Behandlung unvermeidlich: Beim Westen wurde eine schwere Krankheit diagnostiziert

Der Psychologe Alfred Adler beschrieb einst die enge Beziehung zwischen Überlegenheits- und Minderwertigkeitskomplex. Aktuell zeigt der Westen in seiner Frechheit, Arroganz und Kampfeslust in der Tat die Symptome so mancher Problemkinder mit Überlegenheitskomplex. Und weil er sich wie ein bockiges Kind gegenüber anderen Nationen eigentlich minderwertig fühlt, neigt er zu Wutanfällen.

Von Wladimir Kornilow

Der Westen ist ernsthaft krank. Darüber berichten die westlichen Medien schon lange. Je weiter sich die Krise entwickelt, desto häufiger und lauter werden diese alarmierten Stimmen. Doch in der Regel beschränken sie sich darauf, das Problem festzustellen – ohne zu versuchen, es tiefgreifend zu analysieren und die Krankheit zu diagnostizieren.

Ein schlagendes Beispiel dafür ist der kürzlich erschienene sensationelle Monumentalbericht über die sozio-ökonomische Krise in Europa von Mario Draghi, dem ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank und Ex-Ministerpräsidenten Italiens. Die westlichen Medien waren schockiert über das Dokument, da es die Hoffnungslosigkeit der derzeitigen Situation der EU aufzeigte. Aber es glich eher einer Anamnese, einer detaillierten Auflistung von Symptomen, Temperatur- und Druckwerten. Der Technokrat Draghi wagte es nicht, auf die internen Ursachen der Krise einzugehen, sondern beschränkte sich auf die Erwähnung äußerer, sozusagen außereuropäischer und von Europa unabhängiger Umstände wie den Krieg in der Ukraine und das ungebremste Wachstum Chinas. Aber genau das war die von der Europäischen Kommission gestellte Aufgabe für die Autoren des Berichts, um unbequeme Schlussfolgerungen für sich selbst zu vermeiden.

Ein anderer Italiener ging indes noch weiter. Professor Alessandro Orsini stellte in der Zeitung Il Fatto Quotidiano eine ziemlich genaue Diagnose für Europa und den Westen als Ganzes. Er analysierte die Ereignisse in der Ukraine und im Libanon und stellte fest, dass sie durch einen "westlichen Überlegenheitskomplex" verursacht wurden.

Dieser Terminus wurde vor langer Zeit von dem berühmten Psychologen Alfred Adler eingeführt. Er beschrieb als erster diesen Reflex und wies dabei auf die enge Beziehung zwischen dem Überlegenheitskomplex und dem Minderwertigkeitskomplex hin. "Nehmen wir zum Beispiel ein Problemkind mit einem Überlegenheitskomplex: Es ist frech, arrogant und kämpferisch", schrieb Adler in seinem klassischen Werk 'Der Sinn des Lebens'. "Wir werden feststellen, dass es immer den Eindruck erwecken will, bedeutender zu sein als es ist. Jeder weiß, dass zu plötzlichen Stimmungsschwankungen neigende Kinder andere kontrollieren wollen, wobei sie Wutanfälle bekommen. Warum sind sie so ungeduldig? Weil sie sich nicht sicher sind, ob sie die nötige Kraft haben, um ihr Ziel zu erreichen. Sie haben das Gefühl, minderwertig zu sein."

Legt man diese Worte nun auf den detaillierten Bericht von Draghi und die darauf folgende Panikreaktion der westlichen Medien – so erhält man die gleichen Symptome! Europa spürt seine Minderwertigkeit immer deutlicher, will aber gleichzeitig nicht die Kontrolle verlieren und bekommt einen hysterischen Anfall. Und genau darum geht es in Orsinis Artikel, wo er feststellt, dass alle in letzter Zeit begangenen Fehler des Westens und insbesondere Europas in Bezug auf die Ukraine auf ihrem wirtschaftlichen und moralischen Überlegenheitskomplex beruhen.

Der Professor weist darauf hin, wie die westlichen Medien im Zusammenhang mit der Lieferung neuer Waffen an die Ukraine der Öffentlichkeit versicherten, dass Russland nun auf jeden Fall verlieren werde. Doch am Ende muss sogar der italienische Verteidigungsminister Guido Crozetto zugeben, dass die russische Militärindustrie der der NATO überlegen ist. "Es hat sich auch herausgestellt, dass die EU-Staaten im Vergleich zu Russland lächerliche Armeen und schwache Volkswirtschaften haben, weil sie von dem Land abhängig sind, das sie für schwächer halten – nämlich von Russland." (Man erinnere sich an den Bericht von Draghi, der zugab, dass die Probleme der europäischen Wirtschaft größtenteils auf den Verlust der russischen Energieressourcen zurückzuführen sind.)

Es gibt zahlreiche Bestätigungen für diese Schlussfolgerungen. Am auffälligsten ist das wahnsinnige Verhalten des ehemaligen britischen Verteidigungsministers Ben Wallace. In seinem Artikel für den Daily Telegraph ruft er dazu auf, "den Feind erbarmungslos zu schlagen", das heißt Russland. Unter Berufung auf das Beispiel Israels fordert der Brite nicht nur Angriffe tief im Innern unseres Landes, sondern auch die Entsendung britischer Truppen in die Ukraine. Dabei ist ihm klar, dass dies zwangsläufig zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Großbritannien und Russland führen wird. Aber der Überlegenheitskomplex diktiert ihm ein besinnungsloses Verhaltensmuster – erinnert euch an Adler: "Frechheit, Arroganz, Kampfeslust".

Doch schon am nächsten Tag jammert Wallace in der gleichen Zeitung über den beklagenswerten Zustand der britischen Armee, die nicht in der Lage sei, Israel bei seiner Verteidigung zu helfen. Er beklagt die Unterfinanzierung der Streitkräfte, ihre personelle Unterbesetzung, den Mangel an Munition und militärischer Ausrüstung! Wir wiederholen: Der erste Artikel – über die Notwendigkeit, die britische Armee in den Krieg in der Ukraine zu involvieren – wurde am 2. Oktober veröffentlicht; der zweite – über den beklagenswerten Zustand der britischen Armee – erschien am 3. Oktober. Und das alles stammt von ein und derselben Person auf den Seiten ein und derselben Zeitung. Hier liegt in der Tat der von Adler beschriebene direkte Zusammenhang zwischen dem aus dem Minderwertigkeitskomplex erwachsenden Überlegenheitskomplex vor!

Orsini weist auch auf einen zweiten Aspekt des Überlegenheitskomplexes hin: den moralischen. Ständig wird dem Publikum versichert, dass "die westlichen Demokratien den Diktaturen moralisch überlegen sind." Der Professor erinnert daran, wie die Mainstream-Medien "den Italienern eine Gehirnwäsche verpasst haben mit der Idee der moralischen Überlegenheit des Westens, der im Gegensatz zu Russland das internationale Recht respektiert."

Auch hier liefern uns die Briten ein deutliches Beispiel. Erinnern wir uns an die jüngsten Äußerungen des britischen Außenministers David Lammy über Russland. Erst sagte er, Russland verfolge eine Politik des "faschistischen Imperialismus". Und dann ging er bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats sogar so weit, Russland mit dem Kolonialismus und der Sklavenvergangenheit seiner dunkelhäutigen Vorfahren in Verbindung zu bringen. Aus diesem Grund musste die russische Botschaft in London den Briten sogar an die Rolle seines Landes im weltweiten Sklavenhandel erinnern.

Aber Leute wie Lammy scheinen keinen Widerspruch in seinen Aussagen zu sehen. Sie verfügen über eine Menge "Schimpfwörter" und lassen diese, ohne sich ihrer Bedeutung bewusst zu sein, auf ihren Gegner los. Sie werden ja schließlich von einem moralischen Überlegenheitskomplex getrieben!

Die Diagnose des italienischen Professors Orsini bezüglich der kranken westlichen Gesellschaft ist daher ziemlich korrekt. Und die oben genannten Beispiele zeigen uns, wie weit diese Krankheit bereits verschleppt wurde. Genau diese pathologischen Störungen bestimmen weitgehend das inadäquate Verhalten vieler westlicher Führer. Und das stellt tatsächlich eine Bedrohung dar! Insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Westen dem Globalen Süden bei allen Indikatoren immer weiter unterlegen ist, was die oben genannten Komplexe zwangsläufig verschlimmern wird.

Steht die Diagnose fest, ist es an der Zeit, mit der Behandlung zu beginnen. Es gibt viele Möglichkeiten, den Überlegenheitskomplex in Grenzen zu halten. So raten Psychotherapeuten ihren Patienten, zunächst einmal Selbstdisziplin zu üben. Der von Komplexen geplagte Westen sollte dies ebenfalls tun, bevor er von außen diszipliniert wird.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 4. Oktober 2024 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.

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