Vergangene Woche haben die ukrainischen Streitkräfte einen umfassenden Angriff auf das russische Gebiet Kursk unternommen. Experten diskutieren über die Ziele des Überraschungsangriffs und viele von ihnen sind skeptisch, dass das Risiko sich auszahlt. Experten haben drei Erklärungen für die Operation vorgebracht, schreibt die Zeitung Financial Times.
Zum einen könnte es darum gehen, die russischen Streitkräfte von der Front in der Ukraine abzulenken, an der die ukrainischen Truppen im Begriff sind zu verlieren.
Wahrscheinlich wolle Kiew mit dem überraschenden Einmarsch versuchen, das Vertrauen in die ukrainische Offensivkraft wiederherzustellen oder die eingenommenen russischen Gebiete als Druckmittel bei Verhandlungen mit Moskau zu nutzen. Von allen möglichen strategischen Zielen der Kursk-Offensive sei die Eroberung von Gebieten das zwingendste, weil dies als Druckmittel verwendet werden könnte, schreibt die Zeitung.
Die ukrainische Führung wisse, dass sie zunehmend unter Druck gesetzt werde, über ein Ende des Krieges zu verhandeln, auch wenn Donald Trump nach den Präsidentschaftswahlen im November ins Weiße Haus zurückkehrt.
Trump habe mehrmals erklärt, er könne den Ukraine-Konflikt im Zeitraum zwischen dem Wahltag und seiner Amtseinführung zwei Monate später lösen. Details zu seinem Plan habe Trump jedoch nicht genannt. Laut Angaben von einigen Beamten und Beratern des ehemaligen US-Präsidenten könnte der Plan vorsehen, dass die Ukraine Teile ihres Territoriums im Gegenzug für westliche Sicherheitsgarantien abtreten müsse, berichtet die Zeitung.
Kiew und seine westlichen Verbündeten hätten Bedenken, dass Trump mit der Ankündigung, die weitere US-Waffenhilfe zurückzuhalten, die Ukraine zu einem "ungerechten" Frieden zwingen könnte. Doch bei dem derzeitigen Stand der westlichen Militärhilfe und der Mobilisierung von Ressourcen in der Ukraine selbst, fehle Kiew ein mittelfristiger Weg zum Sieg. Daher wolle der Westen, dass Kiew bei Friedensgesprächen im Vorteil sein würde. Bis zur Kursk-Offensive vergangene Woche habe die Ukraine nur wenige Möglichkeiten gehabt, dieses Ziel kurzfristig zu erreichen. Nun könnte Kiew möglicherweise russische Territorien gegen verlorene Gebiete tauschen, schreibt die Zeitung.
Außerdem könnte die ukrainische Öffentlichkeit diese Entwicklung positiv aufnehmen. Immer mehr Ukrainer unterstützen die Idee von Gesprächen mit Russland zur Beilegung des Konflikts, wie sich aus einer jüngsten Meinungsumfrage ergibt. Insgesamt 57 Prozent der Befragten halten die Aufnahme von Verhandlungen für notwendig. Trotz der Bereitschaft zum Dialog lehnt mit 66 Prozent die Mehrheit der Ukrainer territoriale Zugeständnisse an Russland jedoch ab.
Allerdings: Falls Kiew das eingenommene russische Territorium zum Tausch anbieten wolle, müssten die ukrainischen Truppen die Gelände unter Kontrolle behalten. Hierfür müsste die Ukraine aber einen hohen Preis zahlen, so die Zeitung weiter. Die Behörden müssten die Versorgung sowie die Verlegung und Ablösung der Truppen gewährleisten.
Das ukrainische Militär und westliche Experten befürchteten, dass die Verlegung der knappen ukrainischen Ressourcen in das russische Grenzgebiet Kursk es der Ukraine erschweren könnte, ihre strategisch wichtigen Stellungen im Gebiet Donezk zu halten. In den vergangenen Tagen haben die russischen Truppen den Vormarsch dort fortgesetzt.
"Was kann die Ukraine gewinnen, wenn sie mehr Soldaten und Ausrüstung einsetzt, um mehr Grenzdörfer im Gebiet Kursk zu erobern?", schrieb der finnische Analyst Emil Kastehelmi auf X. Es bringe wenig Vorteile, wenn die Ukraine einfach mehr russische Territorien unter Kontrolle nehme, so der Experte.
Wie es scheint, sei Wladimir Selenskij der Meinung, dass die Vorteile dieser Operation das Risiko wert seien, so die Zeitung. Vieles sei von Moskaus Reaktion auf die Invasion abhängig. Der Umfang dieser Reaktion sei aber noch unklar.
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