Ukraine: Abgeordneter, der gegen Kirchenverbot stimmte, zur Fahndung ausgeschrieben

Ein kritischer Rada-Abgeordneter, der gegen das Verbot der kanonischen Orthodoxen Kirche in der Ukraine stimmte, floh vor wenigen Tagen aus dem Land. Die ukrainischen Behörden haben ihn daraufhin zur internationalen Fahndung ausgeschrieben.

Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Artjom Dmitruk war einer der wenigen in der Ukraine verbliebenen Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, die zu grundsätzlichen humanitären Fragen keine Kritik an der Regierung scheuten. Sein Hauptthema in den vergangenen Jahren war die Verfolgung der kanonischen Orthodoxie in der Ukraine. Am Tag der Abstimmung zum Gesetzentwurf, der die Liquidierung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) einleitete, stellte sich Dmitruk ans Rednerpult im Plenarsaal der Werchowna Rada und rief: "Der Glaube ist ewig, der Glaube ist glorreich, unser Glaube ist orthodox!" ‒ RT DE berichtete

Dies war sein letzter öffentlicher Aufritt nicht nur im Parlamentsgebäude, sondern überhaupt im Land, wo er vor 31 Jahren geboren wurde. Am 24. August, vier Tage nach der historischen Abstimmung, floh der Rada-Abgeordnete aus dem Land. 

An diesem Tag waren Sicherheitsbeamte bereits unterwegs zu seinen beiden Wohnsitzen in Kiew und Odessa, um Dmitruk zu verhaften. Das behauptet zumindest der Abgeordnete selbst, der auf seinem 75.000 Abonnenten umfassenden Telegram-Kanal mittels einer Art Live-Ticker über die Verfolgungsjagd berichtete. Dabei sei auch seine Familie extrem bedroht gewesen. Er selbst konnte der Verfolgung entkommen, indem er die Grenze zur international nicht anerkannten Republik Transnistrien als Privatperson überquerte, um in die Republik Moldau zu gelangen. 

Da er wusste, dass die moldawischen und ukrainischen Strafverfolgungsorgane eng zusammenarbeiten, blieb Dmitruk mit seiner Familie nicht länger als zwei Tage in der Republik Moldau. Jedenfalls ist bekannt, dass er spätestens am 26. August am Flughafen Chișinău in ein Flugzeug nach Rom stieg. Er war sich sicher, dass ihm in der Ukraine der Tod drohte. Auf Telegram schrieb er:

"Die Behörden haben zwei Möglichkeiten: mich zu töten oder mich ins Gefängnis zu stecken und mich dort zu töten [...] Der entscheidende Auslöser für meine Liquidierung war meine letzte Rede auf der Rada-Tribüne zum Gesetzentwurf, der das Verbot der Kirche betrifft."

Die Flucht löste in der Ukraine einen Skandal auf Regierungsebene aus. Am Dienstag forderte der Generalstaatsanwalt der Ukraine, Andrei Kostin, den geflüchteten Dmitruk während einer Pressekonferenz der Regierung in ultimativer Form zur Rückkehr auf. Er wurde des Angriffs auf Bürger und Polizisten bei einem Handgemenge beschuldigt. Am Donnerstag wurde Dmitruk vom Staatlichen Ermittlungsbüro auf die internationale Fahndungsliste gesetzt, wie die Behörde anhand eines Fahndungsfotos mitteilte.

Die Befürchtung des Abgeordneten, er könnte getötet werden, ist nicht unbegründet. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu mysteriösen Todesfällen, Unfällen oder Selbstmorden unter Politikern oder Personen des öffentlichen Lebens, die zuvor mit scharfer Regierungskritik aufgefallen waren. Einige flüchtige Politiker wie Ilja Kiwa wurden Opfer eines Auftragsmordes.

Im Oktober 2021 wurde der oppositionelle Rada-Abgeordnete Anton Poljakow in einem Taxi tot aufgefunden. Auch er war zunächst Abgeordneter der Selenskij-Partei "Diener des Volkes", verließ aber später wie Dmitruk die Fraktion. Wenige Tage vor seinem Tod beschuldigte er seine Rada-Kollegen der Korruption, als er behauptete, sie erhielten vor Abstimmungen Bargeld in Umschlägen.

Dmitruk wurde im zentralukrainischen Winniza geboren, kam aber mit 13 Jahren nach Odessa, wo er sich nach eigenen Angaben selbst ohne elterliche Hilfe durchschlagen musste. Er machte eine Karriere als Athlet im Powerlifting, wurde Geschäftsmann und schloss ein Studium ab. Im Jahre 2019 kandidierte der damals 26-Jährige für die Selenskij-Partei "Diener des Volkes" und erzielte ein Mandat im Parlament. Im Laufe der Jahre entwickelte sich Dmitruk zum orthodoxen Gläubigen und wurde Kirchendiener.

Nach Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands stellte er sich gegen den "Aggressor" und pflegte antirussische Rhetorik. Darüber hinaus sammelte der Politiker Spenden für die Armee und Notleidende in der Nähe der Front. Seine Kanäle führt Dmitruk auf Russisch und kritisiert die radikalen Auswüchse der Politik, wie etwa Sprachgesetze, die seiner Meinung nach die ukrainische Gesellschaft spalten. In den letzten Monaten engagierte sich Dmitruk für eine schnellstmögliche Beendigung des Konflikts auf diplomatischem Wege. Das kriegsbedingte Sterben führe zum "Genozid am ukrainischen Volk", und dies solle um jeden Preis beendet werden. 

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