Die anglikanische Kirche hat ihren ersten weiblichen Erzbischof von Canterbury ernannt und damit 1.400 Jahre männlicher Führung beendet. Die ehemalige oberste britische Krankenpflegerin, Sarah Mullally, wurde am Freitag von einer Kirchensynode zum führenden Kleriker der Konfession bestellt.
Die anglikanische Kirche führte die Ordination von Frauen verglichen mit anderen protestantischen Kirchen spät ein, erst 1994 (die erste protestantische Pfarrerin in Deutschland wurde 1958 in Lübeck ordiniert). Bis 2014 war es ihnen nicht gestattet, höhere Posten einzunehmen. Die Reform, die das letztlich doch ermöglichte, folgte auf Jahre innerer Spaltungen und Debatten.
Ehe sie Pfarrerin wurde, hatte Mullally eine erfolgreiche Karriere als Krankenschwester und brachte es bis zum Chief Nursing Officer, eine Position im britischen Gesundheitsministerium, die für die Entwicklung der Pflegeberufe zuständig ist. 2002 wurde sie zur Pfarrerin geweiht und diente danach als Bischof von Crediton und als Bischof von London, dem dritten Posten in der Hierarchie der anglikanischen Kirche. Für ihre inklusive Sicht bekannt, hat sie Gebete und Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare unterstützt und ihre Führungsposition um Offenheit und seelsorgerische Fürsorge aufgebaut.
Ihre Ernennung folgt auf den Rücktritt ihres Vorgängers, Erzbischof Justin Welby, im vergangenen November. Eine Untersuchung hatte zutage gefördert, dass er auf Hinweise zu einem Pfarrer nicht reagiert hat, der über Jahrzehnte hinweg Kinder missbrauchte.
Der zweite Bischof in der Rangfolge der Kirche von England, der Erzbischof von York, Stephen Cottrell, der nach Welbys Rücktritt kommissarisch die Geschäfte führte, steht nach einer BBC-Recherche ebenfalls im Feuer, die herausfand, dass er es einem Pfarrer mit einer Missbrauchsgeschichte erlaubte, im Amt zu bleiben. Er bleibt aber auf seinem Posten.
Mullallys Ernennung hat bereits den Widerstand konservativer Fraktionen innerhalb der anglikanischen Gemeinschaft hervorgerufen, vor allem aus Afrika, wo die Kirchenführer sich lang gegen Frauen in führenden Positionen wandten und die liberale Haltung der Kirche von England in Sexualfragen verdammten. GAFCON, eine Gruppe konservativer anglikanischer Kirchen, sagte, der Schritt zeige, dass die englische Kirche "ihre Autorität, zu führen" preisgegeben habe.
Die Kirche von England ist eine protestantische Kirche, die 1534 geschaffen wurde, als der englische König Heinrich VIII. sich von der Autorität des Papstes wegen eines Scheidungsdisputs abwandte. Ihr formelles Oberhaupt ist der britische Monarch; der Erzbischof von Canterbury fungiert als ihr geistlicher Führer.
Mehr zum Thema – Kriegstüchtigkeit gottgewollt? Die religiöse Verbrämung der deutschen Aufrüstung