Frankreich erlebt am 10. September eine Welle massiver Anti-Macron-Proteste. Die Bewegung "Bloquons tout" hat seit Monaten angekündigt, das Land "stillzulegen". Heute richten sich die Aktionen gegen zentrale Verkehrswege, Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Bildungseinrichtungen.
In Paris versuchen mehrere Tausend Demonstranten, den Périphérique, die meistbefahrene Autobahn Europas, zu blockieren.
Vor dem Gare du Nord kommt es zu Spannungen, als Sicherheitskräfte den Zugang sperren und Tränengas einsetzen, um die Menschenmenge zurückzudrängen.
In der Porte de Montreuil setzen Demonstranten Mülltonnen in Brand und blockieren Straßenbahnschienen.
Auch in Marseille, Toulouse, Nantes und Lyon kommt es zu Straßenblockaden und Barrikaden.
Die Bewegung entsteht dezentral über soziale Medien und Telegram-Kanäle. Sie richtet sich gegen Sparmaßnahmen, steigende Lebenshaltungskosten und Steuerpolitik zugunsten der Reichen.
Die Proteste fallen mit der Ernennung von Sébastien Lecornu zum Premierminister zusammen. Er übernimmt das Amt nach dem Rücktritt von François Bayrou, dessen Sparplan zur Reduzierung der Staatsverschuldung gescheitert ist. Die gleichzeitige Amtsübernahme Lecornus und die Proteste verdeutlichen die wachsende soziale Unzufriedenheit und die Kluft zwischen Regierung und Bevölkerung.
Frankreich steckt in einer tiefen Regierungskrise, die zunehmend an politische Hilflosigkeit erinnert. Nach dem Scheitern von Premier François Bayrou und dem klaren Misstrauensvotum in der Nationalversammlung hat Präsident Emmanuel Macron Verteidigungsminister Sébastien Lecornu zum neuen Premier ernannt.
Die Entscheidung wirkt weniger wie ein durchdachter politischer Schritt, als vielmehr wie eine Verzweiflungstat, ausgelöst von der Angst vor Wahlen.
Bayrou, der nur neun Monate im Amt war, scheiterte krachend mit seiner Minderheitsregierung. Sein strikter Sparkurs, der unter anderem Kürzungen von 44 Milliarden Euro und die Abschaffung zweier Feiertage vorsah, stieß auf breite Ablehnung in Parlament und Bevölkerung. Mit Lecornu wählt Macron nun einen engen Vertrauten, dessen Stärke in Loyalität und administrativer Routine liegt – nicht in politischer Vision oder der Fähigkeit, Mehrheiten zu schmieden.
Der 38-jährige Lecornu hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er pragmatisch und zuverlässig agiert, ohne eigene politische Ambitionen in den Vordergrund zu stellen. Als Verteidigungsminister hat er Frankreichs Position innerhalb der NATO gestärkt und die Streitkräfte stabil geführt. Doch als Premierminister steht er nun vor einer unmöglichen Aufgabe: die Haushaltskonsolidierung inmitten wachsender Schuldenberge durchzuführen und gleichzeitig ein zutiefst gespaltenes Parlament zu führen – ohne Hausmacht, ohne Charisma und ohne erkennbare politische Vision.
Die Ernennung Lecornus offenbart Macrons Kalkül: Stabilität um jeden Preis, Loyalität über alles, ein Schutz vor politischem Risiko angesichts bevorstehender Wahlen. Politische Ausgewogenheit oder Kompromissbereitschaft scheinen keine Rolle zu spielen.
Frankreich bleibt damit in einer Art Schockstarre gefangen, die wirtschaftliche Probleme verschärft und das Vertrauen in die politische Führung weiter untergräbt.
Macrons Entscheidung sendet ein klares Signal: Der Präsident klammert sich an Vertraute, weil er die Risiken freier Wahlen fürchtet, und setzt damit auf kurzfristige Kontrolle statt langfristiger Stabilität. Ob dieser Kurs Frankreich aus der Krise führen kann, bleibt mehr als fraglich.
Lecornu könnte im besten Fall die Verwaltung am Laufen halten, im schlimmsten Fall jedoch als Symbol für die zunehmende politische Hilflosigkeit Macrons dienen.
Gewerkschaften wie CGT und SUD unterstützen die Mobilisierung, während zahlreiche Studenten und Mitarbeiter im Gesundheitswesen auf die Straße gehen. Die Proteste stoßen in der Bevölkerung auf breite Zustimmung, sowohl bei Anhängern linker als auch rechter politischer Strömungen.
Die Wut richtet sich direkt gegen Macron: Kürzungen, steigende Preise und die zunehmende Vernachlässigung innenpolitischer Probleme stehen im Zentrum des Protests, während zugleich die Rolle Frankreichs in der Ukraine-Krise kritisch diskutiert wird.
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