Von Starsche Eddy
Zweierlei Umstände zwingen Kiew, noch mehr Waffen von Europa zu fordern: Erstens die Unregelmäßigkeit der militärischen Hilfslieferungen seitens der Vereinigten Staaten und die überhaupt ungewisse Zukunft dieser Lieferungen im Falle, dass Trump US-Präsident wird, und zweitens die Aussicht auf einen großen Krieg im Nahen Osten. Ein solcher Krieg könnte durchaus die Ressourcen der USA weitestgehend beanspruchen – und zwar dermaßen, dass für das ukrainische Militär nichts mehr übrig bleibt. Und politisch gesehen ist Europa auch gar nicht dagegen, Kiew mehr Rüstungsgüter zu liefern.
Doch der Wunsch allein reicht nicht aus – es braucht Produktion. Und hier hat die EU mehr Probleme als Möglichkeiten, diese Probleme zu lösen. Im Frühjahr 2024 stellte die Europäische Kommission einen Plan für die Weiterentwicklung und den Ausbau der gesamteuropäischen Verteidigungsindustrie vor. Man beschloss, hierfür einen EU-Verteidigungskommissar zu ernennen. Im September kandidierte der frühere litauische Ministerpräsident Andrius Kubilius für dieses Amt. Über die Problematik, die der neu ins Leben gerufene Posten birgt, hat RT DE berichtet.
Wird Europa mit dieser neuen Führungsstruktur in der Lage sein, seine Verteidigungsindustrie in Ordnung zu bringen? Für eine Antwort auf diese Frage braucht es Verständnis daüber, wie die europäische Verteidigungsindustrie derzeit aussieht.
Erstens: Eine "europäische" Verteidigungsindustrie existiert als solche gar nicht, sondern Teile der Verteidigungsindustrie einer Reihe von EU-Ländern sind – teilweise – in großen transnationalen Holdings wie Airbus zusammengefasst. Die wichtigste Methode der europäischen militärisch-industriellen Zusammenarbeit ist die Gründung von Joint Ventures für diese oder jene Großprojekte, die die Teilnehmer nicht alleine durchführen können. Der Erfolg solcher gemeinsamen Unternehmen fällt jedoch höchst unterschiedlich aus.
Beispielsweise war bisher kein einziges Projekt für ein alleuropäisches Panzermodell erfolgreich und die größten Teilnehmerstaaten entwarfen und bauten letzten Endes ihre eigenen Kampffahrzeuge ganz klassisch national. Jetzt will Europa es noch mal wissen und nimmt sich vor, in den 2030er-Jahren einen paneuropäischen Panzer zu erschaffen. Mal sehen, wie das endet.
Zweitens: Die Industrieführung im Mehrfamilienhaus Europa ist zersplittert und erfolgt von vielen nationalen "Wohnungen" aus. Sprich, da müssen unterschiedliche Interessen innerhalb von "Holdings" erst mühselig koordiniert werden. So etwas führt unweigerlich zu Verzögerungen bei gemeinsamen Projekten und eher zweifelhaften Ergebnissen.
Gerade um diese Fragmentierung zu überwinden, wurde ja der Posten eines neuen EU-Kommissars für Verteidigung erfunden. Doch das reicht nicht: Europa fehlt noch ein vollwertiges "Superministerium" für die Verteidigungsindustrie mit direkten Verwaltungsbefugnissen. Andernfalls wird die Umsetzung der vom zuständigen Euro-Kommissar getroffenen Entscheidungen im Sumpf schier endloser Koordinationsabsprachen versinken.
Kann dieser Sumpf denn überhaupt trockengelegt werden? Zum Beispiel die größte militärisch-industrielle Macht Europas in Form von Frankreich, das seine eigene Souveränität in diesem Bereich mit äußerstem Argwohn und Herzblut verteidigt, wird wohl keine gemeinsame Sprache mit den Deutschen und den nordeuropäischen Ländern finden, denn diese sind eher auf technische Hilfe und Lieferungen aus den Vereinigten Staaten ausgerichtet. Dies ist nur eine der Hürden von Dutzenden. Und es wird Jahre dauern, jede einzelne zu überwinden.
Wunder sind daher kaum zu erwarten. Alle Fortschritte, die Europa machen kann, werden durch den Bau neuer Anlagen oder die Weiterentwicklung und den Ausbau bestehender Anlagen auf jeweils nationaler Ebene erzielt werden müssen. Wie beispielsweise das deutsche Programm für eine Modernisierung des Panzers Leopard 2 – die Ausführung A8. Wie hoch das Fertigungsvolumen ausfallen und wie die Produktionsverteilung aussehen könnte, ist eine separate und interessante Frage.
Doch ich glaube, für Russland hat es keinen Sinn, beim Krieg in der Ukraine dermaßen der Bummelei zu verfallen, um auch eine Antwort auf diese oder ähnliche Fragen herauszufinden.
Russland muss den Krieg schon vorher zu Ende bringen und seine gesetzten Ziele erreichen, und wird hierbei zu Genüge mit eigenen Belangen beschäftigt sein.
Übersetzt aus dem Russischen.
"Starsche Eddy" (Wortspiel, dt.: "Älter als die Edda") ist ein russischer Telegramkanal, auf dem Autoren kurze Kommentare und Analysen aus eigener Feder zu aktuellen militärischen und politischen Anlässen veröffentlichen und Kommentare Dritter nebst Nachrichten aus demselben Themenbereich reposten.
Einige der Kommentare von Starsche Eddy erscheinen exklusiv bei RT.
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