Rekrutierung in Europa beginnt: Ukraine plant Bildung zweier mechanisierter Brigaden im Ausland

Die ukrainische Armee braucht dringend neue Soldaten und Militärequipment. Dafür werden nun auch im Ausland lebende Ukrainer mobilisiert. Zwei mechanisierte Brigaden sollen bis zum Jahr 2025 in Europa rekrutiert und ausgebildet werden.

Aus im Ausland lebenden Ukrainern sollen mehrere militärische Kampfverbände gebildet werden, teilen die ukrainischen Fachportale Militaryland und Ukrmilitar mit Verweis auf informierte Quellen in der Regierung mit. Mindestens zwei mechanisierte Brigaden mit einer 160. Seriennummer sollen dabei in Europa zusammengestellt werden. Mit der Aufgabe sei der Generalstab im Auftrag des ukrainischen Präsidenten betraut. Diese Informationen wurden in einem Forbes-Artikel bestätigt

Das "Rückgrat der Brigaden", einschließlich ihrer Führungsstäbe, wird dabei in der Ukraine gebildet. Später werden diese Militäreinheiten zur weiteren Ausbildung auf westlichen Übungsplätzen ins Ausland geschickt. Die Rekrutierung der Soldaten wird wahrscheinlich über die diplomatischen Vertretungen erfolgen.

Ukrmilitary weist darauf hin, dass ein Mechanismus entwickelt werde, mit dessen Hilfe die Kommandeure der Militäreinheiten ohne Beteiligung des Militärkommissariats Personen rekrutieren können. Ein solcher Mechanismus sei in diesem Fall genau richtig, da die Ukraine im Ausland über kein militärisches Rekrutierungszentrum verfüge.

Die ukrainische Regierung hatte seit April die Vergabe von Reisepässen im Ausland an die Registrierung bei der heimischen Armee gekoppelt. Dafür wurde eine spezielle App entwickelt. Nach Angaben der stellvertretenden Verteidigungsministerin der Ukraine, Jekaterina Tschernogorenko, haben zwischen dem 18. Mai und dem 17. Juli 83.500 im Ausland lebende ukrainische Bürger ihre militärischen Registrierungsdaten über die App Reserve aktualisiert.

Die ukrainische Regierung kämpft seit langem mit einem Rekrutierungsproblem. Nach Angaben eines Rada-Fachkommitees gibt es mit Stand Anfang August bis zu 800.000 Wehrdienstverweigerer im Land, wobei 100.000 Fälle polizeilich bekannt sind. Zudem wurden über 65.000 Strafverfahren gegen Soldaten wegen Fahnenflucht oder Befehlsverweigerung eröffnet – RT DE berichtete.

Täglich dokumentieren dutzende, von Passanten aufgenommene Videos, wie Rekrutierungskommandos Männer im wehrfähigen Alter von den Straßen ukrainischer Städte zerren. Diese Fakten sprechen für eine mangelnde Bereitschaft der breiten Massen der Ukrainer, gegen die russische Armee in den Kampf zu ziehen.

Die Armeeführung ist sich dessen bewusst und entwickelt unter anderem Modelle, die es erlauben sollen, das große Mobilisierungspotenzial im Ausland lebender Ukrainer effektiver zu nutzen. Allein in Deutschland halten sich derzeit bis zu 260.000 männliche Ukrainer im potenziell wehrfähigen Alter von 18 bis 64 Jahre auf. In der gesamten EU sind es nach Angaben der Nachrichtenagentur AP mindestens 768.000.

Laut Forbes beträgt die Mannstärke einer ukrainischen Brigade 2.000 Soldaten, wobei eine mechanisierte Brigade mehrere hundert Fahrzeuge und schwere Geschütze, darunter Kampfpanzer, diverse gepanzerte Fahrzeuge, Haubitzen, Raketenwerfer, Luftabwehrsysteme, technische Fahrzeuge und Lastwagen benötigt. Bis zu zehn neue Brigaden könnten bis zum Jahr 2025 gebildet werden, was auf den Wunsch der ukrainischen Regierung hindeute, den Krieg weiterzuführen. 

Dies würde die ukrainische Armee vor zusätzliche Probleme mit dem dafür benötigten Equipment stellen, denn dieses müssten die westlichen Verbündete der Ukraine zur Verfügung stellen. Für zehn Brigaden würden Tausende von Fahrzeugen benötigt. Mehr als die Hälfte der westlichen Militärfahrzeuge seien laut Forbes inzwischen außer Gefecht gesetzt: In den ersten 29 Monaten des Konflikts haben die Verbündeten der Ukraine rund 12.000 Fahrzeuge für den Krieg zur Verfügung gestellt, 6.400 Fahrzeuge habe die Ukraine bereits verloren. 

Westliche Militärexperten raten der ukrainischen Führung, die Armee zu einer Stärke von drei Millionen Soldaten aufzustocken. Im August letzten Jahres veröffentlichte der US-Militärstratege Edward Luttwak in der Welt dazu einen viel beachteten Artikel. Ihm zufolge müsse die Ukraine einen nationalen Befreiungskampf gegen Russland führen und zehn Prozent der Bevölkerung für diesen Kampf mobilisieren. Mit einer Truppenstärke von drei Millionen Soldaten könnte die Ukraine die Schlachten gegen Russland gewinnen, so Luttwak.

Auch führende Unions-Politiker fordern seit Monaten von den flüchtigen ukrainischen Männern mehr Einsatz im Kampf. Dafür müssten finanzielle Anreize für ein weiteres Verbleiben der ukrainischen Wehrdienstverweigerer in Deutschland abgeschafft werden. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, äußerte sich in Februar wie folgt:

"Ein ukrainischer Sieg liegt im deutschen Interesse, und er sollte nicht durch eine fehlgeleitete personelle Schwächung der ukrainischen Streitkräfte erschwert werden." 

Die Rückkehr der ausgereisten Ukrainer ins Land ist eines der größten außen- und innenpolitischen Probleme, die die ukrainische Führung derzeit zu lösen hat. Am Dienstag sagte Wladimir Selenskij auf einer Pressekonferenz, die Ukraine müsse die 7,5 Millionen Ukrainer aus dem Ausland holen, aber "ohne Zwang". Eine Entscheidung, die die Rückkehr der Ukrainer stimulieren könnte, werde im Herbst bekanntgegeben.

Mehr zum Thema - Leiter der Innenministerkonferenz: "Passt nicht, dass wir fahnenflüchtige Ukrainer alimentieren"