"ESC der Schurkenstaaten" – Deutschsprachige Medien berichten über den Intervision 2025

Eine sachliche Kulturberichterstattung scheint in Bezug auf Russland schwierig bis unmöglich. Moskau habe einen "Gegen-ESC veranstaltet", da das Land "auch kulturell zurück auf die Weltbühne" möchte. Das ZDF erkannte ein "geopolitisches Instrument". Spiegel-Leser erfahren: Der Name stammt aus dem Kalten Krieg.

Der Musikwettbewerb "Intervision 2025" in Moskau kann aufgrund der technisch einwandfreien Durchführung einschließlich des Bühnenprogramms auf internationalem Niveau, der individuellen Qualität der vortragenden Künstler aus 23 Ländern, der ausgesprochen positiven Resonanz sowie einem Milliardenpublikum schlichtweg als großer Erfolg betrachtet werden. Deutschsprachige Medien versuchen, die Veranstaltung als kümmerliche, bemühte Kopie zu diskreditieren, laut "ESC-Kompakt", einem "unabhängigen deutschsprachigen Nachrichtenblog von Fans für Fans", sei sie jedoch lediglich als ein "politisch-initiierter Gegenentwurf zum freiheitlichen Eurovision Song Contest" zu betrachten.

Russland wurde im Jahr 2022 "wegen seiner Invasion der Ukraine" vom Eurovision ausgeschlossen, so die Süddeutsche Zeitung den Lesern vor Start des Wettbewerbs erläuternd, um im Artikel weiter auszuführen, dass das Land sich nun mit dem "Intervision 2025" "tröstet" (Bezahlschranke). Die Überschrift ist erwartungsgemäß unsachlich und lautet: "Ein Lied für Putin", woraufhin die Autorin mutmaßend im weiteren Verlauf des Artikels ausführt:

"Wladimir Putin schickt seinen Superstar ins Rennen. Wer sonst sollte Russland vertreten, wenn der Kreml einen Musikwettbewerb ausrichtet, um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren: Jaroslaw Dronow, 33, besser bekannt als Shaman, liefert Putin mit Songs wie 'Moj Boj' (Meine Schlacht) und 'Ja Russkij' (Ich bin Russe) den Soundtrack zu dessen Krieg gegen die Ukraine."

Die Überschrift mit der klarsten russophoben Nuance lieferte das SPD-nahe RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND):

"Russlands ESC der Schurkenstaaten – 'Intervision'-Musikwettbewerb in Moskau. Wo bärtige Männer in Frauenkleidern unerwünscht sind"

Die Redaktion änderte dann jedoch schlussendlich noch die Wahrnehmung von Paul Katzenberger, dem RND-Korrespondenten in Moskau, und löschte den "Schurkenstaaten"-Part (Bezahlschranke). Katzenberger berichtete nach Ende des Wettbewerbs orakelnd:

"Beim 'Intervision Song Contest' in Moskau geht Vietnam als Sieger hervor. Doch der Musikwettbewerb war wohl nicht der große Zuschauermagnet, den sich der Kreml erhofft hat."

Seine Wahrnehmung lautet weiter:

"Die Show ähnelte dem ESC, indem viel Pyrotechnik zum Einsatz kam. Doch die Choreografien waren mit Interpreten, die häufig nicht viel mehr taten, als zu singen und zu musizieren, vergleichsweise einfach gehalten."

Also sich wesentlich darauf konzentrierten, worum es eigentlich geht in einem Wettbewerb, und nicht wie beim ESC-Pendant, wo versucht wird, auffällige künstlerische Defizite durch exaltierte Darbietungen auszugleichen. Abschließende Mängel bei der Veranstaltung waren demnach:

"Die konservative Ausrichtung passte zu dem Wunsch des Kremls, die Show solle die sozialen Ideale der russischen Regierung widerspiegeln. [...] Für Queerness war da kein Platz."

Die Spiegel-Redaktion kündigte den "Intervisions 2025" als "Putins Potemkin’scher Song Contest" an (Bezahlschranke). Der Name stamme "aus dem Kalten Krieg", ausgehend von der schlichten Tatsache, dass im Jahr 1965 der Intervision-Contest erstmalig in Prag ausgerichtet wurde. Der Spiegel-Leser wird erinnert:

"1968 traten sogar mehrere Länder aus dem Westen bei der Intervision an – darunter auch die Bundesrepublik (mit Alexandra und Rex Gildo). Doch die Niederschlagung des Prager Frühlings beendete dieses Kapitel vorerst."

Absicht der heutigen Veranstalter sei es gewesen, dass die Intervision-Neuauflage "nach russischem Wunsch weit über die post-sowjetische Einflusssphäre wirken soll". Das Gastgeberland wurde durch den "ultranationalistischen Sänger Jaroslaw Dronow alias Shaman vertreten", so die Hamburger Redaktion.

Für die ZDF-Redaktion wurde der Wettbewerb mit klaren Vorgaben und Zielen Moskaus "reaktiviert":

"Einst als Veranstaltung für die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten gegründet, soll Intervision nun gegen den Westen gerichtete Narrative verbreiten und Russlands Soft Power inmitten der anhaltenden Ukraine-Offensive stärken, wegen der Russland seit 2022 vom ESC ausgeschlossen ist."

Demnach würden sowohl "ehemalige Sowjetrepubliken wie Usbekistan und Kasachstan" teilnehmen als "auch Verbündete Russlands wie China, Indien und Brasilien". Anders als beim ESC, "wo mittlerweile Englisch vorherrscht, singen beim Intervision alle Teilnehmer in ihrer Muttersprache". Dazu heißt es weiter:

"Ein 'Musik-Fest' gegen die 'Dekadenz' des Westens. Die Organisatoren versprechen ein 'echtes Musik-Fest', das die 'nationale Identität' fördere. Das ist ganz im Sinne der Führung in Moskau, die traditionelle Werte hochhält und seit Jahrzehnten die 'Dekadenz' des Westens mitsamt der LGBTQ-Gleichberechtigung anprangert."

Für den WDR "warnte" ein T-Online-"Experte" der "sich mit Musik und Politik in Russland auskennt", dass der Wettbewerb rein der Kreml-Propaganda dienen könnte. Russland wolle mit der Veranstaltung "eben zeigen, wir sind wieder da, wir waren nie weg, und schaut her, wie viele Verbündete wir haben".

Der schweizerische SRF ließ vor dem Start wissend kommentieren:

"Was hier gross inszeniert ist, trifft im russischen Alltag aber auf keine grosse Resonanz, sagt Russlandkorrespondent Calum McKenzie: 'Die russische Bevölkerung springt nicht enthusiastisch auf solche neuen Events auf. Eurovision war sehr populär in Russland und der Intervision Song Contest hat nicht dieselbe Aura, dieselbe Geschichte. Ich spüre in der russischen Bevölkerung nicht die große Begeisterung'."

Der österreichische Standard erkannte im Vorfeld lediglich "zynische Propaganda" vonseiten Moskaus. So hätte Duc Phuc aus Vietnam "Putins Propaganda-Show Intervision gewonnen", wobei der "russische Teilnehmer Jaroslaw Dronow alias Shaman auf seine Bewertung verzichtete, um der Peinlichkeit entgegenzuwirken, am Ende zu gewinnen".

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