Von Wassili Stojakin
Ohne die offizielle Bekanntgabe des Wahlergebnisses abzuwarten, hat Wladimir Selenskij am 6. November Donald Trump zu seiner Wahl zum US-Präsidenten mit den kriecherischen Worten gratuliert:
"Ich erinnere mich an unser wunderbares Treffen mit Präsident Trump im September, als wir ausführlich über die strategische Partnerschaft zwischen der Ukraine und den USA, den Siegesplan und die Möglichkeiten zur Beendigung der russischen Aggression gegen die Ukraine gesprochen haben."
Was Trump und seine Haltung zur Ukraine-Krise angeht, kann man sich an Folgendes erinnern. Er gab wiederholt zu verstehen, dass:
a) er versuchen werde, den Konflikt auf friedliche, politisch-diplomatische Weise zu beenden (es gibt keinen Grund, ihm nicht zu glauben – in seiner ersten Amtszeit schaffte er es, keinen einzigen Krieg auszulösen; scheinbar das erste Mal seit 1945);
b) er versuchen werde, die Hilfe für die Ukraine erheblich zu reduzieren (auch hier gibt es keinen Grund, nicht daran zu glauben; es besteht allerdings auch kein Grund zu der Annahme, dass sie wirklich reduziert wird – sie wird einfach auf Europa ausgelagert).
Auf jeden Fall ist es klar, dass Trumps Ziel nicht in der Konfliktlösung als solcher besteht, sondern in der Erhaltung der amerikanischen Vormachtstellung in der Welt.
Außerdem darf nicht vergessen werden, dass Trump streng genommen noch nicht gewählt ist. Nach dem verworrenen amerikanischen Wahlsystem steht noch eine Abstimmung im Wahlmännerkollegium aus (die theoretisch auch zugunsten von Harris ausfallen könnte), und die Inauguration findet erst am 20. Januar 2025 statt. Noch zweieinhalb Monate lang wird Joseph Biden Präsident der USA bleiben.
In Selenskijs Umgebung ruft Trumps Machtantritt ganz eindeutige Emotionen hervor. Dies belegen die Bestrebungen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass alles unter Kontrolle ist. So berichtet die Washington Post unter Berufung auf Kiewer Quellen, dass Selenskijs Umgebung keine Angst vor diesem "neuen-alten" US-Präsidenten hat, obwohl Trumps Äußerungen und insbesondere die des Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance Kiew Sorgen bereiten sollten.
Auch die Erfahrungen aus Trumps erster Amtszeit lassen vermuten, dass die Lage für das Kiewer Regime gar nicht so schlecht ist. Trump hat zahlreiche Sanktionen gegen Russland verhängt, Russlands Friedensbedingungen für die Ukraine als inakzeptabel bezeichnet und Waffen an die Ukraine verkauft. Und im Allgemeinen gab er zu verstehen, dass er versuchen würde, Moskau mit seinen eigenen Friedensbedingungen zu erpressen.
Nach Medienberichten beinhalten Trumps aktuelle Pläne das Einfrieren der gegenwärtigen Frontlinie, die Festlegung einer entmilitarisierten Zone entlang dieser Frontlinie und den Verzicht der Ukraine auf ihren geplanten NATO-Beitritt für mindestens 20 Jahre. Für Kiew ist dieser Plan natürlich inakzeptabel, auch wenn die Trump-Regierung die Militarisierung der Ukraine als Gegenleistung dafür fortsetzen wird (offenbar in der Absicht, den Konflikt künftig militärisch zu lösen). Dies ist möglicherweise der Grund für die Ablehnung dieses Plans durch Kiew, aber auch Moskau reagierte skeptisch auf dieses Leck.
In erster Linie bedeutet die Beendigung des Krieges Neuwahlen für Selenskij, und die Wahlen könnten für ihn negativ ausgehen. Drei Jahre lang gaukelte er den Menschen einen unmittelbar bevorstehenden Sieg und die Rückkehr zu den Grenzen von 1991 vor. Die von Trump vorgeschlagene Vereinbarung wird seine Position auf jeden Fall unterminieren.
Kiew unternimmt nun Schritte, um zu demonstrieren, dass der ukrainische Sieg nur wegen des Verrats ihrer Verbündeten und wegen der mangelnden Mobilisierungsbereitschaft der Ukrainer noch nicht erreicht ist (obwohl der "Siegesplan" offenbar nur vorgeschlagen wurde, um abgelehnt zu werden – ein realistischer Plan müsste ganz anders aussehen).
Doch was könnte Selenskij vor Trumps Amtsantritt noch unternehmen? Viele Optionen hat er nicht, und die liegen vor allem im militärischen Bereich. Zur Durchführung neuer Offensivmaßnahmen hat Selenskij nur zweieinhalb Monate Zeit. Für ihn ist die militärische Eskalation nötig, um mögliche Verhandlungen zu stören oder um seine Verhandlungsposition zu verbessern.
Es ist unwahrscheinlich, dass die ukrainischen Streitkräfte irgendwelche Bestrebungen zur Verteidigung im Donbas unternehmen werden – es ist nahezu unmöglich, die Situation dort zu verändern. Ganz anders sieht es mit dem Versuch aus, Gebiete außerhalb der Grenzen von 1991 gegen Gebiete innerhalb dieser Grenzen einzutauschen.
Ende Oktober kommentierte Selenskij die Militäroperation der ukrainischen Streitkräfte im Gebiet Kursk mit den Worten:
"Wenn diese Operation bei Kriegsende, bei diplomatischen Maßnahmen oder bei den jetzigen militärisch-taktischen Schritten auf dem Kampffeld eine einflussreiche Wirkung erzielt, werden wir sie nutzen."
Westlichen Medienberichten zufolge geht das militärische "Aufpumpen" der ukrainischen Truppengruppierung im Gebiet Kursk weiter, doch sind auch Militäroperationen in anderen Richtungen nicht auszuschließen.
Sogar Astrologen (!) sprechen in der Ukraine darüber. So sagt zum Beispiel Wlad Ross, eine populäre Figur in diesem Bereich:
"Es könnte alle Arten von Überraschungen geben. Unsere Truppen könnten in die Gebiete Brjansk und Woronesch vorstoßen. Oder eine Fallschirmtruppe könnte zum Beispiel in Sewastopol landen. Auf jeden Fall wird Selenskij überraschen. Die Krim könnte unerwartet in die Ukraine zurückkehren."
Die Sterne haben natürlich nichts damit zu tun. Ross analysiert die aktuelle Situation und hat offenbar einige Insiderinformationen von Bankowa ("möglicherweise werden seine Dienste von Personen aus Selenskijs Umgebung in Anspruch genommen").
Auch die Äußerungen von Andrei Jermak, dem Chef des Präsidialamts, über die Möglichkeit des Abschlusses einer Vereinbarung über den Nichtangriff auf den Energiesektor könnten durchaus im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer solchen Offensive stehen. Denn eine solche Eskalation wird mit Sicherheit Vergeltungsmaßnahmen der russischen Seite auslösen, darunter auch einen Angriff auf Umspannwerke des Energierings, der zu einer Notabschaltung von Kernkraftwerken und einem Stopp der Stromimporte führen würde. Die Möglichkeiten des ukrainischen Militärs zur Verursachung inakzeptabler Schäden im russischen Energiesektor sind dagegen begrenzt.
Offenbar wird die Ukraine weiterhin das russische Hinterland mit Drohnen und Sabotageakten angreifen, und zwar eher zu medialen als zu praktischen Zwecken. Für sie ist es wichtig, Trump ihre Bereitschaft zur Schädigung des Gegners und zur Stärkung ihrer Verhandlungsposition zu demonstrieren.
All dies lässt vermuten, dass die kommenden zweieinhalb Monate im Rahmen der speziellen Militäroperation sehr angespannt sein werden. Nach Trumps Amtsantritt sind zudem harte Verhandlungen nicht auszuschließen, während derer Russland zu einem vorübergehenden Einfrieren des Konflikts überredet wird.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 8. November 2024 zuerst in der Zeitung Wsgljad erschienen.
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