Ein Brüsseler Gericht hat am Freitag über einen Eilantrag des Lobbyisten Frédéric Baldan beraten, in dem er EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen vorwirft, in der sogenannten "Corona-Pandemie" ohne ein ihr offiziell zugeteiltes Mandat der Mitgliedsländer einen milliardenschweren geheimen Impfstoffdeal mit dem Pfizer-CEO Albert Bourla ausgehandelt zu haben. Baldan wirft der CDU-Politikerin zudem vor, "öffentliche Dokumente zerstört" zu haben, die die Absprachen belegen. Laut einer Mitteilung des Gerichts werde es eine Entscheidung über den Antrag "vor dem 27. Juni" und damit vor Beginn des EU-Gipfels geben, auf dem über eine Wiederwahl von der Leyens beraten wird.
Baldan ist bei den EU-Institutionen in Brüssel offiziell akkreditiert. Seine Klage beinhaltet auch die Aufforderung an die konservative Europäische Volkspartei (EVP), ihre Unterstützung für von der Leyen zurückzuziehen. Am Tag vor der Gerichtsanhörung gab Baldan dem EU-Abgeordneten und bekannten von der Leyen-Kritiker Martin Sonneborn (Die Partei) ein Interview.
Zu dem Interview und den Hintergründen des Rechtsstreits schildert Sonneborn:
"In den letzten Wochen vor der EU-Wahl gab es in den europäischen Medien, die die SMS-Affäre um von der Leyen und Pfizer-CEO Bourla stets heruntergespielt oder vollends ignoriert hatten, eine auffällige Häufung von kritischen Berichten über von der Leyen, in denen der Vertrauensschaden durch die Pfizer-Affäre nicht nur ausdrücklich erwähnt, sondern als entscheidendes Hindernis für ihre zweite Amtszeit dargestellt wurde. Nach der Wahl scheint all dies plötzlich wieder vergessen, denn dieselben Medien diskutieren ihre Nominierung als Kommissionspräsidentin nun mit einer Selbstverständlichkeit, als handele es sich dabei um nicht weniger als ein Naturgesetz."
Anlass für den Eilantrag Baldans und seiner Anwälte war die Entscheidung eines Lütticher Gerichts, eine Anhörung zur Causa Pfizer-Verträge und von der Leyen auf den 6. Dezember zu verschieben. Damit wäre eine Wiederwahl von der Leyens – ohne juristische "Irritationen" – beim nächsten EU-Gipfel, auf dem die Staats- und Regierungschefs am 28. und 29. Juni über eine weitere Amtszeit von der Leyens an der Kommissionsspitze beraten, möglich.
Die Klage von Baldan beinhaltet auch die Beschwerde gegen eine erneute Nominierung von der Leyens für eine zweite Amtszeit in Brüssel. Wörtlich heißt es in der Klageschrift:
"Die Nominierung von Frau von der Leyen durch die EVP, für das Amt der Präsidentin der Europäischen Kommission, stellt einen Machtmissbrauch dar."
Baldan erinnert in dem Sonneborn-Interview daran, dass die EVP keine Partei, sondern ein von den EU-Bürgern nicht gewählter Zusammenschluss ist, der ohne politisches Mandat Ursula von der Leyen für eine leitende Position vorschlägt. In Augen Baldans ist von der Leyen keine demokratisch legitimierte Volksvertreterin, sondern eine schlichte EU-Beamtin, welcher ungerechtfertigt und missbräuchlich Machtbefugnisse übertragen wurden.
Baldan erkennt in dem ganzen Prozedere eine "Verletzung der europäischen Verträge, des Verhaltenskodex", erläutert der Lobbyist in dem Interview. Laut der dpa gingen Brüsseler Diplomaten jedoch davon aus, dass "die frühere Bundesministerin kommende Woche breite Rückendeckung beim Gipfel erhält".
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