Fast 10.000 Personen wurden im Jahr 2024 in Großbritannien wegen Beiträgen in sozialen Medien festgenommen, meldete die britische Daily Mail. Das sei zwar im Vergleich zum Vorjahr, als es 13.800 Festnahmen waren, ein Rückgang, aber das Niveau bleibe höher als in jedem anderen Land der Welt.
Die Veröffentlichung einer "grob beleidigenden" Nachricht oder das Teilen von Inhalt, der einen "unanständigen, obszönen oder bedrohlichen Charakter" hat, kann mit Haft bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe in unbegrenzter Höhe geahndet werden. Allerdings ziehen die Anlässe, die zu einem Eingreifen der Polizei führen, vielfach Kritik auf sich.
So wurde ein Elternpaar, Maxie Allen und Rosalind Levine, im Januar festgenommen und elf Stunden wegen des Verdachts von Belästigung und bösartiger Kommunikation gefangen gehalten, weil die Grundschule ihrer Kinder fand, sie hätten ihr zu viele E-Mails geschickt und "abwertende" Kommentare in einer WhatsApp-Gruppe gemacht. Ganze sechs Polizisten wurden losgeschickt, um sie vor den Augen der Kinder festzunehmen – aber nach fünf Wochen Ermittlungen beschloss die Staatsanwaltschaft, dass an der ganzen Sache nichts dran war.
Free Speech Union, eine Gruppe für Meinungsfreiheit, finanziert Betroffenen die anwaltliche Vertretung; ihr Gründer Toby Young nannte "die übereifrige polizeiliche Verfolgung verletzender Worte in sozialen Medien" einen "nationalen Skandal". "Wir helfen ihnen, die Polizei wegen ungerechtfertigter Festnahmen zu verklagen, und wir erwarten, in jedem einzelnen Fall Erfolg zu haben."
Nur sieben Prozent der britischen Bürger halten es für eine vordringliche Aufgabe der Polizei, derartige Äußerungen zu überwachen. Kritik gibt es auch, weil die Aufklärungsrate aller Verbrechen insgesamt von noch 25 Prozent im Jahr 2015 auf nur noch zehn Prozent gefallen ist. Laut Umfragen wollen die Bürger eher, dass sich die Polizei mit Gewalt, Diebstahl, Raub und Drogenhandel befasst.
Ein Mitarbeiter des konservativen Thinktanks Policy Exchange, David Spencer, meinte dazu:
"Wenn Polizeichefs ihre begrenzten Ressourcen darauf verwenden, soziale Medien zu kontrollieren, heißt das, sie nutzen diese Mittel nicht, um Messerverbrechen, Sexualstraftaten oder Ladendiebstahl zu verfolgen."
In seiner Zeit als Generalstaatsanwalt hatte Keir Starmer, der heutige Premierminister, Richtlinien erlassen, nach denen beleidigende Meldungen in sozialen Medien nur "unter extremen Bedingungen" zu Verfahren führen sollten. Mit der aktuellen Statistik ist das nicht vereinbar.
Dabei gibt es extreme Unterschiede, je nachdem, in welchem County jemand lebt. In Essex mit einer Bevölkerung von 1,9 Millionen kam es 2024 zu keiner einzigen Festnahme; der Spitzenreiter in absoluten Zahlen ist die Metropolregion London mit 1.640 Festnahmen, allerdings auch mit neun Millionen Einwohnern; aber bezogen auf die Vorfälle pro Einwohner führt Cumbria mit 42 Festnahmen auf 100.000 Einwohner, mit 217 Festnahmen bei einer Bevölkerung von 510.000 Bürgern.
Ein Sprecher der Polizei von Cumbria fand nichts dabei, als er von der Daily Mail darauf angesprochen wurde. "Während jeder das Recht auf Meinungsfreiheit hat, werden wir Meldungen in einer verhältnismäßigen Weise nachgehen und versuchen, gegen jene zu ermitteln, die gegen diese Gesetze verstoßen haben. Diese Straftaten können massive Auswirkungen auf die Opfer haben, und wir würden jeden in unseren Gemeinden ermutigen, uns Vorfälle zu melden, und wir ermitteln."
Der Vorsitzende der Bürgerrechtsgruppe Index on Censorship, Jemimah Steinfeld, meinte:
"In unserer digitalisierten Welt, in der jetzt so viel unserer Rede aufgezeichnet wird und die Folgen davon noch nicht ganz begriffen sind, sind wir den individuellen Launen einzelner Polizeieinheiten ausgesetzt."
Großbritannien hat noch eine weite Strecke zurückzulegen, um den Titel des meistzensierenden Landes wieder abzulegen. Weißrussland, auf Platz zwei, hatte halb so viele Festnahmen, Deutschland, auf Platz drei, ungefähr ein Viertel, und das riesige China, das in den absoluten Zahlen auf Platz vier steht, brachte es gerade auf etwa 1.500 derartige Festnahmen, also eine pro Million Einwohner. Die Daily Mail versah ihren Bericht auch mit der entsprechenden Überschrift: "Britischer Polizeistaat demaskiert"…
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