Fronteinbruch für Kiew? Übersicht der Gefechtslage

Auch am Ende des Frühlings bleiben die Kämpfe an den Fronten des Ukraine-Krieges intensiv. Russlands Streitkräfte haben die Initiative fest im Griff und rücken in alle wichtigen Richtungen vor: Die Truppen haben fast die Westgrenze der Volksrepublik Donezk erreicht. Von der vollständigen Niederlage des ukrainischen Militärs ist man aber noch weit entfernt.

Von Andrei Koz

Von der Logistik abgeschnitten

Nachdem der Truppenverband Nord des an Russlands Sonderoperation beteiligten Kontingents die Ortschaft Gornal im russischen Gebiet Kursk, unmittelbar an der Grenze zur Ukraine, und die nächstgelegenen Waldgürtel vom Gegner zurückerobert hatte und das Verteidigungsministerium am 26. April 2025 die vollständige Befreiung des Gebiets Kursk verkündete, verlagerte sich der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit der Parteien erneut auf den Frontabschnitt Donezk-Mitte. Im Umfeld der Stadt Krasnoarmeisk (in der ehemaligen Ukrainischen SSR Pokrowsk genannt) dauern heftige Gefechte an, wobei Kiew hierhin aktiv Truppen zur Verstärkung verlegt. Einheiten des Truppenverbands Mitte schlagen dort täglich Gegenangriffe des ukrainischen Militärs zurück und erweitern schrittweise ihre Kontrollzone, wodurch der Gegner zunehmend von Versorgungswegen abgeschnitten wird.

Insbesondere hat die russische Armee in den letzten Tagen das Dreieck Tarassowka – Alexandropol – Novojelenowka in der Nähe der Landstraße T-0504 erobert, die den Ballungsraum Krasnoarmeisk-Mirnograd mit Konstantinowka verbindet. Konstantinowka ist die südliche Hochburg der größten Verteidigungsbastion der ukrainischen Streitkräfte im Donbass: der Linie Konstantinowka – Druschkowka – Kramatorsk – Slawjansk. Somit geriet ein großer Abschnitt der Landstraße T-0504 unter die Feuerkontrolle des Truppenverbands Mitte. Man kann mit Recht behaupten, dass zumindest eine der Verbindungsrouten zwischen den beiden Ballungsräumen bereits unterbrochen wurde.

Der Truppenverband West zeichnete sich derweil im Norden der Volksrepublik Donezk aus. Seine Einheiten befreiten das Dorf Torskoje und entrissen damit dem Gegner dessen befestigten Raum am Ostufer des Flusses Scherebez entlang der Linie Terny – Jampolowka – Torskoje vollständig. Dieser ist ideal als Aufmarschgebiet für einen Angriff auf Krasny Liman, das zehn Kilometer von hier entfernt liegt. Die russische Armee musste Krasny Liman am 1. Oktober 2022 verlassen. Nun muss sie die Stadt zurückholen, um die Landstraße T-0514 nach Slawjansk zu erreichen.

Der Truppenverband Ost säubert langsam aber sicher den Frontabschnitt Donezk-Süd von Kräften des Gegners – man könnte hier sogar mit gebotener Vorsicht von Restaufgeboten sprechen. So wurde Ende letzter Woche das Dorf Bogatyr, 23 Kilometer westlich von der Stadt Kurachowo und 17 Kilometer nördlich von Welikaja Nowosjolka, befreit – nach Bogatyr hatten sich die Überreste der Kurachowo-Garnison der ukrainischen Streitkräfte zurückgezogen.

Weiter, ganz bis an die administrativen Grenzen zu den Gebieten Saporoschje und Dnjepropetrowsk, verfügt das ukrainische Militär über keine ernsthaften Verteidigungslinien mehr.

Zeitgleich ist auch der Truppenverband Mitte dabei, sich bis zu dieser Grenze durchzukämpfen, nämlich weiter nördlich. Dessen Einheiten konnten sich aus der Richtung von Kotljarowka und Troizkoje der Grenze zum Gebiet Dnjepropetrowsk um drei Kilometer nähern. Ein Einmarsch dort würde ermöglichen, die Reste der südlichen Donezker Gruppe der ukrainischen Streitkräfte vom Rest der Streitkräfte der Ukraine abzuschneiden, was ihre Niederlage näher rücken ließe. Die bisherige Taktik der russischen Truppen lässt darauf schließen, dass Russlands Generalstab darauf setzt, das Kampfgebiet zu isolieren: Die ukrainische Armee wird in Teile zersplittert, ihre Versorgung gestört und die in den Kessel geratenen Einheiten werden entweder zerschlagen oder zum Rückzug gezwungen. Genau das ist in Krasnogorowka, Awdejewka, Marjinka, Ugledar und anderen Städten passiert.

Grenze des Gebiets Kursk: Fleischwolf am Frontabschnitt Tjotkino

Im Gebiet Sumy der ehemaligen Ukrainischen SSR an der Grenze zu Russlands Gebiet Kursk dauern die Kämpfe an. Einheiten des Truppenverbands Nord sind tief ins Territorium unter Kontrolle des Kiewer Regimes vorgedrungen und haben kürzlich Marjino befreit, wobei sie das nahe gelegene Junakowka von Süden her umgingen. Während des ukrainischen Überfalls auf das Gebiet Kursk wurden Truppen und militärische Ausrüstung der ukrainischen Streitkräfte gerade durch diese Ortschaft transportiert. Die Eroberung dieses Dorfes ist zudem besonders wichtig, weil sich von dort aus eine direkte Straßenverbindung zur Gebietshauptstadt, Sumy-Stadt, bietet.

Anfang Mai unternahmen die ukrainischen Streitkräfte mehrere Angriffsversuche, und zwar gegen das Gebiet Kursk – wo sie versuchten, zum Dorf Tjotkino vorzustoßen. Ihre Gruppe an Panzerfahrzeugen wurde rechtzeitig ausgemacht und aufgehalten – durch Drohnen und Artillerie. Der Angriff schlug fehl. Dennoch schleudern die ukrainischen Offiziere mit einer Hartnäckigkeit, die besser genutzt werden sollte, weiterhin immer neue Einheiten in den Fleischwolf bei Tjotkino.

Mit Belgorod wird ein weiteres Grenzgebiet Russlands mit Drohnen, Haubitzen und Raketenwerfern angegriffen. Unter Beschuss finden sich immer wieder die Ortschaften Tschaika, Bessonowka, Tischanka, Jekaterinowka, Larissowka, Kasinka, Soloti, Podgornoje. Die ukrainischen Truppen lassen hier Drohnenterror walten, in dessen Rahmen sie bislang sogar einzelne Zivilfahrzeuge angriffen. So ist kürzlich eine ukrainische FPV-Kamikazedrohne in einen Personenwagen eingeschlagen – ihre Explosion hat einen Anwohner verwundet.

Positive Dynamik

Am Frontabschnitt Saporoschje konnten die Truppenverbände Ost und Dnepr ihre Kontrollzone östlich des Kachowka-Stausees erheblich erweitern – und die Ortschaften Lobkowoje, Stepowoje, Schtscherbaki und Malyje Schtscherbaki befreien. Von hier aus führt eine direkte Straßenverbindung nach Orechow, einen wichtigen Knotenpunkt in der Logistik ebenso wie in der Verteidigung der ukrainischen Streitkräfte. Auch weiter westlich, im Gebiet des Dorfes Kamenskoje, das an der Landstraße M-18 nach Saporoschje liegt, kommt es zu Kämpfen. Allerdings ist die Landschaft hier größtenteils flach, und es gibt einfach keinen Ort, an dem sich eine mehr oder weniger große Gruppe von Panzerfahrzeugen vor Drohnen verstecken kann.

Am Frontabschnitt Cherson geraten die Parteien um die Inseln im Dnjepr weiterhin aneinander und beschießen sich gegenseitig mit verschiedentlichen Langstreckenwaffen. Der Gegner beschießt Welikaja Kardaschinka, Aljoschki, Nowaja Kachowka, Golaja Pristan, Werchni Rogatschik, Raiskoje, Knjas-Grigorowka, Malaja Lepeticha, Welikaja Lepeticha und Proletarka – und auch hier schrecken die ukrainischen Streitkräfte nicht davor zurück, auf Zivilisten zu feuern. Es gibt Verwundete.

Insgesamt kann gesagt werden, dass der Frühjahrsfeldzug 2025 für Russlands Streitkräfte so günstig wie möglich verlief. Kiew konnte uns nicht zwingen, alle unsere Reserven zur Verteidigung des Gebietes Kursk einzusetzen. Stattdessen erlitt das ukrainische Militär selbst schwere Verluste, die betroffenen Einheiten müssen wieder aufgestockt werden – was ohne eine weitere Verschärfung des Mobilmachungsregimes schlicht unmöglich ist. Und Russland hat sich derweil in aller Ruhe erneut den wichtigsten Frontabschnitten wie Donezk zugewandt – und befreit erfolgreich eine Ortschaft nach der anderen.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 20. Mai 2025.

Alexander Koz ist Konflikt- und Sonderberichterstatter im Dienst der russischen Zeitung Komsomolskaja Prawda.

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