Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat am Freitag entschieden, dass der Polizei europaweit auch bei leichten Straftaten das Auslesen von Smartphones erlaubt sein muss. Voraussetzung sei allerdings auch weiterhin, dass ein Gericht oder eine "andere unabhängige Behörde" den Eingriff genehmigt.
Damit hat der EuGH strengere Regelungen unter anderem in Deutschland für unionsrechtswidrig erklärt. Bisher durften Smartphones nur bei sogenannten "Katalogtaten", die in § 100a Abs. 2 der deutschen Strafprozessordnung festgelegt sind, ausgelesen werden. Dazu gehören neben Mord und Totschlag auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie, Drogenhandel, gewerbsmäßige Hehlerei, Steuerhinterziehung und Computerbetrug, sowie zahlreiche weitere Deliktsarten. Nicht dazu zählten bislang jedoch leichtere Deliktsarten wie Beleidigung, Diebstahl oder Körperverletzung.
Die Richter in Luxemburg entschieden nun, dass der Polizei bei leichteren Delikten nicht grundsätzlich verboten werden dürfe, das Smartphone des Verdächtigen auszulesen. Deutschland, Österreich und andere EU-Mitgliedstaaten müssen daher ihre Gesetze anpassen, was einer Aufweichung des bisher geltenden Persönlichkeitsschutzes gleichkommt.
In seiner offiziellen Pressemitteilung fasst der EuGH den Tenor des Urteils vom 4. Oktober wie folgt zusammen:
"Der Zugang der Polizei zu den auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen kann einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person darstellen. Gleichwohl ist er nicht zwingend auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität beschränkt. Der nationale Gesetzgeber muss die bei einem solchen Zugang zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, wie die Art oder die Kategorien der betreffenden Straftaten, definieren. Um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in jedem Einzelfall durch eine Gewichtung aller relevanten Gesichtspunkte dieses Falles gewahrt wird, muss der Zugang zudem, außer in hinreichend begründeten Eilfällen, von einer vorherigen Genehmigung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle abhängig gemacht werden. Die betroffene Person muss über die Gründe für die Genehmigung informiert werden, sobald die Übermittlung dieser Informationen die Ermittlungen nicht mehr beeinträchtigen kann."
Anlass der Entscheidung des EuGH war eine Vorlage durch ein österreichisches Gericht. Letzteres wollte vom EuGH wissen, ob Eingriffe in das Smartphone eines des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln Verdächtigen mit europäischem Recht vereinbar seien. Das dem Betroffenen im konkreten Fall zur Last gelegte Delikt kann nach österreichischem Strafrecht maximal mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr geahndet werden, fällt also in die Kategorie leichter Straftaten.
Der EuGH bejahte die ihm vorgelegte Frage, womit er die in vielen europäischen Ländern geltende Rechtslage zuungunsten der Persönlichkeitsrechte der Bürger und des Datenschutzes aufweicht. Zur Begründung ihrer Entscheidung führten die Luxemburger Richter wie folgt aus:
"Falls nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität den Zugang zu auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten rechtfertigen könnte, würden jedoch die Ermittlungsbefugnisse der zuständigen Behörden unangemessen eingeschränkt. Daraus würde sich eine erhöhte Gefahr der Straflosigkeit von Straftaten im Allgemeinen und damit eine Gefahr für die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Union ergeben."
Wie genau die nationalen Gesetzgeber auf die neue europarechtliche Vorgabe reagieren werden, muss sich erst erweisen. In der Vergangenheit war der EuGH eher darauf bedacht, den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte der Bürger zu stärken, weshalb er etwa deutsche Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung mehrmals für unzulässig erklärte. Nun schlägt der Gerichtshof offensichtlich die entgegengesetzte Richtung ein.
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