Angeblich "Schattenflotte": Frankreich kapert Öltanker in neutralen Gewässern

"Boracay", ein Öltanker, der aus Russland nach Indien unterwegs war, wurde von der französischen Kriegsmarine in neutralen Gewässern gekapert. Mangels triftiger Anlässe sehen Experten den einzigen Beweggrund darin, einen bewaffneten Zusammenstoß mit Russland zu provozieren.

Frankreichs Marine hat am ersten Oktober die Festsetzung eines Öltankers der, wie es heißt, "Schattenflotte Russlands" durch eine ihrer Sondereinheiten vermeldet. Hierüber berichtet unter anderem die Nachrichtenagentur Reuters. Der Tanker habe gegenüber der französischen Hafenstadt Saint-Nazaire vor Anker gelegen und sei von französischen Soldaten am Sonnabend, dem 27. September, geentert worden, meldet der französische Sender BFM TV mit Verweis auf Frankreichs Militär und Staatsanwaltschaft.

Die "Boracay" war unter der Flagge Benins aus Primorsk in Russland in den Hafen Vadinar in Indiens Bundesstaat Gujarat unterwegs. Die Route führte aus der Ostsee, durch die Nordsee und den Ärmelkanal und den Golf von Biskaya – und genau im Golf von Biskaya griff das französische Militär zu.

Französischen Medien zufolge habe die Mannschaft keine Papiere über die Zugehörigkeit des Frachtschiffes vorweisen können und habe sich geweigert, offizielle Anweisungen auszuführen. (Eine dahingehende Erklärung gab auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ab.) Das Schiff sei in Frankreichs Gewässer bugsiert worden und der Kapitän und der Erste Offizier seien festgenommen worden.

Derweil besagen Daten des weltweiten Automatic Identification System (AIS) zur Überwachung der Fortbewegung von Schiffen, dass die Route der "Boracay", früher auch bekannt als "Varuna" sowie "Kiwala" und erst kürzlich in "Pushpa" umbenannt, ausdrücklich nicht durch Frankreichs Gewässer und in der Tat in einigem Abstand von ihnen führte. Erst kurz vor Festsetzung änderte das Schiff abrupt seinen Kurs, fuhr unmittelbar an die Grenze der französischen Gewässer und ging dort vor Anker. Somit fehlt für eine Festsetzung des Gefährts und die Festnahme der Mannschaft jegliche rechtliche Grundlage.

Zwar wurde in der französischen Zeitung Le Figaro die Vermutung geäußert, dass die nicht näher identifizierten unbemannten Luftfahrzeuge, die in der Nacht vom 22. auf den 23. September 2025 angeblich über Dänemarks Staatsgebiet gesichtet worden seien, vom Bord der "Boracay" gestartet worden sein könnten – das Schiff passierte neben zwei weiteren, der "Oslo Carrier-3" und der "Astrol-1", in jener Zeit die dänische Küste. Doch die, wie es heißt, laufenden Ermittlungen in Dänemark haben keine handfesten Beweise auch nur für die Zugehörigkeit der angeblich gesichteten Drohnen hervorgebracht.

Es ist davon auszugehen, dass es auch nicht erfolgen wird: Nach bisherigem Wissensstand ist keine einzige Drohne im Rahmen des angeblichen Vorfalls im letzten September-Drittel von Dänemarks Streitkräften abgeschossen oder mit Mitteln der elektronischen Kampfführung zwangsgelandet worden oder aber irgendwo auf dem Boden oder in den Gewässern des Landes niedergegangen. Zwar befinden London und auch Paris, dass die "Boracay" unter Sanktionen stehe – doch in internationalen Gewässern bedeuten Sanktionen nichts, merkt der stellvertretende Vorsitzende der Russischen Akademie für Transportwesen, Wladimir Rudometkin, gegenüber dem russischen Sender 5-TV an:

"Was sind diese Sanktionen überhaupt? Im Wesentlichen sind die Sanktionen ganz gewöhnliches Banditentum. Das ist wie wenn ein Nachbar mir verbietet, einen anderen Nachbarn zu besuchen. Weswegen das denn? Wer gab ihm ein solches Recht?"

Earl Rasmussen, Oberstleutnant der US-Streitkräfte a. D., heute Politologe, teilt folgende Ansicht:

"Ich halte das Ganze für sehr verdächtig. Auch hat Frankreich gar nicht erklärt, welche Beanstandungen es denn im Zusammenhang mit diesem Öltanker hat. Möglicherweise will man in Paris Trump zeigen: 'Von wegen hier, wir bekämpfen das russische Erdöl auch!'"

In der Tat fand die Festsetzung just im Vorfeld eines informellen EU-Gipfeltreffens statt, bei dem man neben der Erhöhung von Militärausgaben auch Druckmaßnahmen gegen Russlands "Schattenflotte" an Erdöltankern besprechen will. Daher scheint die obige Annahme des Politologen sehr wahrscheinlich. Rasmussen führt im Gespräch mit der russischen Zeitung Iswestija noch etwas weiter aus:

"Ich denke, das mit den Drohnen ist für sie nur ein Vorwand, um ein Schiff zu überwachen und dann anzusteuern. Drohnen fliegen von der Ukraine aus los, nicht von irgendwo anders her. Es heißt, sie kamen von diesem Schiff, aber werden wir Beweise sehen? Höchstwahrscheinlich nicht. Es wird nach Wegen gesucht, die USA stärker in den Konflikt zu verwickeln, sie in den Konflikt 'einzusaugen', genauer gesagt, sie sich nicht davon distanzieren zu lassen – sowie die NATO unmittelbar in den Konflikt zu verwickeln."

Somit bietet sich glaubwürdig nur ein Ziel an, das Frankreich mit der Festsetzung des Öltankers und der Festnahme seiner Mannschaft verfolgen könnte – einen bewaffneten Zusammenstoß mit Russland zu provozieren.

Dmitri Solonnikow, Leiter der russischen, nichtkommerziellen Denkfabrik Institut der modernen Staatsentwicklung, kommentiert den Vorfall vor Frankreichs Küste mit Rückblick auf ähnliche Vorfälle im Ostseeraum – REN TV zitiert:

"Es laufen Informations-, Militär- und technische Maßnahmen in Vorbereitung einer Provokation in der Ostsee – um einen Konflikt zu entfachen, der letztlich zu einem militärischen Zusammenstoß auf breiter Front zwischen der NATO und Russland führen soll. Provokationen der NATO-Staaten gegen Handelsschiffe, die ab Russlands Häfen ausliefen oder sie ansteuerten, gab es über den ganzen Sommer hinweg. Polen, Estland, Finnland und Deutschland versuchten sich am Kapern von Schiffen, um die Fracht zu enteignen. Jetzt ist auch Frankreich zu ihnen gestoßen."

Früher in diesem Jahr, im April, war die "Boracay" von der estnischen Küstenwache festgesetzt worden – und zwar unter demselben Vorwand wie jetzt von Frankreichs Marine. Schließlich jedoch musste Estland das Schiff weiterfahren lassen. Dass das Schiff weiter verkehren kann, bedeutet also, dass mit seinen Dokumenten wohl alles in Ordnung sein dürfte.

Kremlsprecher Dmitri Peskow gab zum jüngsten Vorfall keinen Kommentar ab und verwies auf einen Mangel an Informationen diesbezüglich. Indes erinnerte er daran, dass Mitgliedstaaten der NATO häufiger derartige Kaperversuche vornehmen, und zwar primär im Ostseeraum – und dass Russland deshalb seine eigenen Militärkapazitäten zum Schutz der Handelsschiffe einsetzt.

Zur Erinnerung: Ein weiterer Versuch Estlands, einen Tanker festzusetzen – die "Jaguar", die im Mai 2025 ab Indien losgefahren war und unter der Flagge Gabons einen Hafen in Russland ansteuerte – glückte nicht: Obwohl die estnischen Patrouillenboote von Düsenjägern der polnischen Luftwaffe unterstützt wurden, konnte auch die Jaguar ihrerseits auf Luftunterstützung zählen. Das Auftauchen eines Jagdflugzeugs der russischen Luftwaffe dämpfte den Enthusiasmus der Esten und Polen drastisch, und das Schiff konnte unbehelligt weiterfahren.

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