Ein polnisches Gericht hat die Auslieferung eines ukrainischen Mannes nach Deutschland blockiert, der im Verdacht steht, an dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline im Jahr 2022 beteiligt gewesen zu sein. Damit kommen zunächst beide Hauptverdächtigen nicht in Deutschland vor Gericht: Schon am Mittwoch hatte Italien die Auslieferung eines weiteren Ukrainers, der mutmaßlich in den Fall der Nord-Stream-Sprengung verwickelt sein soll, gestoppt.
Der in Polen inhaftierte Verdächtige Wladimir Schurawlew wurde am 30. September aufgrund eines deutschen Haftbefehls in der Nähe von Warschau festgenommen. Die deutsche Staatsanwaltschaft beschreibt ihn als ausgebildeten Taucher und wirft ihm vor, Teil einer Gruppe gewesen zu sein, die vor drei Jahren Sprengstoff an den Pipelines nahe der dänischen Insel Bornholm platzierte.
Führende Vertreter Polens machen kein Geheimnis daraus, dass sie nicht nur gegen eine Auslieferung an deutsche Gerichte sind, sondern auch den Anschlag als solchen positiv sehen. Regierungschef Donald Tusk sagte kürzlich, es liege nicht im Interesse seines Landes, den Mann anzuklagen oder an einen anderen Staat auszuliefern.
Am Mittwochabend schlug das dem Präsidenten Karol Nawrocki unterstellte Nationale Sicherheitsbüro BBN in die gleiche Kerbe: "Es liegt im vitalen Interesse des polnischen Staates, dass die mutmaßlichen Urheber der Beschädigungen von Nord Stream 1 und 2 einer Strafverfolgung wegen dieser Tat entgehen", erklärte die Behörde laut Nachrichtenagentur PAP.
Auch Anwalt Schurawlews, Tymoteusz Paprocki hatte vor der Anhörung gesagt: "Mein Mandant bekennt sich nicht schuldig, er hat kein Verbrechen gegen Deutschland begangen und er versteht nicht, warum diese Anschuldigungen von deutscher Seite erhoben wurden." Er sagte auch, er würde argumentieren, dass kein Ukrainer wegen Handlungen gegen Russland angeklagt werden sollte.
Zum Zeitpunkt seiner Festnahme lebte Schurawlew mit seiner Frau und seinen Kindern in Polen, wie die polnische Staatsanwaltschaft mitteilte. Seine Frau erklärte gegenüber polnischen Medien, ihr Mann sei unschuldig und sie hätten sich zum Zeitpunkt der Sprengung der Pipelines gemeinsam in Polen aufgehalten.
Beweise sollen nicht bekannt gegeben werden
Nach Informationen der polnischen Zeitung Wiadomosci hat Deutschland die polnische Staatsanwaltschaft gebeten, die gegen den Verdächtigen gesammelten Beweise nicht öffentlich bekannt zu geben. "Alle wollen diese Angelegenheit offensichtlich so schnell wie möglich aus der Welt schaffen", sagte der Zeitung eine Person, die mit den Hintergründen der ganzen Geschichte vertraut ist.
Nach weiteren Informationen aus der polnischen Staatsanwaltschaft werden die bei der Durchsuchung in der Wohnung des Verdächtigten beschlagnahmten Materialien wahrscheinlich nicht im gemäß Europäischem Haftbefehl geführten Verfahren verwendet werden. Die Maßnahmen waren das Ergebnis der Vernehmung von Schurawlew im Rahmen der Ermittlungen in Danzig, die Anfang Oktober stattfanden.
Nach Angaben der Gesprächspartner der Zeitung versuchte Schurawlew die polnischen Staatsanwälte davon zu überzeugen, dass er nicht an der Sprengung der Gasleitung beteiligt war, da er sich zu diesem Zeitpunkt an einem anderen Ort aufgehalten habe. Die Beweise für diese Behauptung habe er zu Hause aufbewahrt, weshalb Ermittlungsorgane eine Durchsuchung durchgeführt haben.
Russland zweifelt an Ermittlungen
Russland ist von den Ermittlungen zu der folgenreichen Sabotage ausgeschlossen. Russische Diplomaten halten die Untersuchungen der Deutschen für eine Scheinermittlung. So könne die Festnahme des angeblichen Leiters der Taucher-Gruppe Kusnezow in Italien nichts Neues zu den Erkenntnissen über die Täter beitragen, sagte der russische UN-Diplomat Dmitri Poljanski bei einer Sitzung des US-Sicherheitsrates Ende August. Dies sei lediglich die Konsequenz einer vorsätzlich gelegten Irreführung, welche dazu dienen sollte, von den tatsächlichen Auftraggebern und Organisatoren des Anschlags abzulenken. Er erinnerte an die diesbezüglichen Absprachen zwischen dem ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden und dem ehemaligen Bundeskanzler Olaf Scholz, über die US-Journalist Seymour Hersh berichtet hatte.
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