Nach Angaben des Verbandes Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas seien die Gasspeicheranlagen in Europa zu 89,4 Prozent gefüllt. Nach den EU-Vorschriften müssen unterirdische Speicheranlagen bis zum 1. November zu 90 Prozent gefüllt sein.
Im vergangenen Jahr füllte Europa die Anlagen ebenfalls früher als geplant: am 16. August lag der Wert bei über 90 Prozent, am 26. September bei 95 Prozent und am 28. Oktober bei 99 Prozent. Dies und das ungewöhnlich milde Wetter verschafften der Region eine große Menge an gespeichertem Gas und niedrige Preise (etwa 250–350 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter).
"Die Anhäufung der Vorräte auf dem Niveau von 95 Prozent bis 100 Prozent (etwa 100 Milliarden Kubikmeter) ermöglicht es der EU, die Heizperiode mit minimalen Risiken zu überstehen", erklärte Alexei Belogorjew, Forschungsdirektor am Institut für Energie und Finanzen, gegenüber der Zeitung RBK. Allerdings gibt es Faktoren, die die Situation auf dem Gasmarkt beeinflussen können. Der bevorstehende Winter könnte kälter sein als in den Jahren 2022 und 2023. Damals sei die Temperatur abnormal warm gewesen, so Belogorjew.
Zudem fällt die Heizperiode dieses Jahr mit dem Auslauf des Transitvertrags zwischen der EU, Naftogaz und Gazprom zusammen. Das aktuelle fünfjährige Abkommen, das die Versorgung der europäischen Kunden mit russischem Gas durch die Ukraine regelt, läuft am 31. Dezember aus. Im vergangenen Jahr wurden rund 14 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland durch die ukrainische Route exportiert, berichtet RBK. Zurzeit gibt es keine offiziellen Angaben, dass die Gespräche über die Fortsetzung der Gaslieferungen über die Ukraine stattfinden.
"Es gibt deutliche Auseinandersetzungen zwischen den wohl optimistischen Einschätzungen einzelner Politiker und alarmierenden Einschätzungen der Geschäftsleute und Experten. Technisch ist es möglich, die Lieferungen nach Österreich und der Slowakei aus Deutschland und Italien umzuleiten, wenn es gelingt, genügend Gasüberfluss in diesen Ländern zu speichern, was nicht so leicht ist", erklärte der Experte.
Im Jahr 2025 werde es kaum klappen, einen Teil des russischen Gases zu decken, sollte es zur Einstellung der Gaslieferungen kommen. Belogorjew wies darauf hin, dass es genügend Gas für die Bevölkerung geben werde, aber die Industrie könnte von den geringen Lieferungen betroffen sein.
Maria Belowa, Forschungsleiterin der Firma Implementa, vertrete die Meinung, dass es im Falle des Lieferstopps durch die Ukraine keinen Gasmangel in der EU geben werde, abgesehen von einigen Ländern. Dennoch werde der mögliche Lieferausfall zu Preiserhöhungen führen, was Anfang August bereits geschehen sei.
Die Preise stiegen hauptsächlich aufgrund der Befürchtungen, dass der Gastransit durch das von der Ukraine angegriffene Grenzgebiet Kursk gestoppt werden könnte. "Es kann als eine Art Probe des Lieferstopps des Gases aus Russland über diese Route nach dem Auslauf des Abkommens Ende dieses Jahres angesehen werden", betonte Belowa.
Am Dienstag, dem 6. August, haben die ukrainischen Streitkräfte einen Angriff auf das russische Gebiet Kursk unternommen. Der Knotenpunkt Sudscha ist derzeit die einzige Transitroute für russische Gaslieferungen durch die Ukraine nach West- und Osteuropa. Bereits am nächsten Tag hat der Preis für europäisches Erdgas den höchsten Stand im laufenden Jahr erreicht. Er stieg um 5,68 Prozent auf 38,78 Euro je Megawattstunde (oder 438 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter). Wie es heißt, beträgt der Preis heute 450 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter, wobei es im Juli noch 350 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter waren. Wie die Zeitung RBC berichtete, werden die Gaspreise bis Anfang der Heizperiode angepasst. Danach werde das Wetter ein entscheidender Faktor für die Preise sein.
"Wenn sich das kalte Wetter im Winter wieder normalisiert, wird die Nachfragesteigerung nach Gas in Europa wesentlich höher sein, als die derzeitige Transitmenge über die Ukraine. Die Gaspreise werden bis zum Ende des Winters auf 600 US-Dollar oder mehr steigen, selbst bei vollem Transit durch die Ukraine. Wenn das Wetter kalt ist und der Transit gestoppt wird, könnten wir Preise von 800 US-Dollar oder mehr sehen", erklärte Ronald Smith, Senior Analyst bei BCS World of Investments, gegenüber der Zeitung.
Mehr zum Thema - Kiews Kursk-Offensive könnte Österreich von russischen Gaslieferungen abschneiden