Jeder hat seine eigene Mathematik: Selenskij verkalkuliert sich mit "Siegesplan"

Der ukrainische Präsident steht kurz davor, seinen "Siegesplan" gegen Russland zu enthüllen. Doch nicht nur in Europa, auch in der Ukraine wächst die Skepsis: Kann der Präsident mit seiner "mathematisch untermauerten" Strategie den versprochenen Erfolg herbeiführen?

Von Wladimir Kornilow

Dieser feierliche Moment ist endlich da! Der Welt wurde feierlich verkündet, dass der "abgelaufene" ukrainische Präsident Wladimir Selenskij den Ukrainern in den nächsten Tagen seinen "Plan des Sieges über Russland" vorstellen wird. Der Plan ist so "mächtig" (ein Wort, das Selenskij überall verwendet und dessen Bedeutung er offensichtlich nicht versteht), so genau kalibriert und kalkuliert, dass alle Anwesenden vor Begeisterung aufschreien werden. Zumindest so präsentiert Michail Podoljak, der Berater des ukrainischen Präsidialamts, dieses Ereignis.

Ja, tatsächlich, es ist an der Zeit. Der Führer des ukrainischen Regimes bereiste in den vergangenen Tagen so viele Länder, um seinen unglaublichen Plan vorzustellen, aber die Ukrainer sind immer noch im Unklaren über dessen Inhalt. Selbst die Abgeordneten der Werchowna Rada sind bereits empört.

Selenskijs Europareise war in der Tat sehr intensiv. Man bedenke: Kroatien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Vatikan. Und das alles nur innerhalb von drei Tagen! Jetzt versuchen westliche Analysten, die mit den Bewegungen des Kiewer Gastes nicht Schritt halten konnten, den Sinn dieser Reise im Nachhinein nachzuvollziehen und fragen sich: "Und was war das jetzt?"

Die deutsche Welt am Sonntag veröffentlichte ein ausführliches Interview mit Podoljak, in dem er die Reiseergebnisse seines Chefs großzügig interpretiert und über den erfolgreichen Besuch berichtet. Es stellt sich heraus, dass Selenskij den europäischen Staatsführern nicht nur einen "Plan des Sieges über Russland", sondern auch einen "mathematischen Anhang" zu diesem Plan mitbrachte. Und Podoljak versichert:

"Der Siegesplan ist ein klar formuliertes, mathematisch begründetes, konkretes Mittel zur Erreichung dieses Ziels, mit einer klaren Definition dessen, was getan werden kann. [...] Es gibt quantitative Indikatoren dafür, wie viele Langstreckensysteme und wie viele militärische Ausrüstungseinheiten erforderlich sind, um Russland schnell klarzumachen, dass sich die Lage verschärft."

Dies erinnerte sofort an die "Mathematik" des ehemaligen Oberbefehlshabers der ukrainischen Streitkräfte, General Saluschny, in einem Interview mit The Economist im Dezember 2022. Auch er rechnete genau aus, wie viele Panzer, BMPs, Haubitzen, Raketensysteme und andere Dinge er benötigte, um Melitopol schnell zu erobern und den Landkorridor zur Krim abzuschneiden. Seitdem wurden die ukrainischen Streitkräfte mit viel mehr Ausrüstung und Waffen ausgestattet, aber irgendetwas stimmt mit der Kalkulation nicht. Offensichtlich ist Mathematik keine für die Ukraine passende Wissenschaft.

In Europa läuft die Mathematik nicht so glatt wie in Kiew. Auf der gleichen Welt-Zeitungsseite, auf der das Interview mit Podoljak veröffentlicht wurde, findet sich auch ein Artikel mit dem Titel "Kann die Ukraine gewinnen?", in dem es heißt:

"Die ukrainische Armee hat ihre Kampfkraft verloren. Einige Armeeteile sind erschöpft, wenn nicht gar demoralisiert. [...] Nach zweieinhalb Jahren Krieg sind die Kräfte der Ukraine am Ende."

Hier haben Sie Ihre Mathematik!

In der Tat erklärt sich die Plötzlichkeit und Schnelligkeit von Selenskijs Europareise ganz einfach: Er versucht, rechtzeitig in den Haushaltsprozess der westlichen Länder einzugreifen. Bei dem Treffen in Ramstein rechnete der Führer des Kiewer Regimes damit, alle Staatsführer an einem Ort zu erreichen. Doch dann spuckte US-Präsident Joe Biden einfach auf Selenskij und sagte seinen Besuch in Deutschland unter Hinweis auf einen Hurrikan in Florida ab. Und dann fiel Selenskijs Büro auf, dass die Haushalte der europäischen Länder ohne die Spalte "Ukraine" aufgestellt werden.

Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, das die Bereitstellung von Finanzhilfen für das Kiewer Regime sorgfältig überwacht, veröffentlichte für Selenskij erschreckende Prognosen, wonach sich die Finanzhilfen für die Ukraine durch westliche Sponsoren im Jahr 2025 halbieren könnten. Hier stimmt also etwas nicht mit dem "Mathematik-Kalkül" von Podoljak überein. Und deshalb machte sich Selenskij auf den Weg, um die Situation dringend zu retten.

Und die Haushaltsplanung für das nächste Jahr ist in praktisch allen von ihm besuchten Ländern sehr schmerzhaft. Die Bürger erfahren, dass die Sozialleistungen gekürzt und die Steuern erhöht werden. Und es wird immer schwieriger, dies mit Erzählungen über die Notwendigkeit von Dutzenden von Milliarden Euro für die Ukraine zu verbinden. Bislang tut die westliche Presse ihr Bestes, um diese Themen nicht zu verknüpfen. In den britischen Zeitungen häufen sich zum Beispiel die Aufrufe an die Regierung, die Heizkostenzuschüsse für Rentner im Winter nicht zu streichen. Dies würde die Rentner in eine Lage versetzen, in der sie zwischen dem Einschalten der Heizung für etwa eine Stunde oder dem Kauf von Lebensmitteln wählen müssten. Aber kein Wort über die Ukraine!

Nur der Veteran unter den britischen Journalisten, Peter Hitchens, wagte es in seiner Kolumne für die Mail on Sunday, die Frage der Kriegsfinanzierung gegen Russland mit den innenpolitischen Problemen Großbritanniens zu verknüpfen. Er schreibt:

"Woher soll das Geld in einem Land kommen, das es sich nicht leisten kann, Kriminelle im Gefängnis zu halten, das nach seinen eigenen Angaben in einem schwarzen fiskalischen Loch ertrinkt und das weit mehr Schlaglöcher in seinen Straßen hat als gut ausgebildete Soldaten?"

In Europa mehren sich die Stimmen, die einen radikalen Strategiewechsel in Bezug auf die Ukraine fordern. Eine neue YouGov-Umfrage zeigt, dass bereits 59 Prozent der Deutschen eine direkte Kontaktaufnahme zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wünschen. Und die Frankfurter Rundschau veröffentlicht einen gemeinsamen Brief, in dem sie ein Eskalationsende und einen Dialog mit Russland fordert und den Lesern versichert, dass nicht nur die Ukraine Frieden braucht, sondern auch Europa und der Globale Süden.

Sie führen aus, dass Russland durch die Sanktionen nur stärker geworden sei, und dass die Leidtragenden diejenigen seien, die die Sanktionen verhängt hätten. Das Kurioseste daran ist, dass der Erstautor dieser Botschaft der derzeitige baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann ist, der die Partei "Die Grünen" vertritt. Das ist genau die Partei, die in der Regierungskoalition am aggressivsten gegenüber Russland ist.

Aber egal, jetzt wird Selenskij mithilfe von Podoljaks spezieller ukrainischer Mathematik seinem Publikum endlich einen sehr schönen, sehr "mächtigen", sehr effektiven "Siegesplan" präsentieren. Die ukrainische Öffentlichkeit braucht doch nichts anderes, oder? Die Siegesformel wurde ihr schon lange mitgeteilt: "Bis zum letzten Ukrainer".

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 14. Oktober 2024 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.

Mehr zum Thema - Druck auf Russland: Präsentation von Selenskijs "Siegesplan" steht bevor