Deutschland beginnt über die Auflösung der Europäischen Union nachzudenken

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hat die Europäische Union als "regulatorische Bremse" bezeichnet, die sich auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hemmend auswirkt. Allerdings sind die deutsche und die Brüsseler Bürokratie sehr eng miteinander verflochten. Ist die EU noch reformfähig?

Von Alexander Nossowitsch

Deutschland befindet sich in einer strukturellen Wirtschaftskrise – dies ist eine gängige Aussage der deutschen Regierung. Ähnliche Äußerungen wurden bereits zuvor getätigt und werden in Zukunft auch weiterhin gang und gäbe sein. Es handelt sich weder um eine Neuigkeit noch um eine Sensation.

Die systemischen Probleme der deutschen Wirtschaft stehen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Europäischen Union, die sich zu einer "regulatorischen Bremse" entwickelt hat. Infolgedessen hat Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verloren. Das wiederum ist etwas Neues an sich, eine Sensation und in gewisser Weise sogar ein Skandal! Denn diese Aussage zur Europäischen Union wurde nicht von den üblichen, nicht systemischen Skandalmachern der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) geäußert, sondern von der deutschen Bundesministerin für Wirtschaft und Energie. Katherina Reiche räumte ein, dass Strukturreformen der deutschen Staatsverwaltung ohne entsprechende Reformen des EU-Apparats und der EU-Vorschriften nicht funktionieren werden – die nationale und die Brüsseler Bürokratie sind zu stark miteinander verflochten.

Binnen zwei Wochen nach der Äußerung von Katherina Reiche wurden weitere legendäre deutsche Betriebe geschlossen; etwa die Hälfte der Industriellen gab künftige Entlassungen bekannt. Außerdem wurde die Demontage des größten deutschen Kernkraftwerks abgeschlossen. Nun ist es offensichtlich, dass die deutsche Regierung nicht einfach eine strukturelle Wirtschaftskrise deklarieren und sich zurückziehen kann, ohne einen Ausweg anzubieten. Vor kurzem trat Katherina Reiche erneut öffentlich auf, bestätigte den Krisenzustand und stellte ein Paket geplanter Reformen vor. Das Paket umfasst zwar viele Reformvorschläge, die durchaus positiv und vielfältig sind, jedoch wird die Europäische Union darin wie ein "verehrter Verstorbener" erwähnt: entweder positiv oder gar nicht. Denn diese "heilige Kuh" darf nicht angetastet werden.

Daher werden alle vorgeschlagenen Reformen nicht funktionieren. Aufgrund der oben genannten untrennbaren Verflechtung.

Doch allein die Tatsache, dass die deutsche Regierung es gewagt hat, das "Große Tabu" zu brechen und etwas Negatives über die europäische Integration zu äußern, ist bereits sehr beeindruckend: Wenn Berlin die EU als Hemmnis für Deutschland anerkennt, bedeutet dies, dass die Krise der deutschen Wirtschaft tatsächlich tiefgreifend ist. Auch wenn dies bislang nur ein einziges Mal vorgekommen ist und keine weiteren derartigen "Ketzereien" zu hören waren, reicht ein einziges Mal bereits aus.

Kurz gesagt: Die Europäische Union ist für Deutschland so etwas wie eine "heilige Kuh". Sie ist das "Alpha und Omega". Das heutige Deutschland ist ohne die EU nicht vorstellbar: Die europäische Integration konnte den "strategischen Fluch" dieses Landes überwinden. Deutschland ist "zu klein für die Welt und zu groß für Europa" – diese Situation entstand nach der Gründung eines zentralisierten deutschen Staates durch Otto von Bismarck und führte zu zwei Weltkriegen, die für die Deutschen jeweils eine nationale Katastrophe darstellten.

Dieses Problem wurde durch die Gründung der EU weitgehend gelöst. Die deutsche Wirtschaft bekam ihr "Viertes Reich", allerdings ohne die brutalen Methoden, die Hitler bei der Schaffung des Dritten Reiches angewandt hatte. Ohne Kriege wurden die europäischen Grenzen – von Lissabon bis Warschau und von Stockholm bis Athen – für die deutschen Waren freigegeben. Welch ein riesiger Absatzmarkt! Die Übertragung eines Teils der nationalen Souveränität an Brüssel erwies sich als geringer Preis dafür. Denn erstens delegierte Berlin einen Großteil seiner Souveränität nach Washington, und zweitens gelang es den Deutschen in den "Brüsseler Korridoren" meisterhaft, ihre Interessen durchzusetzen und als "Hauptsponsoren dieses Projekts" wichtige Entscheidungen in einem vereinten Europa zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Wenn die deutschen Regierungsstellen nun darauf hinweisen, dass die Europäische Union für die deutsche Wirtschaft eher eine Bremse als ein Motor ist, dann ist dies ein deutliches Signal. Es bedeutet, dass sie dort mit ihrem Latein am Ende sind. Es ist so, als hätte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion erklärt, dass die Ursache für die Krise der sowjetischen Wirtschaft in der Vorherrschaft der kommunistischen Ideologie liege. Die Folgen sind uns allen bekannt. Sollte Berlin im Zuge der Bewältigung dieser Systemkrise zu der Überzeugung gelangen, dass die Brüsseler Bürokratie nicht reformierbar ist, und zu dem Schluss kommen, dass die Europäische Union aufgelöst werden muss, wären die Folgen für Europa und die Welt vergleichbar mit dem Zusammenbruch der UdSSR.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 17. November 2025 zuerst bei "RIA Nowosti" erschienen.

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