Von Alex Männer
Es wird inzwischen immer deutlicher, dass die Ukraine langsam, aber sicher auf eine echte Demografie-Katastrophe zusteuert. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt der zermürbende Krieg, der den bereits seit mehr als 30 Jahren anhaltenden demografischen Niedergang der ehemaligen Sowjetrepublik verschärft.
Doch ungeachtet der Kriegsverluste und des Flüchtlingsstroms ins Ausland sind es in erster Linie die hohe Sterblichkeitsrate und die bereits seit mehreren Jahren rapide sinkende Zahl der Neugeborenen in der Ukraine, die im Hinblick auf die Demografie am stärksten in den Vordergrund rücken.
So verweist die Rada-Abgeordnete und Mitglied des "Ausschusses für Gesundheit der Nation" Viktoria Wagner unter Berufung auf offizielle ukrainische Angaben, dass ihr Land heute die höchste Sterblichkeitsrate und die niedrigste Geburtenrate in der Welt hat. Der Politikerin zufolge ist die Todesrate inzwischen sogar mehr als dreimal so hoch wie die Geburtenrate. In den Jahren 2018 bis 2020 lag das Verhältnis noch bei 2:1.
Hohe Sterblichkeit und sinkende Geburtenzahlen
In puncto Bevölkerungszuwachs sind in der Ukraine im ersten Halbjahr dieses Jahres nur 87.000 Kinder zur Welt gekommen – ein Minus von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr und zugleich ein historischer Tiefstand. Dementsprechend sank auch die Geburtenrate, die nach Schätzungen von Experten derzeit nur etwa 0,9 Geburten je Frau betragen soll.
Dass die Lage sich weiter verschlimmert, bestätigt auch ein aktueller Demografie-Bericht des US-Geheimdienstes Secret Intelligence Service (CIA). Demnach liegt die Ukraine bei der Geburtenrate mit nur sechs Geburten pro 1000 Menschen an letzter Stelle unter den 229 Ländern, die im Report aufgeführt sind.
Hervorzuheben ist auch, dass die Geburtendynamik in der Ukraine schon seit dem Ende der Sowjetzeit rückläufig ist und bereits seit vielen Jahren zu den niedrigsten weltweit zählt: Seit Anfang der 1990er sank die Geburtenrate von etwa 2,1 Kindern je Frau zwischenzeitlich auf 1,1, bis sie in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre leicht auf 1,3 anstieg. Damals kamen in der Ukraine jährlich noch etwa eine halbe Million Kinder zur Welt.
Im Zuge des "Euromaidans 2014" gingen die Geburten jedoch erneut zurück, sodass die Geburtenrate Anfang dieses Jahrzehnts bei gerade einmal 1,25 lag. In den vergangenen zwei Jahren wurde dann ein deutlicher Rückgang von neun beziehungsweise elf Prozent verzeichnet, weshalb 2023 erstmals weniger als 200.000 Geburten registriert wurden.
Auch was die Sterberate betrifft, weist die Ukraine heute den weltweit schlechtesten Wert auf. Laut dem CIA-Bericht beträgt diese Rate 18,6 je Tausend Einwohner, was – wie bereits angeführt – dreimal höher ist als die Geburtenrate. Die Zahl der Sterbefälle in der ersten Hälfte des Jahres liegt bei rund 251.000 – kein Negativrekord, aber dennoch extrem hoch.
Bevölkerung nimmt ab
Infolgedessen schrumpft die ukrainische Bevölkerung immer weiter. Wie viele Menschen derzeit in der Ukraine leben, lässt sich schwer ermitteln. Es gibt ukrainische Schätzungen, die von etwa 30 Millionen Einwohnern ausgehen. Anderen Schätzungen zufolge könnten es inzwischen weniger als 28 Millionen sein. Damit steht zumindest fest, dass die Bevölkerung in den 32 Jahren der Unabhängigkeit des Landes merklich abnahm, und zwar um mehr als 40 Prozent. Im Jahr 1993 zählte man nämlich noch rund 52 Millionen Ukrainer.
Angesichts solcher Zustände mahnen ukrainische Politiker und Aktivisten das "Verschwinden der ukrainischen Nation", was schon in 180 Jahren der Fall sein könnte. Diesbezüglich sei die demografische Krise das größte Problem, das sogar die Kriegsverluste und die Folgen der Migration in den Schatten stellen würde, heißt es oft.
An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass die Grundlage für eine positive demografische Entwicklung in der Ukraine bereits wenige Jahre nach dem Ende der Sowjetunion verloren ging und seitdem nicht wieder hergestellt werden konnte. Als besonders fatal erwies sich in diesem Zusammenhang der Maidan-Umsturz und die Machtübernahme durch eine neue "prowestliche" Führung in Kiew, deren Politik die ukrainische Wirtschaft an den Rand des Bankrotts brachte und das Land in einen blutigen Bürgerkrieg im Donbass riss. Dass dieser Krieg früher oder später in einen bewaffneten Konflikt zwischen der Ukraine und Russland übergehen sollte, war schon damals abzusehen.
Insofern ist es vor allem dem "Maidan" zu verdanken, dass die demografische Lage in der Ukraine heute katastrophal ist und man nicht weiß, wie dieser Niedergang – der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter verschärfen wird – gestoppt werden soll. Um diesen Prozess jedoch umzukehren, bedarf es sowohl des Friedens als auch der Rückkehr von Millionen ukrainischen Flüchtlingen, die sich heute in der EU und in anderen Teilen der Welt aufhalten. Nur so lässt sich die Grundlage für einen natürlichen Zuwachs der ukrainischen Bevölkerung wiederherstellen.
Mehr zum Thema - Der Mythos von den Friedenstruppen: Was steckt hinter den europäischen Plänen für die Ukraine?