Besuche in Calais sind für französische Staatspräsidenten stets eine Gratwanderung, denn die Hafenstadt am Ärmelkanal hat einen hohen Symbolwert. Auch nach der Räumung des riesigen Elendslagers "Dschungel von Calais" vor 15 Monaten sammeln sich in der Gegend Migranten, um illegal nach Großbritannien zu gelangen. Die Polizei patrouilliert Tag und Nacht. Bewohner machen ihrem Unmut Luft.
Warum fährt Staatschef Emmanuel Macron nach Calais?
Zunächst will der seit Mai amtierende Spitzenpolitiker der Bevölkerung signalisieren, dass sich nicht alleine gelassen wird. Zudem will der sozialliberale Senkrechtstarter laut Élyséekreisen zeigen, dass die Migrations- und Asylpolitik der Mitte-Regierung in die Tat umgesetzt wird. Das bedeutet beispielsweise einen härteren Kurs bei Abschiebungen: Ausländer, die eine Straftat begehen und keine Aufenthaltserlaubnis haben, werden abgeschoben, so lautet die generelle Linie. Drittens will Macron vermitteln, dass Flüchtlinge menschlich aufgenommen werden müssen.
Wie sieht die Lage in Calais aus?
Es halten sich etwa 350 bis 500 Migranten in der Region auf, sie stammen vor allem aus Äthiopien, Eritrea oder Afghanistan. Hilfsorganisationen sprechen von sehr prekären Lebensbedingungen. Die Polizei verhindert, dass neue Behelfscamps entstehen. In dem Verwaltungsbezirk Pas-de-Calais gibt es inzwischen drei Aufnahmezentren mit zusammen 280 Plätzen. Es kommt immer wieder zu tödlichen Unfällen, wenn Migranten versuchen, auf Lastwagen in Richtung Großbritannien zu gelangen. Die Lage ist aber nicht vergleichbar mit den Zeiten des "Dschungels" - damals hausten bis zu 8.000 Menschen in dem slumartigen Zelt- und Hüttenlager am Rande von Calais.
Macron will vor Sicherheitskräften sprechen. Wie lautet seine Botschaft?
In Calais sind über 1.100 Polizisten und Gendarmen im Einsatz, um die Grenze zu sichern und die Bildung neuer Elendslager zu verhindern. Macron will den Beamten deutlich sagen, dass er von ihnen ein vorbildliches Verhalten verlangt. Ein Bericht französischer Aufsichtsbehörden hielt im vergangenen Herbst Fehlverhalten der Polizei beim Umgang mit Migranten in Calais für wahrscheinlich. Die Versäumnisse betreffen demnach insbesondere den Gewalteinsatz, eine übermäßige Nutzung von Reizspray und die Zerstörung von Eigentum der Migranten. Élyséekreise weisen aber Vorwürfe zurück, wonach Eigentum von Migranten beschlagnahmt würde: Das treffe nicht zu.
Hat Macron bei seinem Besuch auch den französisch-britischen Gipfel am Donnerstag in Sandhurst im Blick?
Das Spitzentreffen mit Großbritanniens Premierministerin Theresa May ist für den Herrn des Élyséepalasts in der Tat die nächste Etappe. Auf ausdrücklichen Wunsch Macrons kommt die Migrationsfrage auf die Agenda. Die Franzosen wollen den Vertrag von Le Touquet ergänzen, der die Grenzkontrollen im Fährhafen der nordfranzösischen Stadt regelt. Das würde auch mehr Geld aus London heißen. Die 2003 unterzeichneten Vereinbarungen sind die Grundlage dafür, dass britische Grenzkontrollen schon im Hafen von Calais ausgeführt werden. Wer nicht ins Land darf, muss in Frankreich bleiben - und fliegt nicht erst bei der Ankunft in Dover auf.
Wie reagieren die Briten auf das Ansinnen aus Paris?
In London gibt man sich wortkarg. Die Frage, ob eine Überarbeitung des Touquet-Abkommens ansteht, wird von einem britischen Regierungssprecher erst gar nicht beantwortet. Besonders bei Brexit-Befürwortern gelten Zugeständnisse an Paris bei dem Reizthema als obsolet. Der Sprecher teilte lediglich mit, das Abkommen habe seit seinem Inkrafttreten "beiden Seiten gute Dienste geleistet". London habe sich bereits mit dem Bau eines zusätzlichen Sicherheitszauns eingebracht. Außerdem gebe es schon Programme, um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen.
Will sich Macron in der Polizeikaserne von Calais oder vor Flüchtlingen in einem Aufnahmeheim zu dem neuen Asyl- und Einwanderungsgesetz äußern?
Das ist zunächst nicht vorgesehen. Das Gesetz soll erst im kommenden Monat im Pariser Ministerrat debattiert werden. Es gibt aber bereits Kritik, denn die Asylverfahren sollen beschleunigt werden. Laut Tageszeitung Le Monde könnten Asylbewerber dabei mit einem Wettlauf gegen die Zeit konfrontiert werden.
(rt deutsch/dpa)