Auf dem 27. Internationalen WDR Europaforum am Montag in Berlin erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz, dass es keine Einschränkungen bei der Reichweite der vom Westen an die Ukraine gelieferten Waffen mehr gebe. Dies werde es Kiew ermöglichen, Angriffe auf militärische Ziele im russischen Hinterland durchzuführen.
Der Kanzler machte diese Aussage auf die Frage des Reporters hin, ob Deutschland die Ukraine nun "noch mal anders qualitativ unterstützen" werde – was natürlich als Anspielung auf die Lieferung von Taurus-Marschflugkörper gemeint war. "Ich gebe darauf eine wirklich abschließende Antwort: Wir werden alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Ukraine auch militärisch weiter zu unterstützen", so der Bundeskanzler.
Deshalb habe er sich am 10. Mai in Kiew mit dem britischen Premierminister Keir Starmer, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk getroffen.
Das Ergebnis der Gespräche mit den Vertretern der "Koalition der Willigen" fasste Merz so zusammen:
"Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind. Weder von den Briten noch von den Franzosen noch von uns, von den Amerikanern auch nicht."
Zuvor hatte Merz behauptet, die Weigerung der Russen, sich dem von ihm, Macron und Starmer in Kiew ausgesprochenen Ultimatum zu beugen und einem 30-tägigen bedingungslosen Waffenstillstand zuzustimmen, zeige, dass Russlands Präsident Wladimir Putin "Gesprächsangebote als Schwäche" auffasse.
"Wenn selbst ein Angebot, sich im Vatikan zu treffen, bei ihm nicht auf Zustimmung stößt, dann müssen wir uns wohl darauf einrichten, dass dieser Krieg länger dauert, als wir uns alle wünschen oder vorstellen können", führte der Kanzler dazu aus.
Nach den letzten drei Wochen könne man jetzt sagen:
"Den Vorwurf, nicht alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft zu haben, die es gibt, den kann uns nun niemand mehr ernsthaft machen."
Was man in Moskau jedoch anders sieht, da man dort Ultimaten und Drohungen, die Sanktionen zu verschärfen und die militärische Unterstützung für Kiew "massiv" auszuweiten, nicht als Gesprächsangebot betrachtet.
Davon unbeirrt behauptete Merz auf dem WDR Europaforum:
"Mehr als das, was wir in den letzten Wochen getan haben – unterhalb der Schwelle, die weiße Fahne zu hissen, aufzugeben und das Land Russland zu überlassen –, das wäre jetzt sozusagen das letzte, was dann übrig bliebe."
Doch oberhalb dieser Schwelle habe man "alles getan, was möglich war, um mit Putin und Russland ins Gespräch zu kommen – bisher erfolglos", konstatierte der Kanzler das Scheitern seiner Bemühungen, Russland mit Drohungen unter Druck setzen zu wollen.
Hinter Ruf nach Waffenruhe verbirgt sich Wunsch nach militärischer Eskalation
Belgiens Verteidigungsminister Theo Francken hatte vergangene Woche freimütig erklärt, welchen Zweck Kiew und die "Koalition der Willigen" mit der Forderung nach einer 30-tägigen Waffenruhe verfolgten. Demnach sei es das Ziel, im Schatten einer Waffenruhe westliche Truppen in der Ukraine zu stationieren, was einen direkten militärischen Konflikt zwischen Russland und den beteiligten NATO-Staaten zur Folge hätte.
Wörtlich sagte Francken am Rande des Treffens des Rates für Auswärtige Angelegenheiten, an dem auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius teilnahm:
"Es gibt eine Planungsgruppe der Koalition der Willigen, die unter der Leitung der Briten und Franzosen arbeitet. Sie arbeiten einen Plan aus, und sie arbeiten sehr eng zusammen. Wir sind so gut wie am Ziel. Ich denke also, dass sich die Sache in die richtige Richtung entwickelt. In dem Moment, in dem es einen Waffenstillstand gibt, kann die Koalition der Willigen sofort auf ukrainischem Boden operieren."
Das von Merz euphemistisch als Gesprächsangebot bezeichnete Ultimatum mit dem damit verbundenen Ruf nach einem Waffenstillstand diente also dem Ziel einer massiven militärischen Eskalation des Konflikts. Da Moskau diesen Versuch erfolgreich durchkreuzt hat, will Deutschlands neuer Kanzler es offenbar nun auf anderem Wege erreichen: Mit der Aufhebung der Reichweitenbeschränkung der an Kiew gelieferten Waffen – logische Konsequenz wäre dann die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, die über eine deutlich größere Reichweite verfügen als die bislang vom Westen an die Ukraine gelieferten Raketen und Marschflugkörper.
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