Vitali Klitschko: Mit Friedensabkommen riskiert Selenskij "politischen Selbstmord"

Vitali Klitschko, der Kiewer Bürgermeister, warnt, Selenskij riskiere ohne Referendum für ein Friedensabkommen mit Russland "politischen Selbstmord". Klitschko schlägt eine nationale Einheitsregierung vor, betont jedoch die Notwendigkeit demokratischer Prinzipien.

In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera erklärt der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt, Vitali Klitschko, dass der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij wahrscheinlich ein landesweites Referendum abhalten müsse, um ein mögliches Friedensabkommen mit Russland zu "legitimieren":

"Selenskij wird wahrscheinlich auf ein Referendum zurückgreifen müssen. Denn ich glaube nicht, dass er ohne die Legitimation des Volkes allein so schmerzhafte und wichtige Vereinbarungen treffen kann."

Er bezweifelt jedoch, dass Wladimir Selenskij bereit ist, seine Macht zu teilen und prognostiziert ihm "sehr schwierige" nächste Monate. Klitschko führte dazu aus, dass sich die Lage zunehmend komplizierter gestalte, da sie von der Unterstützung der Verbündeten abhängig sei. Sollte Selenskij nun den Krieg mit neuen Toten und Zerstörungen fortsetzen oder wäre es klüger einen territorialen Kompromiss mit Putin in Betracht ziehen? Dieser könnte wiederum Druck aus den USA nach sich ziehen, besonders wenn Trump gewinne, so Klitschko:

"Wie soll man dem Land erklären, dass es notwendig ist, Teile unseres Territoriums aufzugeben, die das Leben Tausender unserer Militärhelden gekostet haben? Egal, was er tut, Selenskij riskiert politischen Selbstmord."

Klitschko meint, es wäre ein Albtraum, wenn sie noch zwei weitere Jahre kämpfen müssten. Ein Ausweg für Selenskij könnte die Bildung einer nationalen Einheitsregierung nach israelischem Vorbild sein, ähnlich wie es in Israel nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober geschah:

"Ich glaube jedoch nicht, dass Selenskij bereit ist, die Macht aufzugeben, die unter dem Kriegsrecht in seinen Händen konzentriert ist."

Nach Angaben der Tageszeitung kritisierte Klitschko im Februar die Entlassung des Stabschefs Waleri Saluschny und warf dem Präsidenten vor, zentralistisch zu agieren. Klitschko sagte auch, dass das Kriegsrecht als nationale Mobilisierung und als Garantie für die Einheit der Ukraine gedient habe. Nun aber müsse vermieden werden, dass das Büro von Selenskij alle wichtigen Entscheidungen allein treffe:

"Selenkij hat sich zu viel Macht in seinem Büro konzentriert. Daraus folgt, dass das Parlament jede relevante Rolle verloren hat. Wir dürfen nie vergessen, dass wir eine demokratische Republik sind, die an die Tradition der europäischen Regierungen anknüpft."

Er zeigte sich ebenfalls um Anzeichen von Autoritarismus besorgt:

"Wir verteidigen uns gegen die russische Diktatur und wollen uns klar vom Putin-Regime unterscheiden. Schon vor sechs Monaten habe ich der deutschen Presse gesagt, dass ich bei uns den Geruch von Autoritarismus verspüre."

Währenddessen bleibt Selenskij in der Ukraine an der Macht, obwohl seine Amtszeit im Mai offiziell abgelaufen ist. Er hat beschlossen, keine Präsidentschaftswahlen abzuhalten, und berief sich dabei auf den Kriegszustand, der wegen des Konflikts mit Russland verhängt wurde. Moskau betrachtet Selenskijs Legitimität als "abgelaufen" und sieht ihn nicht länger als rechtmäßigen Präsidenten des Landes an.

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