Reuters: Selenskij wird zunehmend paranoid

Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters sei der ukrainische Regierungschef Wladimir Selenskij "härter und weniger tolerant gegenüber Fehlern geworden" sowie "anfällig für Paranoia, da er rund um die Uhr mit Stress und Müdigkeit zu kämpfen hat".

Wladimir Selenskij fürchtet immer mehr um sein Leben, je länger der Konflikt zwischen Moskau und Kiew andauert, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters am Samstag in einem Profil über den ukrainischen Politiker.

Selenskij werde "zunehmend paranoid, weil er vermutet, dass die Russen versuchen, ihn zu ermorden und die ukrainische Führung zu destabilisieren", schildert ein hoher europäischer Beamter gegenüber der Agentur.

Laut Reuters habe man mit acht aktuellen und ehemaligen ukrainischen und ausländischen Beamten sowie mit "mehreren Freunden und Kollegen aus [Selenskijs] Vergangenheit" gesprochen. Der Agentur zufolge "zeichnen sie das Porträt eines Führers, der härter und entschlossener geworden ist, weniger tolerant gegenüber Fehlern und sogar anfällig für Paranoia, da er rund um die Uhr mit Stress und Müdigkeit zu kämpfen hat".

Selenskij sei "Welten entfernt" von dem TV-Komiker, der er vor seiner Wahl im Jahr 2019 war, berichtete Reuters. Seine Amtszeit als Präsident war offiziell im Mai abgelaufen, und der Politiker weigerte sich, Wahlen abzuhalten. Dabei berief er sich auf das Kriegsrecht, das aufgrund des Konflikts im Land verhängt wurde.

Selenskij hat wiederholt behauptet, Moskau habe versucht, ihn zu töten, ohne jedoch Einzelheiten oder Beweise zu nennen. Im Mai erklärte der ukrainische Sicherheitsdienst (SBU), dass zwei Obersten, die mit dem Schutz hochrangiger Beamter betraut waren, unter dem Verdacht festgenommen wurden, von Moskau für die Ermordung Selenskijs angeworben worden zu sein.

Die russischen Behörden bestreiten den Vorwurf, Selenskij beseitigen zu wollen. "Wir haben keine derartigen Pläne", sagte der stellvertretende russische Botschafter bei der UNO, Dmitri Poljanski, Anfang des Jahres.

Im Laufe des Konflikts sei Selenskij intolerant gegenüber vermeintlicher Inkompetenz unter seinen Beamten und Beratern geworden, so ein ungenanntes Mitglied seines Teams gegenüber Reuters. "Wenn er sieht, dass die Leute nicht vorbereitet sind oder sich gegenseitig widersprechen, sagt er: 'Raus hier, ich habe keine Zeit für so etwas'", berichtet die Quelle.

Selenskij sei auch unerbittlich, wenn es darum geht, seine ausländischen Unterstützer um Hilfe zu bitten, so ein hoher europäischer Beamter. "Er wiederholt 15 Mal, was er braucht, dass wir mehr tun oder die Konsequenzen tragen müssen, und er lässt nicht locker", betonte der Beamte.

Der ehemalige ukrainische Verteidigungsminister Alexei Resnikow, der letztes Jahr aufgrund von Korruptionsvorwürfen entlassen wurde, sagte, dass Selenskij in einem "Regime mit Schlafentzug" arbeite. Das Leben des ukrainischen Politikers bestehe aus "nächtlichen Beratungen und Ansprachen vor Parlamenten, Senaten … unabhängig von der Uhrzeit", erklärte er.

Resnikow zufolge hat Selenskij eine "Notfallbeutel" mit Kleidung zum Wechseln und einer Zahnbürste dabei, weil er oft nicht weiß, wo er die Nacht verbringen wird. "Er befindet sich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche im Stressmodus – es ist ein nicht enden wollender Marathon", fügte er hinzu.

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