Keine Aussöhnung in Sicht – Kuleba schockiert Polen mit Aussagen zum Wolhynien-Massaker

Bei einem Besuch in Polen hat der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba das Wolhynien-Massaker mit der Deportation von Ukrainern im Zuge der UPA-Bekämpfung verglichen. Daraufhin drohte der polnische Premier mit politischen Folgen für die Ukraine, sollte sie ihre Position bezüglich des Umgangs mit dem Verbrechen nicht überdenken.

Am Mittwoch machte der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba während seines Polen-Besuches bemerkenswerte geschichtspolitische Aussagen, berichtet das polnische Nachrichtenportal Interia Wydarzenia. Medienwirksam teilte er die offizielle Position Kiews zum Umgang mit dem Gedenken an das von der ukrainischen Schreckensguerilla UPA verübte Wolhynien-Massaker mit, im Zuge dessen bis zu 100.000 Polen starben. Auf dem Podium mit seinem Kollegen Radosław Sikorski sitzend, erinnerte der ukrainische Chef-Diplomat die Teilnehmer einer Diskussionsveranstaltung daran, wie die Polen die Ukrainer während der Operation "Weichsel" behandelten. 

Der ukrainische Außenminister war ein besonderer Gast am letzten Tag des Forums "Polen der Zukunft", das in der Nähe des ostpolnischen Olsztyn, der Hauptstadt der Woiwodschaft Ermland-Masuren, stattfand. In seiner Antwort auf eine Frage zum Wolhynien-Massaker erinnerte er daran, wie die Polen die Ukrainer während der Operation "Weichsel" behandelten. Ihm zufolge wurden sie von den "ukrainischen Territorien" in Polen "gewaltsam vertrieben".

Damit löste Kuleba bei vielen Polen starke Irritationen aus. Alles begann mit der Frage eines Veranstaltungsteilnehmers. Er wollte wissen, wann die Ukraine die Opfer des Massakers von Wolhynien im Zweiten Weltkrieg exhumieren werde. Die Frage rief eine heftige Reaktion der Anwesenden hervor. Daraufhin beschloss der ukrainische Außenminister, ein anderes Ereignis aus der Geschichte der polnisch-ukrainischen Beziehungen in Erinnerung zu rufen. "Kennen Sie die Operation 'Weichsel' und die Rolle von Olsztyn?", fragte Kuleba.

"Tatsache ist, dass all diese Ukrainer gewaltsam aus den ukrainischen Gebieten vertrieben und hier angesiedelt wurden, auch in Olsztyn", erklärte der Leiter des ukrainischen Außenministeriums.

Dmitri Kuleba merkte an, dass "in der Geschichte zu wühlen" nicht sinnvoll sei und das die Menschen spalte. Er sagte auch, dass sein Land "keine Probleme mit der Exhumierung in Wohlynien" habe. Er wies darauf hin, dass er mit Radosław Sikorski darüber gesprochen habe. 

"Wir bitten die polnische Regierung lediglich darum, der Ukrainer zu gedenken. Wir wollen, dass es ein bilateraler Prozess ist", sagte er. Der ukrainische Regierungsbeamte warnte vor einer angeblichen Einwirkung Moskaus, das jegliche Reibung und emotionale Spiele um die Geschichte nutze, um "Provokationen" zu organisieren. "Überlassen wir die Geschichte den Historikern und bauen wir die Zukunft gemeinsam auf", forderte er. 

Die Worte des ukrainischen Ministers lösten eine Welle der Empörung in den sozialen Medien aus, auch mehrere Politiker meldeten sich zu Wort. Der Abgeordnete der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Janusz Kowalski bezeichnete die bei dem Forum gemachte Aussage als "revisionistisch".

"Dieser Politiker sollte zur Persona non grata in Polen erklärt werden. Und sofort unser Land verlassen!", schrieb Kowalski bei dem sozialen Netzwerk X.

Kowalski vertrat die Ansicht, dass die Frage der Exhumierung der Polen in Wolhynien "in aller Schärfe" gestellt werden sollte. Das polnische Volk habe die Ehre und sei mit einer solchen Behandlung der Opfer des von den Ukrainern an den Polen in Wolhynien begangenen Völkermordes und mit Geschichtsrevisionismus nicht einverstanden. 

Der PiS-Abgeordnete wies auch auf das Verhalten des neben Kuleba sitzenden Radosław Sikorski hin, der in keiner Weise auf die Aussage seines ukrainischen Kollegen reagiert habe, und forderte seinen Rücktritt. 

Auch das Stadtoberhaupt der grenznahen Stadt Chełm, Jakub Banaszek, reagierte kritisch auf die Äußerungen Kulebas. "Mir ist klar, dass es keine echte, aufrichtige Versöhnung geben wird", schrieb der Bürgermeister. Banaszek verurteilte die Gleichsetzung der Operation Weichsel mit dem Völkermord in Wolhynien. Er wies darauf hin, dass Kuleba die grenznahen Territorien im polnischen Lemkenland im Südosten des Landes als "ukrainische Gebiete" bezeichnet hatte.

"Im Zusammenhang mit dem Wolhynien-Massaker von ukrainischen Gebieten zu sprechen, ist verachtenswert", sagte er.

Der rechte Publizist Łukasz Warzecha erklärte, dass "die ukrainische Politik durch eine schamlose Unverschämtheit gegenüber denjenigen gekennzeichnet ist, die sich auf diese Weise behandeln lassen." Er fügte hinzu, dass die Haltung einiger polnischer Politiker solche Äußerungen "buchstäblich ermutigt." "Es ist nicht überraschend, dass Herr Kuleba sagt, was er sagt", betonte Warzecha.

Mit "einige polnische Politiker" meinte er Radosław Sikorski, der sich erst nach einer Anfrage der Polnischen Presseagentur zu dem Vorfall äußerte. In seiner Stellungnahme verzichtete der polnische Außenminister auf Kritik an Kuleba und gab ihm grundsätzlich recht. 

"Die mehrere hundert Jahre alte Abrechnung zwischen Nachbarn fällt nie ausschließlich zugunsten des einen aus. Wir haben also die Wahl: Wir können oder wir müssen uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen, was sehr wichtig ist. Unsere Opfer, die wir leider nicht wieder zum Leben erwecken können, haben ein christliches Begräbnis verdient. Oder wir können uns darauf konzentrieren, eine gemeinsame Zukunft aufzubauen, sodass keine Dämonen mehr unter unseren Völkern erwachen und uns in Zukunft kein gemeinsamer Feind mehr bedroht. Ich bevorzuge letzteren Ansatz", antwortete der polnische Außenminister.

Sikorski fügte hinzu, dass die Frage der Exhumierung der Opfer des Massakers von Wolhynien ein "Problem" sei und er "hoffe, dass die Ukraine dieses Problem im Geiste der Dankbarkeit für die von Polen geleistete Hilfe lösen werde."

Tusk: "Eindeutig negativ"

Doch nicht alle in der polnischen Regierung sind bereit, die Relativierungsversuche Kiews beim Umgang mit den UPA-Verbrechen kritiklos hinzunehmen. "Ich bewerte die Äußerungen des ukrainischen Außenministers eindeutig negativ, sowohl in Bezug auf die Interpretation der Geschichte als auch auf das Problem der Exhumierung [der Opfer des Massakers von Wolhynien]", sagte der polnische Premierminister Donald Tusk laut onet.pl am Freitag.

Donald Tusk unterstützte die Meinung des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Verteidigungsministers Władysław Kosiniak-Kamysz, die dieser am Donnerstag in den USA geäußert hatte, nämlich dass ein EU-Beitritt der Ukraine ohne die Zustimmung Polens nicht möglich sei. "Die Ukraine und die Ukrainer, denen wir großen Respekt und Unterstützung für ihre militärischen Anstrengungen zollen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass der Beitritt zur EU auch den Beitritt zu einer Zone von Standards in Bezug auf die politische und historische Kultur bedeutet. Und solange die Ukraine diese Standards nicht respektiert, wird sie nicht Teil der europäischen Familie werden", fügte der polnische Premierminister hinzu.

Operation "Weichsel": 140.000 Ukrainer umgesiedelt

Die Operation "Weichsel" war eine Militäroperation und gleichzeitig Umsiedlungsmaßnahme der polnischen Regierung im Jahr 1947. Im Jahre 1947 operierten bewaffenete UPA-Verbände in den Wäldern im Südosten Polens und übten Terror gegen die polnischen Verwaltungskräfte aus. Ziel der Operation war es, die Ukrainer von ihrer natürlichen "Basis" im Südosten der Volksrepublik Polen abzuschneiden. 

Am 27. und 28. April wurden fast 140.000 Zivilisten in die westlichen Gebiete Polens und in die ehemaligen deutschen Gebiete im Zuge einer Blitzaktion deportiert. Die ukrainische Bevölkerung wurde in Ober- und Niederschlesien, im Lebuser Land und in Westpommern (der heutigen Woiwodschaft Pommern) sowie in Ermland und Masuren angesiedelt. Gemäß den Anweisungen hatten die Ukrainer nur wenige Stunden Zeit, ihre Sachen zu packen. Die Habseligkeiten durften auf maximal zwei Karren geladen werden, der Rest ihres Besitzes musste zurückgelassen werden. Da die Maßnahme unter anderem auch die Assimilation der ukrainischen Bevölkerung vorsah, wird die Operation "Weichsel" in ukrainischen nationalistischen Kreisen als "Genozid" an den Ukrainern bewertet. 

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