegros immer sehr an Russland orientiert haben. Deswegen versucht man, alles zu tun, damit die Entfernung zwischen Russland und Serbien bzw. Montenegro unüberwindbar groß wird.
RT Deutsch fragte den Journalisten aus Montenegro, Marko Vesovic, der für die Tageszeitung DAN arbeitet, was die Beweggründe für die Initiative Brüssels sind. Vesovic sagte:
Ich würde sagen, dass die EU versucht, sich als glaubwürdiger Global Player zu präsentieren, indem sie den Ländern der Balkanregion, vor allem Montenegro und Serbien, eine klare Perspektive bietet. Es gibt einige praktische und natürlich geopolitische Gründe. Was Montenegro betrifft, so ist es vor allem darauf zurückzuführen, dass Montenegro die außenpolitische Ausrichtung der EU einhält. Im Falle Serbiens spielen Geografie und Demografie eine wichtige Rolle für die EU - die EU ist Serbiens größter Handels- und Investitionspartner.
Anfängliche EU-Euphorie in Montenegro am Abklingen
Im Rahmen der von Brüssel entwickelten Strategie sollte das Versprechen des EU-Eintritts die Reformdynamik in der Region ankurbeln, so die Behauptung Brüssels, um die "spezifischen Schlüsselherausforderungen" zu bewältigen, mit denen die westlichen Balkanstaaten konfrontiert sind. Explizit fordert die EU die Balkanstaaten dazu auf, die "Unabhängigkeit der Justiz und der Grundrechte" zu reformieren. Brüssel fordert auch neue Perspektiven, um "den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel zu vollenden".
In den nächsten Jahren möchte der 28-Nationen-Block, dass seine Juniorpartner dem Aktionsplan der EU folgen, der auf sechs konkreten Leitinitiativen basiert und sich auf die Themen "Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Migration, sozioökonomische Entwicklung, Verkehr und Energiekonnektivität, digitale Agenda, Versöhnung und gute nachbarschaftliche Beziehungen" konzentriert.
Vesovic zeigte sich skeptisch bezüglich der Beliebtheit der EU in Montenegro und sagte zu RT Deutsch:
Jüngste Umfragen zeigen, dass die Unterstützung für die EU-Integration abnimmt, was vor allem auf die intensive und komplexe sozioökonomische Krise und die Unfähigkeit der montenegrinischen Regierung zurückzuführen ist, die dringend notwendige Entpolitisierung der öffentlichen Institutionen bei gleichzeitiger Umsetzung der Grundsätze der guten Regierungsführung voranzutreiben.
Verantwortlich für das Spannungsverhältnis sei auch die EU selbst. Der Journalist aus Montenegro betonte gegenüber RT Deutsch:
Die EU zögerte lange, gegen kriminelle und korrupte politische und staatliche Akteure vorzugehen. Heute bekommen wir einen neuen, noch immer zurückhaltenden Ansatz zu sehen, der die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit betont, die grundlegenden Elemente, die mit organisierter Kriminalität und Korruption auf allen Ebenen von Regierung und Verwaltung verbunden sind, einschließlich einer starken Verflechtung öffentlicher und privater Interessen, aber nur sporadisch benennt.
Für Serbien hohe Anforderungen - für wenig Nutzen
Die Kommission forderte ausdrücklich eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, nachdem Belgrad sich geweigert hatte, die einseitige Unabhängigkeitserklärung der Enklave von 2008 anzuerkennen. "Ohne eine effektive und umfassende Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina durch den von der EU geförderten Dialog kann es keine dauerhafte Stabilität in der Region geben", heißt es aus der Kommission. Die EU forderte eine umfassende, rechtsverbindliche Vereinbarung zwischen den beiden Nationen. Serbiens Premierministerin Ana Brnabic sagte, es sei ein Aufruf, "von nun an jeden Tag zu arbeiten, um Teil der europäischen Völkerfamilie zu werden", berichtete Reuters.
Die Leiterin des russischen Forschungszentrums für moderne Balkankrisen Guskowa kommentierte in diesem Zusammenhang:
Sol hohe Anforderungen wie an Serbien wurden an keine andere Nation für den Beitritt zur EU gestellt. Die EU tut alles, um das in den früheren 1990er Jahren entstandene Konzept zu unterstützen, dass die Serben für alles verantwortlich sind, was in den 90er Jahren auf dem Balkan geschah. Die Forderungen von Brüssel enden nicht nur dort.
Guskowa bemerkte, dass eine EU-Mitgliedschaft grundsätzlich jedoch nicht solch ein Spannungspotenzial in such birgt wie eine NATO-Mitgliedschaft. "Was die Integration bezüglich der NATO betrifft, so nimmt hier Russland eine ernste und feste Haltung dahingehend ein, dass diese Integration die Beziehungen zwischen Russland und Montenegro sowie Serbien beeinträchtigen könne", fügte sie hinzu.
In ihrer jetzigen Form hat sich die EU das Jahr 2025 zum Ziel gesetzt, zu dem zumindest Serbien und Montenegro dem Block beitreten sollen. Andere Kandidaten, so hofft die EU, werden danach folgen. Die Staats- und Regierungschefs der EU beabsichtigen, den Zeitplan für 2025 auf einem Sondergipfel der westlichen Balkanstaaten im Mai in Sofia vorzulegen, so die Kommission.
Monolithischer Westblock ohne Russland und China als Ziel
Fakt ist, dass die EU zwar große Ziele hat, aber abgesehen von Serbien und Montenegro keinen Zeitrahmen nennt, innerhalb dessen die EU-Integration für andere EU-Staaten erfolgen soll. Das dürfte unter jenen Balkan-Staaten die Alarmglocken läuten lassen, die Gefahr laufen, letzten Endes auf leere Versprechen zu stoßen.
In einer früheren Fassung des EU-Textes hieß es, Albanien und Mazedonien könnten die EU-Beitrittsverhandlungen bis Ende 2019 aufnehmen, und Bosnien-Herzegowina solle die Beitrittsverhandlungen bis 2023 eröffnen. Diese Daten wurden aus dem endgültigen Entwurf entfernt, nachdem größere EU-Mitgliedsstaaten Druck ausgeübt hatten, teilten EU-Diplomaten dem US-amerikanischen Nachrichtenportal RFE/RL unter der Bedingung der Anonymität mit.
Der Text besagt nun, dass die "Kommission bereit ist, Empfehlungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien auf der Grundlage erfüllter Bedingungen auszuarbeiten".
Einige sehen die vorgeschlagene Maßnahme des Blocks als Versuch, den Einfluss Russlands in der Region zu verringern. "Es geht darum, Russland und in gewisser Weise auch China aus dieser Region auszuschließen, um diese zu einem monolithischen EU-West-Block zu machen", sagte Marco Gasic, Kommentator für internationale Angelegenheiten, gegenüber RT.
Großeuropäische Machtambitionen als eigentliche Triebfeder?
"Serbien ist der Schlüssel dazu, denn Serbien ist das einzige Land auf der Liste, das wirklich überzeugt werden muss. Und der Grund, warum es überzeugt werden muss, liegt darin, dass der Preis für die EU-Mitgliedschaft Serbiens im Gegensatz zu den anderen Ländern unglaublich hoch ist. Serbien müsste dazu überredet werden, die Umwandlung seiner Provinz Kosovo in ein zweites Albanien zuzulassen, und kein serbischer Politiker würde dafür verantwortlich sein wollen", erklärte Gasic. Er stellte zudem fest, dass viele Serben sehr deutlich erkennen, dass die EU Serbien im Grunde genommen "eine Chance bietet, gute Beziehungen zu verlieren, großartige Handelsbeziehungen mit vielen Wirtschaftsblöcken im Gegenzug für gute Beziehungen mit nur einem".
Auf die Frage, welche Rolle die Türkei und Russland beim Vorstoß der EU spielen, sagte der Journalist Vesovic, dass deren vermeintliche Einflussnahme im Wesentlichen ein Vorwand für eine stärkere Präsenz der EU auf dem Balkan sind. Er argumentierte:
Der Einfluss der Türkei und Russlands auf den Integrationsprozess Montenegros ist begrenzt und wird ungerechtfertigterweise hervorgehoben und politisiert, sowohl von der jeweiligen Regierung als auch von der Opposition. Wenn es um die USA und China geht - die Politik der Erstgenannten ist in der Region rückläufig, aber gegenwärtig genug, um zu zeigen, dass die EU nicht in der Lage ist, die Verhandlungsparteien des Brüsseler Abkommens bei der Stange zu halten. Unterdessen intensiviert China seine politische Präsenz auf dem Balkan.