Von Jewgeni Posdnjakow
Estlands Regierung setzt die Estnisch-orthodoxe Kirche weiterhin unter Druck und fordert einen vollständigen Abbruch der Kontakte zur Russisch-orthodoxen Kirche. Zuvor hatte die Estnisch-orthodoxe Kirche aus ihrer Satzung sämtliche Erwähnungen des Moskauer Patriarchats entfernt, mit einer einzigen Ausnahme: im Text blieben Angaben über den Tomus von 1993, der der Estnisch-orthodoxen Kirche die Selbstverwaltung gewährt hatte. Dadurch wurde in der neuen Redaktion der Satzung die "Selbstständigkeit in Angelegenheiten der kirchlichen Verwaltung, Wirtschaft, Aufklärung" festgeschrieben, wie aus Angaben auf der Webseite der Organisation hervorgeht.
Dennoch bezeichnete der Leiter des estnischen Innenministeriums, Lauri Läänemets, diese Maßnahme als "kosmetisch". Seiner Behauptung zufolge kann diese Entscheidung nicht ohne eine Bewilligung des Moskauer Patriarchen Kirill in Kraft treten. "Leider gibt es diesbezüglich noch Bereiche, die Sorgen bereiten. Selbst die Entscheidung des Konzils kann nicht in Kraft treten, solange sie nicht vom Patriarchen Kirill bewilligt wird. Allein diese Tatsache zeigt den weiter bestehenden Einfluss des Moskauer Patriarchats", sagte Läänemets.
Zuvor hatte der Minister von der lokalen orthodoxen Kirche gar gefordert, den Patriarchen Kirill zum Ketzer zu erklären. Außerdem zeigt sich die Behörde unzufrieden, dass das Kirchenoberhaupt weiterhin Metropolit Eugen bleibt, der zuvor angeblich aus Sicherheitsgründen des Landes verwiesen worden war. Die Verfolgung der Estnisch-orthodoxen Kirche nahm noch im März zu, nachdem während des Weltweiten russischen Volkskonzils (WRNS) Russlands militärische Sonderoperation zum "heiligen Krieg" erklärt worden war.
Bald darauf wurden orthodoxe Priester zu Verhören vorgeladen, und Beamte begannen, die Klöster der Estnisch-orthodoxen Kirche regelmäßig zu besuchen, um über die angebliche Schädlichkeit der Beschlüsse des WRNS zu berichten, meldet die Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Nach Meinung der Experten spielt bei diesem derart massiven Druck auf die lokale Kirche nicht zuletzt Kiews Entscheidung über das Verbot der Ukrainisch-orthodoxen Kirche eine tragende Rolle.
"Unter den anderen baltischen orthodoxen Kirchen hat die Estnisch-orthodoxe die wenigsten Pfarreien. Dennoch hat sie eine kolossale Bedeutung für die ganze Republik. Die Eigentümlichkeit der lokalen Organisation bildete sich noch Ende des 19. Jahrhunderts heraus, und das Recht auf Selbstverwaltung erhielt sie noch im Jahr 1920", erklärt der Religionswissenschaftler Roman Lunkin.
"Somit hat im Jahr 1993 der Patriarch Alexius II. die Unabhängigkeit der Estnisch-orthodoxen Kirche nur noch bestätigt. Der Konflikt zwischen der Kirche und Estlands Regierung nahm nach 2022 ihren Anfang und die Situation trug von Beginn an einen ausschließlich politischen Charakter. Der Leiter der lokalen Organisation, Metropolit Eugen, wurde regelmäßig zu Verhören ins Innenministerium vorgeladen. All das geschah vor dem Hintergrund der Aufrufe an die Priester, klarer gegen Russland Stellung zu beziehen", merkt er an.
"Bereits im Januar dieses Jahres begann das Verfahren über die Verweigerung der Verlängerung des Aufenthaltstitels des Kirchenoberhaupts. Deswegen musste er das Land verlassen. Doch auch nach der Ausweisung aus der Republik nahm der Metropolit am Leben der Estnisch-orthodoxen Kirche weiterhin teil, wenn auch im Online-Modus", erklärt der Experte.
"Eine der bedeutendsten Anlässe zur Verfolgung des Kirchenoberhaupts waren seine Kontakte zur Oppositionsbewegung KOOS. Später distanzierte sich der Metropolit von politischen Aktionen. Mehr noch, er entschloss sich dazu, die Erklärung des Kirchenrats von Estland zu unterschreiben, in der Russland verurteilt wurde", fügt er hinzu.
"Dennoch beschloss die Landesregierung, nach dem ukrainischen Szenario zu handeln und durch starken Druck einen völligen Kontaktabbruch zwischen Moskau und der Estnisch-orthodoxen Kirche zu erwirken. Tallinn kümmert es nicht, dass seine Aktionen die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen. Die Kirche war zu Zugeständnissen bereit, doch die Regierung fordert mehr. Bei ihren Aktionen orientieren sich die Machthaber der Republik an den Erfahrungen von Selenskijs Amt. Sie denken, dass diese Initiative auch für sie straflos bleiben wird", meint der Experte.
"Doch mit ihren Aktionen provozieren sie beträchtliche Spannungen in der Gesellschaft", betont Lunkin. Seiner Ansicht nach umfasst die Orthodoxie praktisch die gesamte russischsprachige Minderheit von Estland, und die Verfolgung der Estnisch-orthodoxen Kirche könnte zu einem der heißen Themen im Rahmen der künftigen Wahlkampagnen werden. Denn es gibt immer noch Kräfte im Land, die die Interessen der russischen Ethnie schützen.
Lunkin merkt an, dass sich die Kirche unter dem Druck der Regierung zur Wahl eines neuen Metropoliten entschließen könnte. "Auch formalisierte Bestätigungen der eigenen Unabhängigkeit werden erfolgen: Ummeldung, Erklärungen über Verzicht auf Kontakte zum Moskauer Patriarchat. Wahrscheinlich wird die Russich-orthodoxe Kirche Verständnis für solche Aktionen zeigen", führt er aus.
"Wie auch im Fall der Ukraine, wird die russische Kirche eine gewisse Besorgnis äußern, doch wird die endgültige Entscheidung bis zum Bischofskonzil vertagt werden, das erst nach dem Ende der Militäroperation stattfinden kann. Wie dem auch sei, die Kirche ist sich ihrer wahrhaftigen Kraft im Angesicht niedriger Beamten, die bald vom Lauf der Geschichte hinweggespült werden, bewusst", sagt Lunkin.
Seinerseits erklärt Wadim Truchatschew, Dozent am Lehrstuhl für ausländische Religionskunde und Außenpolitik der Russischen Geisteswissenschaftlichen Universität Tallinns, die Forderungen an die Estnisch-orthodoxe Kirche mit zwei Faktoren. "Erstens hält Estlands Regierung Russland für einen Feind, zu dem jegliche Kontakte unzulässig sind. Vor dem Hintergrund des Kampfes von Selenskijs Amt gegen die Ukrainisch-orthodoxe Kirche und dem gesamteuropäischen Abbruch der Kontakte zu Moskau versucht sie, auch die eigenen Kontakte zu Russland möglichst abzubrechen", erklärt er.
Freilich unternimmt Estland derartige Schritte bereits seit seiner Unabhängigkeit. Die Estnisch-orthodoxe Kirche, die gezwungen wird, ihre Kontakte zum Moskauer Patriarchat abzubrechen, wurde bloß zu einem weiteren Opfer von Tallinns Konfrontationspolitik. "So versucht die Republik, die kulturellen Verbindungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und Russland zu kappen", fügte er hinzu. Truchatschew merkte an, dass der Großteil der estnischen Gläubigen orthodoxe Christen seien. "Faktisch wurde die Kirche zu einer Waffe für Estlands Russophobie", betont der Politologe.
Es steht nicht zu erwarten, dass die Verfolgung der Estnisch-orthodoxen Kirche für Unmut in Europa sorgt, wo die Glaubensfreiheit angeblich geschätzt wird. "Bestenfalls wir die EU vor Tallinns Aktionen die Augen verschließen, schlimmstenfalls wird sie diese begrüßen. Denn in den westlichen Ländern läuft der gleiche Kampf gegen Moskau, wenn auch bisher in einer abgemilderten Form", schlussfolgert Truchatschew.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 26. August bei Wsgljad.
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