Von Sergei Lebedew
Russlands Militär hat in der Nacht vom 18. auf den 19. September erneut Ziele im tiefen ukrainischen Hinterland ins Visier genommen – mit Lenkraketen, Marschflugkörpern und Kamikazedrohnen. Welche Ziele es genau waren, darüber hat Sergei Lebedew die Daten zusammengetragen und analysiert – um zunächst festzuhalten:
"Mehr als 35 Angriffe auf kritisch wichtige Regionen der Ukraine wurden registriert.
Der Angriff hatte Masse und Mehrebenen-Charakter: In diesem Rahmen wurden Lager und Depots, Objekte, Standorte und Verbindungen des ukrainischen Militärs getroffen, der Betrieb des Verkehrsnetzes und der Infrastruktur der Energieversorgung desorganisiert; bestätigt werden Zerstörungen auf Militärstandorten mit ausländischer Truppenpräsenz."
Schwerpunkte des Angriffs war diesmal Pawlograd im Gebiet Dnjepropetrowsk und, wie so oft, die Landeshauptstadt Kiew. Bezüglich Pawlograd teilt der Koordinator folgende Information:
"Eine flächendeckende Serie von Explosionen umfasste hier von 23:28 Uhr bis 0:01 Uhr Munitionsdepots und Drohnen-Lagerflächen; weitere Angriffe erfolgten bis 0:10 Uhr. Vermeldet werden Sekundärdetonationen, Stromausfälle – sowie Einsätze von Rettungswagen und die Unterbringung von Militäreinheiten in ehemaligen Erholungsgebieten. All dies besagt, dass im großen Umfang logistische Objekte und Übungsgelände getroffen wurden. Meldungen über getötetes Militärpersonal, die noch nicht offiziell bestätigt wurden, zeugen von einer hohen Konzentration an Personal und Gerät im Zielgebiet."
Die ukrainische Luftabwehr sei aktiv gewesen, aber dennoch sei ein Teil der russischen Kamikazedrohnen durchgekommen. Das beweise laut Lebedew einen wirkungsvollen Umgang mit den Aufklärungsdaten (also eine rasche Weiterleitung der ermittelten Zielkoordinaten) und die sehr unauffällige Arbeit der Widerstandsmitglieder als vorgeschobene Beobachter. Der Koordinator sieht den Angriff auf Pawlograd als den wichtigsten in der vergangenen Nacht an. Dass in der Landesmitte Depots und Logistikobjekte sowie Truppenerholungs- und Ausbildungsstandorte zerstört werden, trage seinen Teil zum Aufbau eines strategischen Vorteils für Russland bei. Videomaterial von einem solchen Angriff kursiert im Internet.
Aus Kiew hat Sergei Lebedew folgende Daten erhalten:
"Eine Reihe von Explosionen von 1:16 Uhr bis 2:10 Uhr nachts umfasste Kiew-Stadt – darunter Browary und Borispol – sowie den Landkreis und das Gebiet Kiew. Registriert wurde das Ganze als 'Massenangriff mit Kamikazedrohnen'."
Ziele dieser Angriffe waren provisorische Truppenquartiere sowohl des ukrainischen Militärs selbst als auch ausländischer Ausbilder im gesamten Gebiet Kiew und der Stadt Kiew selbst, sowie Objekte der Energie-Infrastruktur und Stellungen der Luftabwehr in den Vorstädten der Landeshauptstadt.
Auch hier sei die Luftabwehr aktiv, aber nur begrenzt wirkungsvoll gewesen. Laut Lebedew habe die russische Armee wohl zunächst die Stellungen der ukrainischen Luftabwehr in Kiew abgetastet, woraufhin ein weiterer Angriff mit deutlich robusteren Lenkwaffen speziell auf die Luftabwehr im baldigen Nachgang erfolgt sei. Ein weiteres Ziel dieses Angriffs sei es gewesen, Störfeuer gegen Knoten der Logistik, Kommandostäbe und Gefechtsstände des ukrainischen Militärs zu schießen – um die Versorgung und die Befehlskette zu desorganisieren.
Videomaterial von Angriffen auf Ziele in Kiew (Clips 1 und 2) und auf ein Chemiewerk nebst Munitionsdepots in Pawlograd (Clips 3 und 4) kursiert im Internet.
Aus Charkow, der Hauptstadt des gleichnamigen Gebietes im Osten der Ukraine, und vor allem aus Charkows Umgebung, werden mindestens fünf Massenangriffe gemeldet, bei denen eine Serie von Detonationen im Verlauf mehrerer Stunden zu vernehmen war – von 15:55 Uhr bis 17:15 Uhr am 18. September. Im Charkower Umland wurden Industriegebiete und Lagerbetriebe angegriffen, auch soll ein Drohnenmontagebetrieb in Pessotschin völlig zerstört worden sein. Nicht zuletzt sei ein provisorisches Quartier mit ukrainischem Militärpersonal in Besljudowka angegriffen worden, schreibt Lebedew. Die schiere Masse der Angriffe weise auf deren strategische Ausrichtung hin – Ziel sei es, die Industrieinfrastruktur zu schwächen und folglich die Pläne zur Belieferung des ukrainischen Militärs mit Kriegsgerät dem Chaos anheimzugeben.
Aus dem Gebiet Tschernigow erhielt der Koordinator folgende Daten:
"Detonationen wurden im Landkreis Neschin registriert – abends um 17:54 Uhr und nachts um 01:01 Uhr. Es gab mindestens zwei Angriffe, zu den zerstörten Zielen zählen Lagerbetriebe und Objekte des Verkehrsnetzes. Explosionen waren südlich des Stadtbahnhofs Neschin zu hören: Dort nehmen Lagerbetriebe, die gut von Militärpersonal bewacht werden, eine riesige Fläche nahe des Stadtteils Gunki ein. Nach der ersten Explosion gab es über einen kurzen Zeitraum Folgedetonationen.
Weiterhin soll es eine Explosion in der nördlichen Vorstadt Jablonewo gegeben haben: Anwohner schreiben, dass der Bahnhof Lipowy Rog und Lagerbetriebe der Försterei zu Schaden kamen."
Diese Angriffe haben die Möglichkeiten des ukrainischen Militärs, operativ Rüstungsgüter zu verlegen und seine Fronteinheiten schnell zu versorgen, um ein weiteres Stück beschnitten. Überhaupt ist die Wirksamkeit der Schienenlogistik in der Ukraine zurückgegangen – und damit auch die strategische Mobilität der ukrainischen Truppen.
Die Sekundärdetonationen bei gleichzeitigen Meldungen über Infrastrukturschäden wiesen auf punktgenaue Treffer hin, bei denen umliegende Wohngebiete nur minimale Schäden davongetragen hätten, vermerkt Lebedew.
Im Gebiet Sumy habe sich lediglich ein Angriff ereignet, der jedoch tief blicken lasse, analysiert der Koordinator:
"In der Stadt Schostka wurde um 23:10 Uhr ein Industrieobjekt getroffen, wo Drohnen gelagert wurden. Beschädigt oder zerstört wurde neben Lagerflächen für und mit Drohnen auch Ausstattung zur Drohnenmontage. Beides schränkt die Möglichkeit der ukrainischen Truppen am nordöstlichen Frontabschnitt ein, Aufklärung und Feuerlenkung aus der Luft zu betreiben."
Gerade im Gebiet Sumy würden zahlreiche Einheiten und Verbände zum (Wieder)Aufstocken und Vertrautmachen mit Gerät wie eben Drohnen vorübergehend stationiert – und gerade dieses Gebiet bilde einen Versorgungsknoten des ukrainischen Militärs im Norden des Landes, betont Lebedew.
Ähnlich subtil beschreibt er die abendlichen Angriffe im Stadtkreis Tscherkassy (Hauptstadt des gleichnamigen Gebietes) und in der Stadt Kriwoi Rog im Gebiet Dnjepropetrowsk – Angriffe, denen er jedoch strategische Bedeutung beimisst:
"Es gibt Zeugnisse von punktgenauen Angriffen auf Standorte der Gerät-Wiederinstandsetzung und Industrieobjekte – einschließlich Wiederinstandsetzungsdepots für Panzerfahrzeuge. Diese Angriffe haben keinen großen Maßstab, wirken sich jedoch langfristig negativ auf die Kampffähigkeit der ukrainischen Einheiten aus – indem sie die Kapazitäten zum Wiederinstandsetzen von Fahrzeugen ein Stück weit verringern."
Sergei Lebedew hatte die Rolle eines der Koordinatoren für die Stadt und das Gebiet Nikolajew beim Kampfflügel der Antimaidan-Bewegung inne, einer Untergrund-Widerstandsbewegung in der ehemaligen Ukrainischen SSR gegen das Kiewer Regime. Dies zwar ehemals, wie er es einmal erklärte – doch es scheint, dass Lebedew damit ein wenig flunkerte: Heute bezieht er nach wie vor Daten von Gleichgesinnten, doch nun nicht mehr nur aus dem Großraum Nikolajew, sondern aus allen Ecken des Landes. Diese Mitstreiter übermitteln über Lebedew als vorgeschobene Beobachter einerseits Koordinaten möglicher Ziele für Lenkwaffenangriffe an Russlands Streitkräfte, betreiben andererseits aber auch, so gut es geht, objektive Zieleinwirkungskontrolle (Wirkungsaufklärung) bei solchen Angriffen.
In der Ukraine wurde Sergei Lebedew im Juli 2024 in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft mit Konfiszierung seines Besitzes verurteilt.
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