Bloß ein EU-Familienkrach? Michel Barnier beklagt "autoritäre Tendenzen" unter Ursula von der Leyen

Jahre sind vergangen – und es wirkt wie ein Familienkrach: Der frühere französische Premierminister Michel Barnier geht an die Öffentlichkeit. Und beklagt sich über Ursula von der Leyen. Die habe ihn vor Jahren übergangen, als die Brexit-Verhandlungen zu Ende gingen.

Michel Barnier, seines Zeichens nicht nur ehemaliger französischer Regierungschef, sondern seinerzeit auch Chef-Unterhändler der EU bei den Brexit-Verhandlungen, wirft nun EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen autoritäre Neigungen vor. Barnier drückte sich dabei diplomatisch verklausuliert aus und warf von der Leyen vor, eine "autoritäre Entwicklung" an der Spitze der Europäischen Kommission "zugelassen" zu haben.

Der 74-jährige Politiker stellte heute ein Enthüllungsbuch über seine Zeit in Brüssel und als Premier in Paris vor. Darin spricht er von einer Tendenz an der Spitze der EU, die "in den letzten sechs Jahren mit Ursula von der Leyen, die alles entscheiden will, noch zugenommen hat", so Politico.

In einem Gespräch mit dem Online-Portal kritisiert Barnier, dass sich die EU-Kommissare unter ihrer deutschen Chefin immer mehr als "Super-Technokraten" aufführen und immer weniger wie Politiker verhalten würden.

Barnier beschrieb die Brüsseler Polit-Praxis als isoliert und abgehoben: "Es wird nicht genug zugehört (gemeint ist die EU-Kommission; Anm. d. Red.). Es wird nicht genug auf die Menschen gehört."

Die Klagen des französischen Ex-Regierungschefs kommen nicht aus heiterem Himmel. Der deutschen Kommissionspräsidentin wird seit Langem nachgesagt, äußerst machtbewusst und hart gegen Kritiker vorzugehen. Sie habe ein Netzwerk aus Vertrauten und Verbündeten geschaffen, mit dem sie den EU-Apparat regiere. Ihre Amtszeit an der Exekutiv-Spitze Brüssels, wo die 27 Mitgliedstaaten durch eigene Vertreter präsent sind, sei durch eine geradezu "machiavellistische Teile-und-herrsche-Strategie" charakterisiert, berichtet das Magazin.

In Barniers Kritik an von der Leyens Amtsführung schwingt Unzufriedenheit gewisser Kapitalfraktionen mit: Unter der deutschen Kommissionschefin seien eine "übermäßige Regulierung" und nur langsame Fortschritte bei der Integration der Kapitalmärkte in der EU festzustellen. Die wesentlichen Versäumnisse der EU-Kommission unter von der Leyen lägen auf finanzpolitischem Gebiet. Ausdrückliches Lob spendete Barnier jedoch für die antirussische Ausrichtung der EU im Ukraine-Konflikt und für das Agieren von der Leyens während der Corona-Jahre.

Zwar gehören sowohl Barnier als auch von der Leyen dem konservativen Parteienzusammenschluss der "Europäischen Volkspartei" an, doch mindestens auf persönlicher Ebene herrsche zwischen beiden "böses Blut", meint Politico. Dies macht Barnier an den Brexit-Verhandlungen fest. Als diese im Jahre 2020 in die Endphase mit dem damaligen britischen Premierminister Boris Johnson eintraten, habe von der Leyen Barnier übergangen.

In dem Gespräch beklagt Barnier: "Ich dachte, es wäre normal, nach all der Arbeit, die ich geleistet hatte, in ihren letzten Stunden an ihrer Seite zu sein. Aber das war nicht der Fall." Vonseiten der EU-Kommission erhielt das Online-Portal dazu keine Stellungnahme.

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