Eine Medizinstudentin aus Favara in der sizilianischen Provinz Agrigento wurde im März 2020 von ihrem Freund in einer privaten Lockdown-Situation zu Hause erdrosselt. Der Mord geschah zum Zeitpunkt der ersten "Corona-Welle" in Italien und damit verbundenen restriktiven Lockdown-Regeln. Das Urteil nach Mordprozess lautete lebenslange Haft, wurde jedoch nun durch den sogenannten Kassationsgerichtshof in Rom aufgehoben. Das überraschende Revisionsurteil wird mit der Erklärung begründet, dass die Richter beim Schuldspruch "die Besonderheit des Kontextes", in dem die Straftat begangen wurde, nicht berücksichtigt hätten – da die erste Periode der Pandemie und der damit verbundene persönliche Stress "einen Faktor darstellten, der das Ausmaß der strafrechtlichen Verantwortung bedingt."
Die jüngste Revisionsentscheidung der zuständigen 'Corte Suprema di Cassazione' mit Sitz in Rom sorgt für landesweite mediale Aufmerksamkeit. So titelt Rai News:
"Stress durch COVID: Kassationsgerichtshof hebt lebenslange Haftstrafe für Krankenpfleger auf, der seine Partnerin getötet hat."
Die italienische Zeitung La Stampa fasst in einem Artikel zu der Vorgeschichte einleitend zusammen:
"Er war gestresst wegen 'COVID': Lebenslange Haftstrafe für den Mord an Lorena Quaranta annulliert. Die junge Frau wurde im März 2020 von ihrem Freund Antonio De Pace in der kleinen Villa, in der sie zusammen lebten, erdrosselt."
Die beiden lernten sich an der Universität Messina kennen, wo die junge Frau Medizin studierte und ihr späterer Mörder als Pfleger arbeitete. In der ersten Phase der "Corona-Krise" gestaltete sich das Leben demnach für das junge Paar schwierig. So heißt es in einem weiteren Artikel:
"Der Beginn der Pandemie stellte die junge Paarbeziehung bald auf eine harte Probe. Zwischen Antonio De Pace, der vor dem Virus panische Angst hatte und sich sehr vor einer Ansteckung fürchtete, und Lorena Quaranta brach immer wieder Streit aus. Der Husten, an dem Lorena Quaranta seit einigen Tagen litt, verstärkte seine Angst so sehr, dass er sich einredete, er sei bereits positiv, was jedoch jeglicher Grundlage entbehrte."
Am Abend des 30. März 2020 kam es dann zum finalen Ereignis, als der Lebensgefährte nach erneutem verbalem Streit zuerst auf die Frau einprügelte, "um sie dann mit bloßen Händen zu erwürgen." Vor Eintreffen der selbst verständigten Carabinieri versuchte sich der Mann durch Schnittwunden umzubringen.
Bei den Ermittlungen und ebenso vor Gericht gab dieser zu Protokoll:
"Ich habe sie getötet, weil sie mich mit dem Coronavirus angesteckt hat."
Durch entsprechende Untersuchungen konnte jedoch nachgewiesen werden, dass zum Zeitpunkt der Tat die getötete Frau, wie auch der Täter, negative "Corona-Testergebnisse" hatten.
Sowohl das zuständige Gericht erster Instanz als auch das urteilende Schwurgericht von Messina kamen dann in den Verhandlungen zur Ansicht, "dass der 27-Jährige zum Zeitpunkt seiner Tat im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen war." Das Urteil lautete jeweils lebenslange Haft. Die Verteidiger von Antonio De Pace plädierten weiterhin auf eine eingeschränkte Urteils- und Zurechnungsfähigkeit und erwirkten eine weitere Verhandlung vor dem höchsten zuständigen Gericht in Rom.
Ein Gazzetta del Sud-Artikel erklärt zu dem jüngsten Beschluss, die Richter hätten moniert, dass in dem erfolgten Schuldspruch wesentliche Faktoren unberücksichtigt geblieben seien. So heißt es in der veröffentlichten Erklärung:
"Es ist zu bedenken, dass die Güterichter nicht vollständig geprüft haben, ob und inwieweit es dem Angeklagten angesichts der Besonderheit des Kontextes angelastet werden kann, dass er nicht wirksam versucht hat, der Notlage, in der er sich befand, entgegenzuwirken, und parallel dazu, ob die Ursache der Notlage, die offensichtlich durch den Ausbruch der Pandemie mit all ihren Auswirkungen auf das Leben aller und damit auch der Protagonisten des Falles dargestellt wird, und mehr noch die eventuelle Schwierigkeit, sie zu beheben, Faktoren darstellen, die den Umfang der strafrechtlichen Verantwortung beeinflussen."
Aufgrund dieser juristischen Einschätzung ordnete das Höchstgericht die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Das kommende Urteil des Berufungsgerichts wird laut italienischen Medien "dieser Begründung Rechnung tragen und das Strafmaß daher – vermutlich erheblich – herabsetzen müssen."
Das Urteil wird auch seitens der Politik wahrgenommen. Der stellvertretende Vorsitzende der Meloni-Partei Fratelli d'Italia wird mit den Worten zitiert:
"Das Urteil, das die lebenslange Haftstrafe für den Mörder von Lorena Quaranta aufhebt, weil der Stress von COVID berücksichtigt werden muss, macht uns fassungslos."
Mara Carfagna, die Parteivorsitzende von Azione, kommentierte gegenüber der Presse, dass das Urteil "überraschend und besorgniserregend" sei, um mit Blick auf die gegenwärtige italienische Diskussion um Femizide, also explizite Ermordungen von Frauen, festzustellen:
"Es öffnet den Weg für die Idee, dass unter Stress die Verantwortung weniger schwer wiegt, und dies ist umso beunruhigender in einem Fall von Frauenmord."
Die Abgeordnete Luana Zanella von der grünen Partei Italiens stellte fest, dass mit der Aufhebung der lebenslangen Haft und der erwarteten Haftreduzierung "die ideologische und kulturelle Infrastruktur des Patriarchats, die die Gewalt von Männern gegen Frauen begünstigt", erneut bestätigt werde.
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