Von Anastasia Kulikowa und Jewgeni Posdnjakow
Das ukrainische Außenministerium hat Weißrussland aufgefordert, "um tragische Fehler zu vermeiden" seine Truppen von der Grenze auf eine Entfernung abzuziehen, die die Reichweite der in der Republik vorhandenen Waffensysteme übersteigt. In einer auf der Webseite des Ministeriums veröffentlichten Erklärung heißt es, die ukrainische Aufklärung habe angeblich Informationen darüber erhalten, dass Minsk "eine beträchtliche Anzahl von Militärpersonal und militärischer Ausrüstung im Gebiet Gomel nahe der Nordgrenze der Ukraine konzentriert."
Gleichzeitig versicherte die ukrainische Seite, dass Kiew keine "unfreundlichen Maßnahmen gegen das weißrussische Volk" ergreifen werde. Außerdem fügte sie hinzu, dass die Ukraine im Falle einer Grenzverletzung "Truppenkonzentrationen, militärische Einrichtungen und Versorgungswege" in Weißrussland als "legitimes Ziel" betrachten werde.
Zuvor hatte der Kommandeur der Luftwaffe und der Luftverteidigungstruppen der weißrussischen Streitkräfte, Andrei Lukjanowitsch, erklärt, dass das Land tatsächlich seine militärische Präsenz an der Grenze zur Ukraine ausbaue. Es handele sich um Luftfahrt-, Flugabwehrraketen- und funktechnische Truppen. Anfang August wurden auch Spezialkräfte und Raketentruppen an die Grenze verlegt.
Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko erklärte die entsprechenden Entscheidungen mit der "aggressiven Politik" der Ukraine. In einem Interview mit dem Fernsehsender Rossija 1 sagte er, dass das ukrainische Präsidialamt derzeit mehr als 120.000 Soldaten an der Grenze zu Weißrussland stationiere.
Die Expertengemeinschaft stellt fest, dass die Ukraine Weißrussland bewusst provoziert, in der Hoffnung, die Republik in den Konflikt hineinzuziehen. Der weißrussische Politologe Alexei Dsermant erklärt:
"Minsk antwortet nur auf die Schritte der ukrainischen Seite. Was die Konzentration von ukrainischen Einheiten an der Grenze betrifft, so ziehen wir unsere Truppen heran, damit es nicht zu einem Überraschungsangriff kommt. Kiew versucht nun, Informationen zu verschleiern und unser Land aggressiver Absichten zu bezichtigen."
Außerdem beabsichtige Kiew, die Weißrussen informationell und psychologisch zu beeinflussen. Der Experte fügt hinzu:
"Ich schließe nicht aus, dass sie die Bürger mit einer möglichen Invasion und Angriffen auf das Territorium der Republik einschüchtern wollen. Bis jetzt ist es nur ein politisches Spiel, aber wir verfolgen die militärischen Vorbereitungen, die in der Nachbarschaft stattfinden, sehr genau."
Seiner Meinung nach gibt es einige Akteure, die daran interessiert sind, die weißrussische Seite in die Konfrontation zu verwickeln, darunter auch die westlichen Machtzentren. "Diese Kräfte wollen neue Probleme für Russland schaffen. Sie sind es, die für eine Ausweitung des Konflikts eintreten", glaubt Dsermant.
Das ukrainische Präsidialamt handele weiterhin nach der Taktik von Feiglingen, ergänzt der ukrainische Politologe Wladimir Skatschko. Seiner Ansicht nach habe Kiew geglaubt, dass es alle möglichen Schritte unternehmen könne, ohne für die Folgen verantwortlich zu sein. Er erinnert daran, dass es Kiew gewesen sei, das eine beträchtliche Anzahl von Truppen an die Grenze zu Weißrussland verlegt habe, während Minsk nur spiegelbildlich reagiere. Nun "rolle" das ukrainische Außenministerium auch noch eine Forderung an Weißrussland aus.
"Auf diese Weise versucht das Büro von Selenskij, die Verantwortung für die bevorstehende Grenzprovokation auf die weißrussische Seite zu schieben", ist Skatschko überzeugt. Der politische Analyst mahnt, die diplomatische Erklärung Kiews ernst zu nehmen, da sie seiner Meinung nach auch als Vorbereitung für den Beginn von Feindseligkeiten gegen Minsk angesehen werden könnte. Er erklärt:
"Die ukrainischen Streitkräfte sind in der Lage, dies auf Geheiß des Westens zu tun. Außerdem werden sie ein schweres Arsenal gegen die Republik einsetzen, über das sowohl Ukrainer als auch Söldner, die auf der Seite der ukrainischen Streitkräfte kämpfen, verfügen. Ich erinnere daran, dass Pläne bezüglich der weißrussischen Richtung regelmäßig sowohl von ukrainischen Beamten als auch von europäischen Politikern diskutiert werden.
Für den Fall, dass dieses Szenario eintritt, hat die Ukraine wahrscheinlich schon Erklärungen verfasst: als ob Minsk sie provoziert hätte und sie sich nur verteidigen würden."
Die Erklärung des ukrainischen Außenministeriums sei in der Tat ein Vorwand, räumt der Experte ein. Gleichzeitig würden Ausreden für den Fall bereitgehalten, wenn die Operation scheitern sollte. "Dann wird Kiew sagen, dass die Fehler nicht bei ihm liegen, sondern bei Weißrussland, das gut vorbereitet war und den Angriff abwehren konnte", so der Politologe weiter.
Er ist überzeugt: Weißrussland wird all diese "Machenschaften" nicht ignorieren. "Die Republik wird, wie Alexander Lukaschenko sagte, ihre Verteidigung gegen jede Bedrohung gewährleisten und auch ihre Bündnisverpflichtungen gegenüber Moskau erfüllen", präzisiert Skatschko.
Alexander Bartosch, korrespondierendes Mitglied der Akademie der Militärwissenschaften, weist ebenfalls auf den provokativen Charakter der Erklärung des ukrainischen Außenministeriums hin: "Kiew versucht seit langem, Minsk zu beschuldigen, einen angeblichen Angriff auf das Land vorzubereiten. Dabei haben die ukrainischen Streitkräfte selbst wiederholt die Grenze zu Weißrussland verletzt. Und der Abschuss von Drohnen bestätigt dies", erinnert er. Seiner Meinung nach bestehe der Hauptzweck der Appelle der Kiewer Führung an Minsk darin, die Aufmerksamkeit auf die angeblich wiederkehrende Bedrohung im Norden der Ukraine zu lenken und zusätzliche finanzielle und militärische Unterstützung aus dem Westen zu erhalten.
Wadim Kosоulin, Leiter des Instituts für aktuelle internationale Probleme der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums, erinnert seinerseits daran, dass die Vorbereitungen des Feindes für einen Angriff auf das Gebiet Kursk auch von einer Informationskampagne begleitet worden seien, der zufolge die russischen Streitkräfte angeblich das Gebiet Sumy angreifen würden und die ukrainischen Streitkräfte die Stadt verteidigen müssten.
"Im Falle von Minsk könnte das gleiche Szenario eintreten", so Kosjulin. Er schließt jedoch nicht aus, dass eine Provokation auch auf dem Territorium Russlands möglich ist, zum Beispiel im Gebiet Brjansk. "Ziel der Ukraine ist es, die Situation zu verschärfen. Das ist wichtig für Kiew, vor dem Hintergrund der Misserfolge im Donbass und des Kursker Abenteuers. Dies ist ein Versuch, das Schachbrett auf den Kopf zu stellen und ein neues Spiel zu beginnen", meint der Experte.
Seiner Meinung nach wird der Mangel an Kräften kein Hindernis für die Verwirklichung des Kiewer Plans sein. "Die ukrainsiche Armee verspürt 'Hunger' in vielen Richtungen. Doch wie die Praxis der letzten Jahre gezeigt hat, versucht der Feind in solchen Momenten, alles zu revidieren", sagt Kosjulin. Er ist sich sicher, dass derartige Versuche der Ukraine auf eine angemessene Antwort hinauslaufen werden. "Weißrussland wird sicherlich auf Provokationen sowohl auf diplomatischer Ebene als auch mit konkreten Aktionen reagieren. Es ist jedoch zu früh, um konkrete Schritte vorherzusagen", schließt der Analyst.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 26. August 2024 zuerst auf der Website der Zeitung 'Wsgljad' erschienen.
Mehr zum Thema – Wozu Kiew Saboteure ins Gebiet Brjansk schickt