EU: Von der Leyen präsentiert die Kommission der Machtergreifung

Am Dienstag präsentierte Ursula von der Leyen die Liste ihrer künftigen EU-Kommissare. Gleichzeitig benannte sie die anstehenden Themen. Das Thema Energiewende ist passé. Aufrüstung und Wettbewerbsfähigkeit stehen nun im Fokus. Klar wurde auch: Von der Leyen greift nach noch mehr Macht.

Von Gert Ewen Ungar

Die EU-Kommissionspräsidentin hat am Dienstag ihr neues Team von EU-Kommissaren sowie die Schwerpunktsetzung für die beginnende Legislaturperiode vorgestellt. Die Besetzung der Posten ist beachtlich. Von der Leyen hat alle internen Kritiker ausgeschaltet. 

Der bisherige EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wird durch Kaja Kallas ersetzt. Die ehemalige Ministerpräsidentin Estlands gilt als Hardlinerin gegenüber Russland. Diplomatische Töne oder gar Initiativen sind von ihr nicht zu erwarten. Mit der Personalie unterstützt von der Leyen die weitere Vertiefung der Ost-West-Teilung des europäischen Kontinents. 

Zwar stand auch Borrell hinsichtlich Russlands eng an der Seite der Kommissionspräsidentin, aber in Bezug auf die Haltung zu Israel und den Gaza-Konflikt gab es deutliche Differenzen, die schließlich auch öffentlich ausgetragen wurden. Während von der Leyen sich bedingungslos an der Seite Israels positioniert, drängte Borrell auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und verurteilte die von Israel eingesetzte Gewalt gegen Zivilisten. Borrell ist künftig nicht mehr dabei. Mit Kallas wird es solche Konflikte auf absehbare Zeit nicht mehr geben. 

Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, warf kurz vor der Vorstellung der neuen Kommission hin. Breton bezeichnete den Führungsstil von der Leyens als "fragwürdig". Auch er trug seine Differenzen mit ihr öffentlich aus. Ebenso gilt die Beziehung zwischen EU-Ratspräsident Charles Michel und Ursula von der Leyen als belastet. 

Bei der Zusammensetzung der neuen Kommission dominierte politisches Kalkül noch stärker, als dies bereits bei den vorausgegangenen Kommissionen der Fall war. Das will im Hinblick auf die EU etwas heißen. Der thematische Schwerpunkt wurde verschoben. Nicht mehr ökologischer Umbau und Green New Deal, sondern Aufrüstung und Wettbewerbsfähigkeit macht von der Leyen nun zum Thema. Dass die EU-Kommission an ihrem zuvor vielfach beschworenen Green New Deal das Interesse verloren hat, wurde schon in den Monaten vor der EU-Wahl deutlich. 

Interessant sind die Zuständigkeiten einiger neuer Kommissare. Künftig wird Andrius Kubilius, wie Kallas ebenfalls aus dem russophoben Baltikum, Kommissar für Verteidigung und Aufrüstung. Litauens Ex-Premierminister soll die EU wehrhaft machen. Dabei ist Brüssel für die Verteidigung laut EU-Verträgen gar nicht zuständig. Nicht zuständig ist die EU-Kommission auch für den Wohnungsbau in den EU-Ländern. Dennoch soll es künftig einen Kommissar dafür geben. Für die Verträge interessiert sich von der Leyen jedoch nur dann, wenn sie ihren Machtinteressen dienen, dies wurde schon bei anderen Gelegenheiten deutlich.

Mit diesen beiden neuen Posten deutet sich daher an, dass von der Leyen plant, die Kompetenzen der Kommission auf Kosten der Souveränität der EU-Staaten und gegen die EU-Verträge weiter auszubauen. Im Hinblick auf die Regulierung von Medien ist ihr dies bereits gelungen. Medienaufsicht ist Sache der Nationalstaaten. Doch mit dem im Mai verabschiedeten Medienfreiheitsgesetz hat die EU-Kommission inzwischen diese Aufgabe übernommen und plant, eine eigene Zensurbehörde unter direkter Kontrolle der Kommission zu schaffen. Im Februar 2025 soll sie ihre Arbeit aufnehmen. 

Für Kritik an von der Leyen gibt es viele gute Gründe. Einer davon ist: Von der Leyen reißt Macht an sich. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Demokratie. Nicht nur, dass die versprochene Korrektur von Demokratiedefiziten der EU ausbleibt. Sie werden schon allein durch die Machtausweitung der Kommission noch vertieft. Dass keiner der Kommissare demokratisch legitimiert ist, rundet das Bild einer immer weiter in die Autokratie abdriftenden EU ab. Kritik gibt es lediglich an der Besetzung des Postens des EU-Kommissars für Reformen mit dem Italiener Raffaele Fitto. Er gilt vielen als zu rechts. Über den eigentlichen Skandal spricht man in der EU wie gewöhnlich nicht. 

Die Kommission, die Ursula von der Leyen am Dienstag vorgestellt hat, muss noch durch das EU-Parlament bestätigt werden. Da von der Leyen es allerdings verstand, jedes Grüppchen mit einem Pöstchen zu versorgen, ist mit großem Widerstand nicht zu rechnen. Die Vetternwirtschaft ist in der EU institutionalisiert. 

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