Nach einem Bericht der Welt ist Russland im zweiten Quartal 2024 wieder zum zweitgrößten Gaslieferanten der EU-Länder aufgerückt, sogar ohne Lieferungen über Nord Stream. Dabei bezieht sich das Blatt auf Zahlen der Politik- und Unternehmensberatung Bruegel.
17 Prozent der Ergasimporte in die EU oder 12,73 Milliarden Kubikmeter seien es gewesen, etwas mehr als die USA mit 12,27 Milliarden. Aber während das US-Gas komplett in Form von LNG geliefert wurde, erfolgen die russischen Lieferungen nach wie vor per Pipeline – über die Ukraine wie auch via TurkStream durch das Schwarze Meer.
Die Lieferungen per TurkStream hätten im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel zugenommen. Die Lieferungen über die Ukraine, die von April bis Juni 4,1 Milliarden Kubikmeter betrugen, sind für die Zukunft derzeit nicht wirklich gesichert, denn die Ukraine hatte angekündigt, den Transit einstellen zu wollen. Allerdings, so die Welt, habe der Präsident Aserbaidschans jüngst angekündigt, für eine Verlängerung des Transitvertrags vermitteln zu wollen. "Sicherheit über die Zukunft des Ukraine-Transits haben wir erst am 1. Januar", wird Timm Kehler von der deutschen Brancheninitiative "Zukunft Gas" zitiert.
Der Bezug russischen Gases, den die EU politisch als "Abhängigkeit" klassifiziert hat, ist nach wie vor zentral für viele europäische Staaten, auch wenn Norwegen mit 24 Milliarden Kubikmetern im untersuchten Quartal mit Abstand die Spitzenposition hält. Österreich sei zuletzt nach wie vor zu 90 Prozent auf das russische Gas angewiesen gewesen.
Politische Schlagzeilen machte das Thema des Erdgastransits durch die Ukraine jüngst im Zusammenhang mit Ungarn und der Slowakei, deren Energieversorgung auf russische Energieträger ausgelegt ist. Beide Länder hatten der Bürokratie in Brüssel vorgeworfen, sich nicht für eine Erneuerung des Transitvertrages einzusetzen, sondern vielmehr wirtschaftliche Schäden geradezu herbeizuwünschen, um sie für ihre politisch abweichenden Positionen zu bestrafen.
"Einzelne Staaten, darunter Deutschland, haben allerdings den Bezug russischen Gases selbst eingestellt", schreibt die Welt und weist damit darauf hin, dass der Entzug des wirtschaftlich wichtigen russischen Erdgases in Deutschland das Ergebnis einer politischen Entscheidung war und kein Ereignis mit irgendeiner Zwangsläufigkeit. Im Gegenteil, an sich, so der Analytiker von Bruegel, "könnten technisch auch noch größere Gasmengen durch die Ukraine geliefert werden".
Das Hindernis für eine Behebung der deutschen Energieprobleme ist nach wie vor die deutsche Politik. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen machte sich gegenüber der Welt auch gleich daran, das zu belegen. "Dass die EU sehenden Auges zulässt, dass Russland wieder Großexporteur von Gas nach Europa wird, ist ein Skandal", meinte er und forderte ein EU-weites Importverbot von russischem Erdgas. Die EU habe, so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, David McAllister, im letzten Sanktionspaket bereits Schritte unternommen, um Lieferungen von russischem LNG nach Europa zu unterbinden.
"Auch die Umladung von Flüssigerdgas in EU-Häfen sowie die Einfuhr von russischem LNG über Terminals, die nicht an das europäische Gasfernleitungsnetz angebunden sind, sind von den Sanktionen umfasst."
Dieser Schritt hätte nur zwei Folgen: zum einen eine Umleitung dieser Lieferungen an andere Abnehmer und zum anderen, da die EU-Staaten sie dann durch das teurere US-LNG ersetzen müssten, wieder steigende Gaspreise, die dann letztlich die russischen Einnahmen sogar erhöhen würden, während sie die westeuropäischen Volkswirtschaften schwächen. Dies scheint nach wie vor nicht bekannt zu sein, obwohl die Entwicklung des vergangenen Jahres genau das belegt.
Aber die Tatsache, dass die russischen Energieträger wieder auf dem Vormarsch sind, scheint die Logik der Entscheidungsträger nicht gerade zu fördern. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, schlug sogar vor:
"Um Putin und seine Kriegswut zu bekämpfen, könnte die EU auch auf jeden Kubikmeter importiertes Russengas einen festen Betrag für Hilfs- und Waffenlieferungen an die Ukraine leisten."
Ob Röttgen und Kruse Provisionen von US-LNG-Händlern respektive von Rheinmetall erhalten, ist nicht bekannt. Jedenfalls scheint auch Kruse weder der Zusammenhang zwischen Energiepreisen und Wirtschaftswachstum noch die Tatsache bekannt zu sein, dass es zur Umwandlung von Geld in Waffen immer noch eines Herstellungsprozesses bedarf.
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