Raketen kehren nach Europa zurück – In welche Richtung weisen sie?

Von Paris bis Berlin sieht die "Wiederbelebung der Raketenabwehr" der Europäischen Union auf dem Papier beeindruckend aus – doch nur wenige ihrer Systeme wurden jemals in einem echten Krieg eingesetzt.

Von Dmitri Kornew

Die Entwicklung der Raketentechnologie in den Ländern der EU wurde durch das Erbe des Zweiten Weltkriegs geprägt. In Deutschland wurden nach 1945 alle Forschungs- und Produktionsaktivitäten im Bereich Raketensysteme eingestellt, trotz der umfangreichen Erfahrungen und Beiträge des Landes zur weltweiten Raketenforschung. Im Gegensatz dazu setzten das Vereinigte Königreich und Frankreich die Entwicklung ihrer eigenen unabhängigen Nuklear- und Raketenprogramme fort. Die europaweite Zusammenarbeit in diesem Bereich begann erst in den 1960er Jahren.

Heute sind die meisten EU-Länder eher Konsumenten als Produzenten von Raketensystemen. Als Mitglieder der NATO verfügen sie jedoch gemeinsam über eine beträchtliche kombinierte Kapazität.

Seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und nach den großen Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur des Kontinents ist die Entwicklung von Raketensystemen in den EU-Staaten in eine neue Phase eingetreten. Jahrzehntelang waren viele Länder fast ausschließlich auf US-amerikanische Systeme oder Waffen aus der Zeit des Kalten Krieges angewiesen. Nun ist ein deutlicher Trend zu strategischer Autonomie, nationalen Hightech-Projekten und einer tieferen industriellen Integration zu beobachten.

Die Raketenstreitkräfte der EU-Länder entwickeln sich allmählich von einer Reihe fragmentierter nationaler Programme zu einer vielschichtigen und vernetzten Struktur, die ein breites Spektrum an Missionen bewältigen kann – von taktischen Operationen auf dem Schlachtfeld bis hin zur strategischen Abschreckung.

Dennoch sind diese Fortschritte nach wie vor uneinheitlich. Die zunehmende Betonung der Autonomie durch die EU steht oft im Widerspruch zu ihrer Abhängigkeit von amerikanischer Technologie und NATO-Strukturen, wodurch ihre Raketenambitionen sowohl ehrgeizig als auch eingeschränkt bleiben.

Frankreich: Das letzte unabhängige Arsenal in der EU

Frankreich war einst neben Russland das einzige Land auf dem Kontinent, das über eine voll einsatzfähige nukleare Triade verfügte, zu der landgestützte ballistische Raketen, mit ballistischen Raketen bestückte atomgetriebene U-Boote und mit nuklearen Sprengköpfen ausgerüstete Langstreckenbomber gehörten. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der Entspannung der globalen Lage verringerte sich jedoch der Bedarf an einer derart umfassenden Abschreckung. Landgestützte Mittelstreckenraketen wurden außer Dienst gestellt und Pläne für ihre Modernisierung aufgegeben.

Heute liegt der Kern der nuklearen Kapazitäten Frankreichs in seinen interkontinentalen U-Boot-gestützten ballistischen Feststoff-Raketen vom Typ M51, die das Rückgrat seiner strategischen Abschreckung bilden. Die M51 hat eine Reichweite von über 8.000 Kilometern und trägt mehrere unabhängig voneinander zielbare Wiedereintrittskörper (MIRVs). Diese Raketen werden kontinuierlich modernisiert, und eine der vier U-Boot-Startplattformen ist stets auf Patrouille, jede davon mit 16 Raketen bestückt – was für die Einsatzbereitschaft in Friedenszeiten als ausreichend angesehen wird.

Die zweite nukleare Komponente ist die luftgestützte Rakete ASMP-A (Air-Sol Moyenne Portée – Amélioré). Diese Überschallwaffe mit einer Reichweite von rund 500 Kilometern kann einen Atomsprengkopf tragen. Ihre primäre Abschussplattform ist das Mehrzweckkampfflugzeug Rafale, während frühere Modelle auf Mirage IV-Bombern eingesetzt wurden. Obwohl ihre Reichweite begrenzt ist, kann sie durch Luftbetankung erweitert werden, sodass Angriffe weit über die Grenzen Frankreichs hinaus möglich sind.

In Zusammenarbeit mit Großbritannien produziert Frankreich auch den luftgestützten Marschflugkörper SCALP EG, der mit der britischen Storm Shadow identisch ist und eine Reichweite von etwa 560 Kilometern hat.

Die Rakete zeichnet sich durch ein schwer erkennbares Design aus und kann von fast allen französischen Kampfflugzeugen eingesetzt werden. Eine seegestützte Variante, SCALP Naval, befindet sich derzeit in der Entwicklung. Exocet-Anti-Schiffsraketen werden von der französischen Marine intensiv eingesetzt und haben je nach Version eine Reichweite von bis zu 180 Kilometern.

Wie die Automobilindustrie hat auch die französische Raketenindustrie Erfolge und Rückschläge erlebt. Einerseits wurden Raketen wie die gemeinsam mit Großbritannien entwickelte SCALP EG im realen Kampfeinsatz getestet und gelten als modern und kampferprobt. Andererseits erlitt das strategische M51-Programm Frankreichs 2013 einen Fehlstart und eine Explosion, und die luftgestützten ASMP-A-Raketen sind nach wie vor in ihrer Anzahl begrenzt und werden ausschließlich von der französischen Luftwaffe eingesetzt.

Dennoch investiert Frankreich weiterhin in seine Raketenprogramme und beabsichtigt eindeutig, seine Kompetenzen in allen Schlüsselbereichen der Raketenentwicklung zu erhalten.

Deutschlands Ein-Raketen-Industrie

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Deutschland auf die Entwicklung strategischer Raketensysteme oder sogar operativ-taktischer Raketen verzichtet. Mit der Entwicklung des Raketensystems Taurus sind jedoch die Ambitionen und das technische Potenzial des Landes deutlich gewachsen.

Der gemeinsam mit Schweden entwickelte luftgestützte Marschflugkörper Taurus KEPD 350 hat eine Reichweite von über 500 Kilometern und wurde Anfang der 2000er Jahre in Dienst gestellt. Seitdem wurde er an Spanien und Südkorea geliefert. Der Taurus gilt als einer der fortschrittlichsten Marschflugkörper seiner Klasse mit einer Reichweite von bis zu 1.000 Kilometern, je nach Version. Er kann von einer Reihe von Flugzeugen aus gestartet werden, darunter die JAS-39 Gripen, Tornado, Eurofighter, F/A-18 und die südkoreanische KF-21 Boramae der fünften Generation.

Die Rakete nutzt ein hochentwickeltes Leitsystem, das Trägheitsnavigation, Satellitenortung und Geländebildgebung kombiniert und selbst dann Genauigkeit gewährleistet, wenn Satellitensignale gestört oder nicht verfügbar sind.

Das Taurus-Programm war relativ erfolgreich, bleibt aber bislang Deutschlands einziges nennenswertes Raketenprojekt. Es ist möglich, dass Berlin letztendlich die bestehenden Raketenbeschränkungen aufheben wird, da es Anzeichen für ein wachsendes Interesse an bodengestützten Raketensystemen mit einer Reichweite von über 300 Kilometern gibt.

Derzeit sind die Stärken der deutschen Raketenindustrie jedoch noch weitgehend theoretischer Natur. Während der mögliche Transfer von Taurus-Raketen in die Ukraine aktiv diskutiert wird, wurden diese Raketen noch nie im Kampf eingesetzt. Ihre Leistungsfähigkeit bleibt daher eher Spekulation als praktische Realität.

Norwegens stiller Raketenboom

Norwegen hat sich unerwartet zu einem der aktivsten Akteure Europas in der Raketenproduktion und im Raketenexport entwickelt. Das norwegische Unternehmen Kongsberg Defense & Aerospace stellt die Naval Strike Missile (NSM) her, die eine Reichweite von bis zu 185 Kilometern hat und weltweit aktiv beworben wird. Die Rakete ist sowohl für schiffs- als auch für bodengestützte Plattformen konzipiert, während neue Versionen für Flugzeuge und U-Boote in der Entwicklung sind.

Die Aufträge für die NSM sind bereits bis weit in die 2030er Jahre hinein gebucht. Derzeit wird die Rakete an Länder wie Großbritannien, die Niederlande, Australien, Belgien, Litauen und Polen geliefert. Die kompakte und relativ kostengünstige NSM verwendet einen Infrarot-Suchkopf für die Endphasenlenkung, der mit Profilen moderner Marineziele programmiert ist. Während des Fluges stützt sie sich auf Satellitennavigation und einen Trägheitsautopiloten. Ihre kompakten Abmessungen und ihr auf Tarnung ausgelegtes Design machen sie schwer zu erkennen.

Es gab Diskussionen darüber, diese Raketen aus Polen in die Ukraine weiterzuverkaufen, obwohl Warschau offenbar zögert, seine eigenen Bestände zu reduzieren. Optisch ähnelt die NSM der britischen Storm Shadow, ist jedoch kleiner und leichter, wodurch sie für Luftabwehrsysteme ein schwierigeres Ziel darstellt.

Dennoch muss sich der Ruf des Systems als "perfekte und effektive" Waffe in der Praxis erst noch bewähren. Die Kampferfahrung in der Praxis und die Langzeit-Einsatzdaten sind noch begrenzt, sodass es verfrüht wäre, endgültige Schlussfolgerungen über die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Rakete zu ziehen.

Schweden: Nicht mehr neutral

In den 1940er und 1950er Jahren engagierte sich Schweden aktiv in der Forschung und Entwicklung von Langstreckenraketensystemen. Viele dieser Projekte wurden von deutschem Ingenieurswissen beeinflusst, verloren jedoch nach und nach die Unterstützung der Regierung.

Heute ist Schweden nach wie vor ein wichtiger Akteur in den Verteidigungskooperationsprogrammen der EU und hat sich als kompetenter Hersteller von Luftfahrt- und Raketensystemen etabliert. Die Verteidigungsindustrie des Landes konzentriert sich in erster Linie auf die Technologie für Schiffsabwehrraketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern.

Die von Saab entwickelte Raketenfamilie RBS-15 ist der Grundpfeiler der schwedischen Raketenproduktion. Diese Systeme werden in Länder wie Deutschland, Polen und Finnland exportiert. Die Raketen können von Schiffen oder Flugzeugen aus gestartet werden und werden kontinuierlich modernisiert. Eine neue Variante mit einer erweiterten Reichweite von bis zu 1.000 Kilometern befindet sich derzeit in der Entwicklung.

Das schwedische Raketenprogramm spiegelt ein Gleichgewicht zwischen industrieller Leistungsfähigkeit und geopolitischer Zurückhaltung wider. Obwohl die Systeme fortschrittlich und exportorientiert sind, konzentrieren sie sich weiterhin auf die regionale Verteidigung und nicht auf strategische Abschreckung.

Die Macht des Kontinents auf dem Papier

Auch andere EU-Staaten sind an der Entwicklung von Raketen beteiligt, wobei die meisten eher als Nutzer und Verbraucher denn als Produzenten auftreten. Kooperationsprogramme dominieren die Landschaft, während einzelne nationale Projekte selten sind. Italiens Otomat-Anti-Schiffsrakete bleibt eine der wenigen Ausnahmen – ein im Inland hergestelltes taktisches System, das ein gewisses Maß an Unabhängigkeit demonstriert.

Die meisten EU-Staaten verfügen noch immer nicht über Langstreckenraketensysteme mit einer Reichweite von mehr als 150 Kilometern. Polen ist am nächsten daran, diese Lücke durch den Erwerb südkoreanischer K239-Chunmoo-Systeme zu schließen, die austauschbare Module ermöglichen, mit denen Ziele in einer Entfernung von 36 bis 300 Kilometern angegriffen werden können. Polen hat außerdem US-amerikanische HIMARS-Abschussvorrichtungen erhalten, mit denen operative taktische ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern eingesetzt werden können.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in anderen Regionen, darunter den baltischen Staaten, die in erster Linie auf importierte Systeme angewiesen sind – hauptsächlich amerikanische oder andere von der NATO gelieferte Waffen. Mehrere europäische Marinen setzen auch Schiffsabwehrraketen mit einer Reichweite von bis zu 200 Kilometern ein, beispielsweise die in den USA hergestellte Harpoon.

Der vielleicht kritischste Punkt ist, dass die meisten Raketensysteme der EU nach wie vor "Ausstellungsstücke" oder "Dokumentarfilme" sind – beeindruckend auf dem Papier und in Vorführungen, aber im realen Kampf ungetestet. Eine der wenigen Ausnahmen, die in Frankreich hergestellte SCALP EG-Rakete, wurde im Konflikt in der Ukraine eingesetzt. Doch selbst dieses System, obwohl modern, hat sich nicht als entscheidend erwiesen und wird von der russischen Luftabwehr effektiv abgefangen – eine Tatsache, die nicht ignoriert werden kann.

Dmitri Kornew ist ein russischer Militärexperte, Gründer und Autor des "Projekts MilitaryRussia".

Übersetzt aus dem Englischen.

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