Warum der "Verhandlungsbereitschaft der Ukrainer" nicht zu trauen ist

Ukrainische Soziologen versichern, dass in ihrem Land "der Wunsch nach Verhandlungen derzeit extrem groß ist" und dass es sogar zu einem "Umschwung in der öffentlichen Meinung" hinsichtlich des andauernden militärischen Konflikts mit Russland gekommen sei. Diese Behauptungen sind jedoch nur reine Manipulation.

Von Wassili Stojakin

Fangen wir damit an, dass die ukrainische Statistik und Soziologie in Kriegszeiten Lügen, dreiste Lügen sind. Das gilt aber für die Kriegszeiten, denn in Friedenszeiten funktioniert die ukrainische Soziologie ganz gut. Anhand ihrer Daten konnte man die Wahlergebnisse gut vorhersagen. Derzeit weisen die üblichen soziologischen Instrumente jedoch aufgrund von Verzerrungen in der Stichprobe, dem Einfluss von Propaganda und elementarer Angst eine sehr hohe Fehlerquote (nach Schätzungen 10 bis 15 Prozent) auf.

Und nun sagte Alexei Antipowitsch, Direktor der Soziologiegruppe "Rating", in der Sendung der bekannten ukrainischen Journalistin Natalja Mosseitschuk, dass "die Nachfrage nach Verhandlungen heute extrem hoch" sei. Er fügte hinzu:

"Dies unterscheidet sich deutlich von der Stimmung zu Beginn des Krieges, als etwa 73 Prozent die Idee unterstützten, die Kampfhandlungen bis zur Rückeroberung der Krim und des Donbass fortzusetzen. Mit der anhaltenden Dauer des Konflikts kam es jedoch zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung."

Die Soziologiegruppe "Rating" ist ein angesehenes Unternehmen mit einer langen Geschichte und einem guten Ruf. Derzeit arbeitet sie jedoch schlecht, wie alle anderen auch. Gleichzeitig ist der unbestreitbare Vorteil von "Rating" die Verfügbarkeit einer Datenbank, die es ermöglicht, die Zahlen in ihrer Dynamik zu verfolgen. Und wenn auch die Zuverlässigkeit der Prozentsätze an sich fraglich ist, so sollte die Dynamik doch keine Zweifel aufkommen lassen.

Antipowitsch bezieht sich auf die Ergebnisse einer Umfrage, die sein Dienst vom 21. bis 23. August durchgeführt hat. Der Auftraggeber wird, wie üblich, nicht genannt, aber indirekten Angaben zufolge handelt es sich um das Büro des Präsidenten. Daher sollte man die Ergebnisse der Umfrage noch genauer betrachten.

So sind 59 Prozent der befragten Einwohner der Ukraine tatsächlich der Meinung, dass die Kampfhandlungen eingestellt und ein Kompromiss mit Russland gesucht werden sollte. Für eine Fortsetzung des Krieges sind 33 Prozent (wobei 13 Prozent einen Stopp an der Grenze von 2022 befürworten – offenbar betrachten sie die Krim und den Donbass als "abgetrenntes Stück Land"). Das ist kein Rekordwert – im Mai waren es 66 Prozent zu 27 Prozent. Nach Mai gab es jedoch die ukrainische "Operation Spinnennetz" und die Angriffe auf russische Ölraffinerien, die sich verständlicherweise auf die öffentliche Meinung ausgewirkt haben.

Zum Vergleich: Im Februar 2023, kurz vor der "mächtigen Gegenoffensive", sprachen sich 12 Prozent für Verhandlungen und 84 Prozent für den Krieg aus. Der Wendepunkt kam, wie zu erwarten war, zwischen 2023 und 2024, als klar wurde, dass die "Gegenoffensive" gescheitert war. Zwischen November und Januar stieg die Zahl der Befürworter einer friedlichen Lösung von 24 Prozent auf 33 Prozent.

Noch eindeutiger war das Ergebnis in der Frage nach dem Weg zur Beendigung des Krieges: 82 Prozent befürworteten Verhandlungen und nur 11 Prozent eine rein militärische Lösung. Interessant ist auch hier, dass im April ein Punkt zu bilateralen Verhandlungen mit Russland hinzukam, den 20 Prozent der Befragten befürworteten (die übrigen sprachen sich für einen größeren Verhandlungskreis aus).

Auf den ersten Blick scheint: Je schlechter die Lage an den Fronten für die Ukraine ist, desto mehr ihrer Einwohner wünschen sich Frieden und Verhandlungen mit Russland. Auch wenn die Daten von "Ranking" zur Kriegslust der Ukrainer höchstwahrscheinlich übertrieben sind, lässt die Dynamik selbst keine besonderen Zweifel aufkommen. Sie entspricht der objektiven Lage an der Front und dem Stand der ukrainischen Propaganda.

Wenn man jedoch beginnt, sich mit den Besonderheiten der öffentlichen Stimmung auseinanderzusetzen, wird klar, dass die Lage nicht so eindeutig ist – seit 2014 schienen die Ukrainer die meiste Zeit ebenfalls für eine friedliche Lösung des Konflikts einzutreten. Aber wie Antipowitsch erklärte, "bedeutet dies nicht Kapitulation oder Frieden um jeden Preis. Die Menschen wollen Frieden, aber unter Bedingungen, die klare Sicherheitsgarantien bieten. Es geht nicht um eine Rückkehr zu den früheren Beziehungen mit Russland." In der Praxis bedeutet die Position "gegen Frieden um jeden Preis" in dieser Umfrage "Frieden als Ergebnis eines Sieges der Ukraine über Russland".

In denselben "Rating"-Daten taucht die nächste Frage auf: Sollte die Ukraine einem Waffenstillstand zustimmen? Und hier stellt sich plötzlich heraus, dass 94 Prozent dagegen sind! Übrigens sieht die Situation in dem Diagramm, das "Rating" sorgfältig erstellt hat, genau umgekehrt aus: 78 Prozent sind dafür...

Das Geheimnis dieser völlig harmlosen Fälschung ist leicht zu lüften: 75 Prozent sind zwar für einen Waffenstillstand, aber nur, wenn die USA und die EU sich bereit erklären, die ukrainische Armee zu finanzieren und mit Waffen zu versorgen. Wenn sie sich verpflichten, gegen Russland zu kämpfen, falls Kiew dies wünscht. Und sie sollten in diesem Fall im Luft- und Seeraum der Ukraine patrouillieren und Truppen auf dem Territorium der Ukraine stationieren.

Ein Teil der Befragten versteht sicherlich nicht, dass Russland niemals einer Besetzung der Ukraine durch die NATO zustimmen würde, aber das ist eine Minderheit. Die Mehrheit orientiert sich an Vorstellungen, wie sie beispielsweise der bekannte neoliberale Philosoph Yuval Harari vertritt, der am vergangenen Samstag in der Financial Times einen Artikel mit dem Titel "Warum die Ukraine den Krieg gewinnt" veröffentlichte. Kurz zusammengefasst heißt es dazu, dass Russland die Ukraine angeblich zerstören wollte, und da sie noch existiert, habe Russland verloren. Dabei hat Harari nichts Neues erfunden, er wiederholt lediglich das traditionelle Motiv der ukrainischen Propaganda.

Einerseits tragen solche Veröffentlichungen dazu bei, dass immer mehr Menschen den Krieg durch Verhandlungen beenden wollen – denn wenn Russland verliert, muss es ja nicht weiterkämpfen. Andererseits wecken solche Veröffentlichungen überhöhte Erwartungen an die Verhandlungen: Denn wenn Russland eine Niederlage erlitten hat und darüber informiert wurde, muss es ja nachgeben... Derzeit gibt es natürlich "positive" Entwicklungen in den Umfrageergebnissen – immerhin geht es um Garantien und nicht um die Rückkehr zu den Grenzen von 1991, aber das ist auch schon alles.

Zum Vergleich führen wir hier mal die Daten einer anderen renommierten soziologischen Organisation an – des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie. Seinen Daten zufolge glauben 76 Prozent der Ukrainer, dass die Ukraine in der Lage sei, Russland zu besiegen (natürlich mithilfe des Westens). Der Begriff "Sieg" wird nicht näher erläutert, aber die Tendenz der öffentlichen Meinung in Richtung "Siegeswahn" ist offensichtlich, auch wenn die Daten überhöht sind.

Weiter folgt eine komplexe, fachliche Frage – die Befragten sollen zwischen einem "hypothetischen Plan Europas und der Ukraine" und einem "hypothetischen Plan Russlands" wählen. Gemäß dem ersten Plan soll die Ukraine eine dauerhafte Lieferung von Waffen und den Schutz durch die Luftabwehr der NATO erhalten und keine Gebietsverluste anerkennen. Außerdem sollen die Sanktionen gegen Russland bestehen bleiben. Dieser Plan sieht faktisch einen Angriff auf Russland in naher Zukunft vor, jedoch nicht seitens der Ukraine, sondern seitens der westlichen Koalition. 74 Prozent der Befragten sind bereit, diesem Plan zuzustimmen, 56 Prozent von ihnen sind jedoch der Meinung, dass es schwer sein werde, ihn auszuführen. Es fällt ihnen natürlich schwer, die Unfähigkeit der ukrainischen Streitkräfte, bereits verlorene Gebiete zurückzuerobern, anzuerkennen.

Die zweite Option spiegelt in hohem Maße die Ziele der russischen militärischen Sonderoperation wider: Die USA und Europa heben alle Sanktionen gegen Russland auf, die russische Sprache erhält einen offiziellen Status in der Ukraine, die Ukraine reduziert ihre Armee und verzichtet auf eine NATO-Mitgliedschaft, erkennt die Krim, die Gebiete Donezk und Lugansk als Teil Russlands an, Russland behält die Kontrolle über Teile der Regionen Cherson und Saporoschje. 75 Prozent der Befragten sind kategorisch dagegen. Es ist bemerkenswert, dass drei Prozent bereit sind, dieser Option zuzustimmen. (Hoffen wir mal, dass die Soziologen die Daten dieser drei Prozent nicht an den ukrainischen Geheimdienst SBU weitergegeben haben.)

Das ist genau das, was wir seit vielen Jahren beobachten. Nehmen wir zum Beispiel die Daten einer Umfrage des Rasumkow-Zentrums (eine etwas weniger renommierte Organisation, aber ebenfalls mit einer langen Geschichte), die im Juni 2019 durchgeführt wurde. Damals ging es um die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen.

69 Prozent waren bereit, die Frage der Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine auf friedlichem Wege zu lösen. Gut, und weiter? Und weiter folgt eine Reihe von Fragen zu den Punkten der Minsker Vereinbarungen, denen die Mehrheit ablehnend gegenüberstand. Gegen einen "Sonderstatus" (der Donbass-Gebiete) waren 50 Prozent, gegen einen neutralen Status (der Ukraine) waren 49 Prozent, gegen einen offiziellen Status der russischen Sprache waren 54 Prozent, gegen eine Amnestie 62 Prozent... Für die Beendigung der Blockade der Donezker und Lugansker Volksrepubliken waren nur 34 Prozent. Anzumerken ist, dass die Kompromissbereitschaft damals in etwa der heutigen entsprach.

Das heißt, es handelt sich um eine normale, beständige Besonderheit der öffentlichen Stimmung in der Ukraine – sie sind zu Verhandlungen bereit, wenn das Ergebnis dieser Verhandlungen die Kapitulation Russlands ist. Die Weigerung von Wladimir Selenskij, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen, und die weitere Eskalation, die zur militärischen Sonderoperation führte, entsprechen genau den Wünschen der ukrainischen Öffentlichkeit.

Natürlich sind die Ukrainer Opfer totalitärer Propaganda und leistungsstarker Technologien zur Kontrolle des Massenbewusstseins geworden. Ja, das ist zumindest bis zu einem gewissen Grad heilbar. Aber das entbindet sie nicht von ihrer Verantwortung für die Entscheidung zugunsten des Krieges. Im Strafrecht gilt Trunkenheit als strafschärfender Umstand.

Hier sind noch zwei weitere Überlegungen, die die augenscheinlich vorhandene Bereitschaft der Ukrainer zum Frieden zunichtemachen. Erstens: Nach den jüngsten Äußerungen des US-Präsidenten Donald Trump über die Möglichkeit einer Rückkehr zu den Grenzen von 1991 (das war ironisch gemeint, aber nicht alle haben das so verstanden – Selenskij beispielsweise tat so, als hätte er diese Äußerung für bare Münze genommen) hat sich die öffentliche Meinung in der Ukraine sicherlich ins Gegenteil verkehrt.

Zweitens: Selbst wenn die Ukrainer beispielsweise bereit wären, nicht nur Verhandlungen aufzunehmen, sondern auch Zugeständnisse zu machen, gibt es im Rahmen der in der Ukraine errichteten autoritären Diktatur dennoch keine Mechanismen, die es ihnen ermöglichen würden, solche Wünsche an die Führung des Landes weiterzuleiten. Abgesehen vielleicht von Meinungsumfragen.

Natürlich ist Russland für eine friedliche Lösung des Konflikts. Aktuelle Daten ukrainischer Soziologen bestätigen jedoch: Bevor man sich einigen kann, muss Russland erst einmal siegen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 29. September 2025 auf der Webseite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

Wassili Stojakin ist Analyst bei der Zeitung "Wsgljad".

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