Neues Pariser Strategiepapier: "Offener Krieg im Herzen Europas" bis 2030

Mittlerweile ist die westliche Kriegsballade von einem strategisch besiegten Russland ein ätzend elliptischer Ohrwurm der NATO-Medien. Aber allem Anschein nach ist es wirklich das, wonach sich die EU-Eliten sichtlich sehnen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.

Von Elem Chintsky

Sobald der neue europäische Krieg für alle in der EU spürbar begonnen und jede Stellvertreterei aufgehört hat, wird es kaum jemanden mehr geben, der darüber überrascht sein oder sich wundern wird. Die Chronik solcher Art Ankündigungen seit Februar 2022 ist hierfür mittlerweile allzu überfüllt.

Der neueste Eintrag in dieser Chronik der Kriegsvoraussagen ist das französische Strategiepapier "Revue Nationale Stratégique 2025". Demzufolge könnte mittelfristig ein großangelegter militärischer Konflikt in Europa beginnen. Wortwörtlich heißt es im Dokument:

"In den kommenden Jahren sowie bis 2030 ist die größte Bedrohung für Frankreich und die Europäer das Risiko eines offenen Krieges im Herzen Europas."

Ohne eine strikte forensische Not zu empfinden, einer triftigen Beweislage gerecht zu werden, wird von einer russischen "Aggression" in den nächsten drei bis fünf Jahren ausgegangen. Ein Wortlaut, der mittlerweile auch dem gelegentlichsten aller Medienkonsumenten gängig sein sollte. Dieser mythisch anmutende Zeitraum wird geradezu mit der Gewissheit eines Fünfjahresplanes propagiert. Oft wurde die Frage bereits gestellt, weshalb Moskau die offensichtliche Schlaksigkeit der jetzigen EU nicht nutzt und den unbeholfenen Staatenbund nicht schon jetzt angreift – statt zu warten, bis Berlin und Paris voll gewappnet sind für eine breitangelegte militärische Konfrontation ihrerseits?

Das Vorwort für die "Revue" verfasste der französische Staatspräsident Emmanuel Macron. Die gerade laufenden Kriege in der Ukraine, im Sudan, zwischen Israel und Iran sowie was er als "Krieg im Gazastreifen" bezeichnet, seien allesamt "akuteste Symptome eines globalen Zusammenbruchs", welcher aber "Konstanten" aufweist.

Die primäre Konstante für die Europäer sei laut Macron eben "die Persistenz einer russischen Bedrohung an Europas Grenzen, einer dauerhaften Bedrohung, die organisiert und vorbereitet wird und der wir in Zukunft begegnen müssen. Für die Europäer ist dies letztlich der Ausgangspunkt für alles", so das französische Staatsoberhaupt. Das geostrategische Leitmotiv für Europa ist also erneut gesetzt: Russland bleibt der holistische Erzfeind.

Im Bericht der französischen Behörden selbst liest sich eine hypothetische Kette möglicher Ereignisse. Demnach gehe man davon aus, dass es sich dabei um offensive Aktionen der Russischen Föderation in Moldawien, auf dem Balkan oder gegen NATO-Staaten direkt handeln könnte. Mit dem Balkan könnte gemeint sein, dass Russland in der Kosovo-Frage Serbiens Schlichtungsversuche unterstützen würde. Mit "offensiven Aktionen in Moldawien" meinen die französischen Experten, die Energiekrise Transnistriens vereinfachen zu wollen. Denn Chișinău unter Maia Sandu hat seit 2022 kein russisches Erdgas mehr gekauft – Transnistrien hingegen erhielt Energielieferungen aus Moskau noch bis zum 31. Dezember 2025. Grund dafür war das Auslaufen des Transitabkommens zwischen der Ukraine und Russland. So ist die vom Westen als "russisch okkupierte", abtrünnige Republik innerhalb Moldawiens eine tickende Zeitbombe. Bereits jetzt ist ein steiler Abstieg der industriellen Leistung der Teilrepublik zu verzeichnen – Transnistrien gehen die Energieressourcen aus. Moskau ist vor einer Gabelung: entweder weiter tatenlos zuschauen, wie Transnistrien sehr bald von prowestlichen Kräften gewaltsam assimiliert wird, oder: erneut handeln – wie beim Donbass. Würde Russland intervenieren und die geografische Distanz zwischen sich und Transnistrien dramatisch kürzen, wäre das der perfekte strategische Vorwand für den Westen, erneut empört aufzuschreien und einen "unprovozierten, russischen Blitzkrieg ohne jegliche Vorgeschichte" zu behaupten. 

Macron unterstreicht das, was auch der polnische Regierungschef Tusk und sein deutscher Kollege Merz in vielen Ansprachen bereits kommuniziert haben: Europa müsse sich unbedingt militärisch eigenständiger verwalten und darf sich nicht mehr einzig auf den Beistand der USA verlassen. Das korrespondiert auch symbiotisch mit Donald Trumps (eigentlich offener) merkantilistischer Geschäftsidee, die Europäer auf Russland zu hetzen – mit US-Waffen, die die EU vorher bei Washington D.C. eingekauft hat. Ehemalige US-Kosten für den Ukrainekrieg sollen laut der MAGA-Regierung nun in US-Profite konvertiert werden – zulasten der europäischen Volkswirtschaften, die sich bisher weigern, diesem selbstzerstörerischen Programm zu widersprechen.

Russlands Positionen – die Sicherheitsforderungen und Friedensbedingungen – haben sich in der gesamten relevanten Zeitspanne kaum geändert. Zudem hat der Kreml wiederholt betont, dass Russland keine nachvollziehbare Bedrohung für Europa darstelle. Staatsoberhaupt Putin bezeichnete westliche "Fiktionen" über Russlands Pläne, die NATO anzugreifen, als Unsinn, Wahnvorstellungen und "Angstmacherei für die Bürger". Gleichzeitig bemerkte er, dass diese "Fabeln" im Westen verbreitet würden, "um die eigene Bevölkerung zu täuschen". Auch wird damit darüber hinweggetäuscht, dass nahezu alle EU-Staaten mehr als genug innenpolitische Probleme haben. Dazu gehören die Abwanderung der Industrie, steigende Energiepreise und generelle Inflation, ein sabotiertes Rentensystem gepaart mit immer größerer Steuerlast, nicht mehr anzuhaltende oder zu tilgende Staatsverschuldung, eine Wohnraumkrise, nicht reformierbare Massenmigration und somit soziokulturelle Spannungen und Defizit getriebene Krankenkassen. Fast überall in der EU ist die unterschwellige Antwort dieselbe: Der Staat subventioniert, alimentiert und verstärkt seinen freiheitswidrigen Einfluss auf den einfachen Bürger und druckt mehr Geld bis der Schock von der Einführung des digitalen Euros und der damit einhergehenden Massenenteignung kommt. Die Vorzeigeantwort hingegen lautet, "Russland ist schuld an all dem – weshalb wir uns auf baldigen Krieg vorbereiten müssen".

Der Stille-Post-Effekt in der öffentlichen Kommunikation der beiden Blöcke, Russland und dem Westen, ist mittlerweile in den letzten Stadien seiner Verzerrung. Jede Mühe in Berlin, Warschau, Brüssel oder Paris, die russische Seite auch nur ansatzweise zu begreifen, ist abwesend. Aus dieser stillen Post ergeben sich nun zwei, kulturell leicht unterschiedlich formulierte Ultimaten. Putin erläuterte kürzlich, dass "es entweder ein souveränes Russland geben wird, oder gar kein Russland". Während Trump Russland 50 Tage gibt, um der Ukraine einen für das Kiewer Regime akzeptablen Waffenstillstand zu unterbreiten. Das eine ist getrieben von einer existenziellen Selbstbestimmung, während das andere von einem irrationalen Drang besessen ist, frühere Größe auf Kosten engster Verbündeter wiederzuerlangen. Mit den engsten Verbündeten der USA ist selbstverständlich die EU gemeint, die verblüffenderweise Trump wegen seiner oberflächlichen, soziokulturellen Meinungen verflucht – in seiner außenpolitischen Tollkühnheit (seine Israel- und Ukraine-Unterstützung betreffend) von den Europäern weitestgehend unhinterfragt verbleibt.

Dieser Cocktail namens "unüberbrückbare Differenzen" besteht aus prädiktiver Programmierung des NATO-Mediennetzwerks (wie im neuesten Strategiedokument Frankreichs erneut dargelegt) und einer europäischen Volksvertreter-Krise, in der die gewählten Staatsdiener gar keine eigene politische Hebelkraft oder moralische Handlungsfähigkeit mehr haben, sondern im Chor alten, parteiübergreifenden Machtinteressen dienen, die auf eine bestimmte, selbsterfüllende Prophezeiung hinarbeiten: auf einen unausweichlichen Krieg mit Russland, der mit einem strategischen Sieg des Westens enden soll. Etwas, was die Russen, Politologen wie Dmitrij Trenin – bei allem bisherigen guten Willen dem Wertewesten gegenüber – sich endlich begonnen haben einzugestehen. Immerhin sind auch die Deutschen endlich wieder bereit, Russen zu töten, wie der deutsche Verteidigungsminister kürzlich voller Zuversicht erläuterte. Das Timing könnte demnach nicht besser sein.

Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.

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