Niederlande: Ausweitung von Notstandsverordnungen und Versammlungsverboten

In vielen niederländischen Gemeinden wurden Notstände ausgerufen. Aktuell existieren dort 587 Notverordnungen und Sicherheitsrisikozonen. Demnach müssen Bürger anlasslose Leibesvisitationen und Demonstrationsverbote hinnehmen. Amnesty International kritisierte diese Notstandspraxis.

In den Niederlanden werden immer mehr Gemeinden gemäß Notstandsverordnungen regiert. Zu den damit legal etablierten Maßnahmen gehören anlasslose polizeiliche Durchsuchungen und Versammlungsverbote. Seien im Jahr 2012 gerade einmal sieben solcher Sondereinschränkungen im ganzen Land in Kraft gewesen, so gebe es in diesem Jahr 77 Notstandsgesetze in 38 Gemeinden. Das habe eine Auswertung der niederländischen Rundfunkanstalt NOS ergeben.

In ihrem diesbezüglichen Bericht zitierte die NL Times am Sonntag den Rechtsprofessor Jan Brouwer von der Universität Groningen. Demnach würden Ausnahmeverordnungen in den Niederlanden nicht nur kurzfristig eingeführt, sondern über längere Zeiträume beibehalten. Brouwer erklärte: "Diese Maßnahmen sind fast schon zur Norm geworden [...] Über längere Zeiträume hinweg kann jeder, der sich in diesen Gebieten aufhält, durchsucht werden, sogar jemand, der mit seinem Hund spazieren geht."

Normalerweise würden derartige Notstandsverordnungen mit polizeilichen Sonderrechten für Leibesvisitationen und Versammlungsverbote immer nur kurzfristig eingerichtet, zum Beispiel anlässlich von Fußballspielen. Dagegen könnten Verfügungen über regionale "Sicherheitsrisikozonen" Monate oder Jahre bestehen bleiben.

Als Beispiel nannte die NL Times die Gemeinden Nissewaard und Amsterdam. In Nissewaard seien gleich mehrere Sicherheitsrisikozonen eingerichtet worden, deren Flächen zudem auch noch jährlich erweitert würden. In Amsterdam habe man kürzlich einen Großteil des Stadtzentrums zur Sicherheitsrisikozone erklärt. Ohne konkreten Verdacht dürften in diesen Zonen Leibesvisitationen durchgeführt werden. Der Bürgermeister von Vlaardingen, Bert Wijbenga, habe die Maßnahmen wie folgt begründet: "Wenn wir präventive Durchsuchungen durchführen, beschlagnahmen wir Dutzende von Waffen."

Die Durchsuchungen der Bürger erfolgten explizit nach dem Zufallsprinzip, damit man sich nicht des Rassismus verdächtig mache, beziehungsweise "um Profiling zu verhindern". Die Durchsuchungen würden überwacht, um die Einhaltung des Zufallsprinzips zu kontrollieren.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Notstandspraxis in den Niederlanden und warnte vor einer "Normalisierung weitreichender Befugnisse". Laut Amnesty International würden Demonstranten in diesen Zonen manchmal nach ihrem Ausweis gefragt, obwohl Ausweiskontrollen nichts mit Waffenkontrollen zu tun hätten.

Aber eine Rücknahme der Verordnungen und der Maßnahmen sei schwierig. Der Jurist Jan Brouwer erklärte dazu: "Wenn viele Waffen gefunden werden, argumentieren die Behörden, dass es immer noch unsicher sei, sodass die Maßnahmen fortgesetzt werden. Selbst wenn sich die Lage verbessert, kann das ein Grund sein, sie beizubehalten."

Bei der Auswertung kommunaler Dokumente ermittelte NOS in den Niederlanden 587 Notverordnungen und Sicherheitsrisikozonen ‒ dabei wurden COVID-19-Maßnahmen regionaler Behörden nicht mitgerechnet.

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