"Künstlich beatmete Wirtschaft": Warum Kiew langfristige Finanzhilfen aus dem Westen fordert

Kiew hat den Westen dazu aufgefordert, der Ukraine weiterhin finanzielle Unterstützung zu gewähren. Zuvor hatte das ukrainische Finanzministerium eingeräumt, dass der reguläre Haushalt nur die Militärausgaben deckt. Laut Experten büßt die Ukraine dadurch ihre Souveränität ein.

Von Polina Duchanowa

Laut dem ukrainischen Außenminister Andrei Sibiga sollten die westlichen Partner die Ukraine langfristig finanziell unterstützen. Er erklärte:

"In einigen Ländern ist derzeit ein Haushaltsverfahren im Gange. Wir rufen unsere Partner dazu auf, der Ukraine langfristige finanzielle Unterstützung zu gewähren. Langfristige Zusagen ... geben uns die Zuversicht, dass wir gewinnen und die gemeinsamen Werte und die Sicherheit schützen werden."

Nach Ansicht des Ministers sind die Subventionen für Kiew "extrem wichtig". Er warnte:

"Wie hoch auch immer der Preis für die Unterstützung der Ukraine sein mag, der Preis für Russlands Sieg wird viel höher sein."

Finanzspritzen

Im September letzten Jahres räumte das ukrainische Finanzministerium ein, dass das Land aus eigener Kraft nur militärische Ausgaben decken kann. Dafür werden alle Steuern und Gebühren aufgewendet.

"Alle anderen Ausgaben – ich betone: alle anderen Ausgaben – finanzieren wir auf Kosten unserer Partner, also aus den Finanzmitteln, die wir aus dem Ausland erhalten", erklärt Finanzminister Sergej Martschenko in einer Sendung des TV-Kanals Rada.

Außerdem hält Kiew an der Rhetorik fest, dass die Hilfe der westlichen Länder für die Ukraine ihren eigenen Interessen entspreche und ihnen nicht zur Last fallen solle.

Im Januar erklärte der Chef der ukrainischen Nationalbank, Andrei Pyschnij, dass "der Sieg der Ukraine der Schlüssel zur Reduzierung der Sicherheitsrisiken auf dem Kontinent ist".

Wie Politico anmerkte, bezeichnete er das 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket der EU für die Ukraine, über das zu diesem Zeitpunkt noch diskutiert wurde, als eine Bagatelle im Vergleich zur gesamten europäischen Wirtschaft.

"Es könnte sich für sie als die beste Investition in ihre eigene Verteidigung und Wirtschaft erweisen", äußerte sich Pyschnij zuversichtlich.

Im Februar 2024 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf einen 50-Milliarden-Euro-Hilfeplan für Kiew für den Zeitraum von 2024 bis 2027. Das Paket umfasst Kredite in Höhe von 33 Milliarden Euro und nicht rückzahlbare Zuschüsse in Höhe von 17 Milliarden Euro. Als Bedingung für diese Zahlungen nannte Brüssel die Achtung der demokratischen Grundsätze und der Menschenrechte.

Zur Erinnerung: Der ukrainische Staatshaushalt für 2024 sieht ein Defizit von 1,57 Billionen Griwna vor. In einem Gespräch mit der Financial Times im März sagte die Abgeordnete der Werchowna Rada und Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Roksolana Pidlasa, dass die Ukraine bereits am Rande ihrer Leistungsfähigkeit sei. Ihr zufolge entfällt der Löwenanteil der Ausgaben auf die Finanzierung der Armee.

Die Priorität der Militärausgaben gegenüber den nichtmilitärischen Ausgaben wurde auch vom Vorsitzenden des Finanzausschusses der Werchowna Rada, Daniil Hetmanzew, bestätigt. In seinem Telegram-Kanal schrieb er am 31. Juli, dass in der ersten Jahreshälfte mehr als 50 Prozent des Staatshaushalts für die Verteidigung ausgegeben worden seien. Gleichzeitig seien 14,8 Prozent der Haushaltsausgaben für den Schutz der öffentlichen Ordnung und die Justiz aufgewendet worden, 11,6 Prozent für den Sozialschutz, 4,7 Prozent für Medizin und 1,6 Prozent für Bildung. Weitere sieben Prozent wurden für die Bedienung der Staatsschulden ausgegeben.

Die USA und die EU sind die größten Spender von nichtmilitärischer Finanzhilfe für die Ukraine. Dennoch sank, – wie Politico im Januar dieses Jahres feststellte –, der Geldfluss aus dem Westen auf ein Minimum.

"Der Konflikt im Nahen Osten, der Beginn des Wahlkampfjahres in den USA und eine ernsthafte Verlangsamung der Wirtschaft führten dazu, dass der größte Krieg in Europa in den letzten 80 Jahren auf der Nachrichtenagenda in den Hintergrund rückte", so die Publikation.

Verkauf von Souveränität

Wie Experten in einem Gespräch mit RT feststellen, ist die Ukraine, die in finanzielle Abhängigkeit von ihren Schirmherren geriet, eigentlich kein souveränes Land mehr. Der Politologe Iwan Skorikow, Leiter der Ukraine-Abteilung am Institut der GUS-Länder, erklärte in einem Kommentar für RT:

"Die ukrainische Wirtschaft befindet sich in einer künstlichen Beatmung. Das bedeutet, dass der gesamte soziale Sektor des Landes mit EU-Mitteln subventioniert wird. Das betrifft die Gehälter der Staatsbediensteten, die Sozialleistungen, verschiedene Subventionen für die Bürger. Dazu gehören auch Infrastrukturprojekte, die ebenfalls nur dank des Geldes des kollektiven Westens durchgeführt werden. Und das, was von der Ukraine übrig bleibt, wird dann seine Partner mit Ressourcen und vielleicht sogar mit Territorien bezahlen. Wir sprechen von einer totalen wirtschaftlichen und politischen Okkupation."

Sergei Margulis, leitende Lehrkraft in der Abteilung für internationale Politik und ausländische Regionalstudien des Instituts für Sozialwissenschaften der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung, ist der gleichen Meinung. Der Analyst erklärte in einem Gespräch mit RT:

"Im Moment befindet sich die Ukraine tatsächlich unter Fremdverwaltung. Das heißt, von Staatssouveränität kann keine Rede mehr sein. Die finanzielle Unfähigkeit des Landes macht es seiner Staatsführung unmöglich, unabhängige politische Entscheidungen zu treffen." 

Er vermutet auch, dass die Kiewer Machthaber in dem Versuch, die Wirtschaft des Landes über Wasser zu halten, weiterhin die letzten wertvollen Ressourcen und Vermögenswerte zu für das Land ungünstigen Preisen verkaufen werden. Margulis weiter:

"Dies ist jetzt ganz deutlich zu beobachten, da viele Vorkommen insbesondere in der Westukraine, einschließlich der von staatlich-landwirtschaftlicher Schwarzerde, von westlichen Unternehmen kontrolliert werden. Das heißt, der Ressourcenabzug aus dem Land wird sich beschleunigen, wenn die Staatsführung sich weiterhin mit Finanzschulden erdrosselt."

Iwan Skorikow verwies seinerseits auf die Unverhältnismäßigkeit der militärischen und nichtmilitärischen Tranchen, die Kiew von seinen Verbündeten erhält. Seiner Meinung nach sind diese Verbündeten nicht an einer Wirtschaftsförderung in der Ukraine interessiert, da sie vorrangig die geopolitische Aufgabe verfolgen, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen:

"Daher haben sie es nicht nötig, die Wirtschaft in irgendeiner Weise zu stimulieren. Die meisten Finanzmittel werden für die Kriegsführung verwendet. Darüber hinaus hoffen die westlichen Länder, ihre Ausgaben mit Geldern aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten zu kompensieren, die sie schamlos geklaut haben. Jetzt versuchen sie nur noch herauszufinden, wie sie es geschickt anstellen können, um möglichst wenig Reputationsschäden zu erleiden."

"Zugleich sollte man nicht erwarten, dass die USA und ihre Verbündeten die Hilfe für die Ukraine plötzlich einstellen und sich anderen Problemen zuwenden", erklärte Sergej Margulis. Das Resümee des Analysten:

"Die Ukraine wird so lange in einem halblebendigen Zustand gehalten werden, solange die westlichen Länder noch in der Lage sind, einen minimalen akzeptablen Lebensstandard in der Ukraine monetär zu unterstützen, um ihren wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. Doch in Zukunft wird alles von der Situation an der Front abhängen." 

Übersetzt aus dem Russischen.

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