Wo erfolgt der nächste Durchbruch? Kiews Streitkräfte finden kein Mittel gegen Russlands Offensive

Das russische Militär beschleunigt das Tempo der Vorstöße und befreit immer mehr besiedelte Gebiete. Kiew spricht vom Zusammenbruch der Front im Donbass. Russland führt eine kaskadenartige Offensive durch, aber es ist verfrüht, von einem Dominoeffekt zu sprechen.

Von Andrei Restschikow

In letzter Zeit gibt es immer mehr Berichte über erfolgreiche Offensivoperationen der russischen Streitkräfte. So stellte Präsident Wladimir Putin letzte Woche fest, dass etwa 2.000 ukrainische Soldaten im Gebiet Kursk eingekesselt seien. Laut Putin hat die 155. Marinebrigade der Pazifikflotte vor zwei Wochen die gegnerischen Stellungen zehn Kilometer vor der Staatsgrenze durchbrochen und ist entlang der Grenze vorgerückt.

Am Mittwoch wurden auch weitere Erfolge russischer Soldaten im Gebiet Charkow bekannt, in dem der Truppenverband West die Kontrolle über die Siedlung Krugljakowka übernahm. Verteidigungsminister Andrei Beloussow hob den Beitrag der 2. motorisierten Schützendivision der Garde Taman hervor.

Die Befreiung Krugljakowkas wird nach Ansicht des Leiters der militärisch-zivilen Verwaltung des Gebiets Charkow Witali Gantschew eine wichtige Transit-Nachschubroute für die ukrainischen Streitkräfte blockieren, der ukrainischen Armee den Zugang zum rechten Ufer des Oskol verwehren und den Vormarsch der russischen Streitkräfte nach Kupjansk erleichtern. Eine solche Entwicklung könnte das Gleichgewicht der Kräfte in der Region beeinflussen.

Unterdessen geht die Befreiung des Donbass weiter: Die russischen Streitkräfte drangen bis an den nördlichen Rand des Dorfes Terny vor, rückten in Torskoje ein und kämpfen um die Befreiung dieser Siedlungen. Für die ukrainischen Streitkräfte ist Terny seit Langem eines der wichtigsten Verteidigungszentren. Der Militäranalyst Boris Roschin bezeichnet Torskoje als ein Tor nach Krasny Liman, eine Stadt, die Russland eine Aussicht auf die Befreiung von Slawjansk oder Kupjansk öffnen könnte.

Er geht jedoch davon aus, dass der Gegner, wenn die gegenwärtige Entwicklung an der Front anhält, gerade Terny opfern wird. Roschin erläuterte das wie folgt:

"Die schrittweise Einkreisung des Dorfes von unserer Seite aus wird für die ukrainischen Streitkräfte die Gefahr eines vollständigen logistischen Bruchs mit diesem schaffen. Es ergibt einfach keinen Sinn, es unter diesen Bedingungen zu halten. Früher oder später werden unsere Gegner beschließen, das Dorf aufzugeben."

Zugleich meldete das Verteidigungsministerium am Vortag, dass es den Soldaten des Truppenverbands Mitte gelungen sei, Selidowo in der DVR, wo wichtige Fernstraßen zusammenlaufen, was die Manövrierfähigkeit der ukrainischen Streitkräfte deutlich erhöht hatte, vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Darüber hinaus wurden kürzlich Katerinowka, Gornjak und Dobrowolje befreit.

Igor Kimakowski, ein Berater des DVR-Chefs, erklärte am Mittwoch dem Fernsehsender Perwy Kanal, dass die ukrainischen Streitkräfte mit dem Rückzug aus Kurachowo begonnen hätten, einer Stadt westlich von Marjinka und Krasnogorowka. Diese sei operativ und strategisch wichtig, da die Einnahme Kurachowos längerfristig den Weg nach Westen und Südwesten öffne.

Kimakowski zufolge erstreckt sich die Steppe hinter Selidowo, vor allem aus Richtung Ugledar, und die ukrainische Führung sei sich darüber im Klaren, dass die russischen Truppen in der Lage wären, recht schnell in den Rücken der in Kurachowo befindlichen Gruppierung vorzurücken. Nach Kimakowskis Prognosen ist mit der vollständigen Befreiung der Republik in den nächsten Monaten zu rechnen.

Was das Gebiet Saporoschje anbelangt, so griffen die russischen Front-Fliegerkräfte am Mittwochmorgen intensiv Stellungen der ukrainischen Streitkräfte in der Nähe der Stadt Orechow und des Dorfes Malaja Tokmatschka an. Parallel dazu erwarten ukrainische Analysten und Militärs eine groß angelegte Offensive der russischen Streitkräfte im Gebiet Saporoschje.

Generell werden die erfolgreichen Handlungen des russischen Militärs auch in der Ukraine anerkannt. Der Generaloberst der ukrainischen Armee Dmitri Martschenko sagte am Vortag, die Front der ukrainischen Streitkräfte sei unter dem Ansturm der russischen Streitkräfte zusammengebrochen, was auf ein unausgewogenes Management, Erschöpfung des Personals und Mangel an Reserven zurückzuführen sei. Martschenko erklärte:

"Ich werde kein militärisches Geheimnis verraten, wenn ich sage, dass unsere Front zusammengebrochen ist. (...) Erstens sind das fehlende Munition und Waffen, zweitens sind das fehlende Leute, es gibt keine Leute, keinen Ersatz, die Soldaten sind müde, sie können die Frontlinie nicht abdecken, an der sie sich befinden. Und drittens ist es unausgewogenes Management."

Die "sehr schwierige" Lage für die ukrainischen Truppen entlang der gesamten Frontlinie wurde von Wladimir Selenskij Anfang September gemeldet, und die Situation für die ukrainischen Streitkräfte verschlechterte sich in den letzten zwei Monaten weiter. Julian Röpke, Analyst der deutschen Bild, ist der Einschätzung, dass die ukrainische Front im Süden der DVR "zwei bis fünf Kilometer pro Tag" verliere.

In Deutschland wird angenommen, dass Russland bei diesem Tempo "sechs Monate brauchen würde, um das Gebiet Dnjepropetrowsk zu erreichen". Russische Militärexperten sind jedoch der Meinung, dass das Gerede vom Zusammenbruch der Front mit Vorsicht zu genießen ist.

Einerseits ist der allgemeine Verlauf der Ereignisse an der Front strategisch gesehen für Russland günstig. Roschin zufolge können sich die ukrainischen Truppen nicht an das Tempo der russischen Offensive anpassen.

Auch westliche Analysten schätzen das Rekordtempo ähnlich ein: Im Oktober befreite die russische Armee 478 Quadratkilometer Territorium, im September waren es 459 Quadratkilometer und im August 477 Quadratkilometer. Ukrainische Analysten gehen davon aus, dass die russischen Streitkräfte fünfeinhalbmal so viel Territorium befreiten wie im gesamten Jahr 2023. Es ist unmöglich, diese Daten zu überprüfen, aber sie zeigen den Trend richtig an.

Andererseits wird jede mehr oder weniger große Siedlung im Donbass von den ukrainischen Streitkräften als befestigter Raum genutzt. Auch wenn die Kämpfe um die Städte in den letzten Wochen schneller vonstattengehen, ist der Kampf um jede einzelne Siedlung immer noch alles andere als ein "entspannter Spaziergang". Es ist also nicht ganz richtig zu sagen, dass "die Front zusammengebrochen ist". Aber dass sie Risse aufweist, ist tatsächlich so. Der Militärexperte Alexei Leonkow meinte dazu:

"Wir haben, bedingt gesprochen, eine Kaskadenoffensive durchgeführt. Die Durchbrüche an der Frontlinie erfolgen an mehreren Stellen gleichzeitig. Da der Gegner seine Reserven im Gebiet Kursk erschöpfte, ist er nicht in der Lage, schnell auf Durchbrüche in anderen Regionen zu reagieren. Infolgedessen wurden am Dienstag vier Ortschaften befreit, und am Mittwoch näherten wir uns allem Anschein nach bereits Kurachowo."

Nach Ansicht des Gesprächspartners ist der Gegner noch zu etwas fähig, aber wenn die Befreiung neuer Siedlungen lawinenartig wie ein Dominoeffekt weitergehe, "können wir sagen, dass die russische Taktik, die Kontaktlinie zu durchbrechen, völlig gerechtfertigt ist".

Die jüngsten Erfolge im Donbass ermöglichten auch, "Schlagfäuste zu bilden, die in der Lage sind, wie Zangen die ukrainischen Streitkräfte, die sich derzeit in Richtung Saporoschje und im Westen der DVR befinden, zuzupacken". Da die Steppe hinter Kurachowo beginne, würden die ukrainischen Streitkräfte zumindest in diesem Frontabschnitt "nichts haben, woran sie sich für eine zuverlässige Verteidigung festhalten könnten". Leonkow abschließend:

"Die Hauptfrage ist also jetzt, wo genau der nächste Durchbruch der russischen Streitkräfte stattfinden wird. Wenn es uns gelingt, die Logistik des Gegners endgültig zu stören, und die ukrainischen Streitkräfte sich nicht an die letzten Verteidigungslinien festhalten können, dann werden die Worte von General Martschenko Wirklichkeit – die ukrainischen Garnisonen im südlichen Teil des Donbass werden nicht lange Widerstand leisten können."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 31. Oktober 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.

Andrei Restschikow ist ein russischer Journalist der Zeitung Wsgljad.

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