Europäischer Rat stimmt über Chatkontrolle und Totalüberwachung ab

Am Donnerstag wird im Europäischen Rat über den Gesetzesentwurf zur Chatkontrolle abgestimmt. Sollte das Gesetz angenommen werden, wird die Privatsphäre in der Kommunikation de facto abgeschafft. Kindesmissbrauch würde damit nicht verhindert, so die Kritiker.

Am Donnerstag wird im Europäischen Rat über die Genehmigung der sogenannten Chatkontrolle abgestimmt. Mit dem geplanten Vorschlag würden Messengerdienste wie WhatsApp, Signal, oder Telegram zukünftig verpflichtet, versendete Nachrichten automatisch zu überwachen und Fotos nach "verdächtigen Inhalten" zu durchsuchen.

Kritiker bezeichneten die Chatkontrolle auch als anlasslose Massenüberwachung. "Jeder einzelne User stehe jederzeit unter dem potenziellen Verdacht, kriminelle Inhalte zu verteilen", berichtete der WDR am Mittwoch. Die totale Überwachung unter dem Vorwand, damit könne man Kindesmissbrauch zuvor kommen, bedrohe die Privatsphäre der Menschen.

Belgien sei dennoch zuversichtlich, dass die Chatkontrolle eingeführt werde. Eine ausreichende Mehrheit würde hinter dem Vorschlag stehen, gab das Fachmagazin Netzpolitik die Haltung des dem Europäischen Rat vorsitzenden Landes wieder. Sollten vier Staaten mit mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung das Gesetz explizit ablehnen, könnten sie es sperren. Im Vorfeld habe Netzpolitik wichtige Staaten über ihr Abstimmungspläne befragt. Das deutsche Bundesinnenministerium wolle dagegen stimmen, sollte die aktuelle Gesetzesvorlage so bleiben.

Deutschland lehne die sogenannte Chatkontrolle ab. "Verschlüsselte private Kommunikation von Millionen Menschen dürfe nicht anlasslos kontrolliert werden. Darin sind wir uns in der Bundesregierung seit langem einig. Auch im Europäischen Parlament gibt es daran breite Kritik", zitierte Netzpolitik das Innenministerium.

In einem Offenen Brief wandten sich am 17. Juni 36 Abgeordnete, vor allem aus Deutschland, an die Nationalregierungen und an den Europäischen Rat. Sie warnten vor dem Gesetzesvorhaben – es hebele digitale Grundrechte aus. Für den Kinderschutz seien andere Ansätze nützlicher.

Als Parlamentarier beobachteten sie mit großer Sorge, wie der Ratsvorschlag die "Vertraulichkeit privater Kommunikation abschaffen würde", hieß es in dem Schreiben. Bei dem Gesetzesvorhaben handele es sich um einen Eingriff in die digitalen Grundrechte. Für den Schutz von Kindern und die Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch bräuchte man vor allem mehr Ressourcen für Strafverfolgungsbehörden. Man könne und dürfe sich nicht mittels Chatkontrolle auf "ein falsches Gefühl der Sicherheit durch Technosolutionismus verlassen." Im Brief erklärten die Parlamentarier:

"Als nationale und europäische Parlamentarier sind wir überzeugt, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen mit den europäischen Grundrechten unvereinbar sind. Wir setzen uns ein für den Schutz des Rechts, das Recht auf anonyme und pseudonyme Nutzung des Internets zu schützen, sowie die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung."

Sollte der Rat den Gesetzesentwurf am Donnerstag beschließen, würden Rat, Parlament und Kommission ab Herbst im Trilog über den endgültigen Gesetzestext verhandeln. Das Gesetz gelte dann für alle EU-Mitgliedsländer und deren Bevölkerungen. Falls der Entwurf durchfallen sollte, sei der Plan aber nicht vom Tisch. Denn dann verhandelten die EU-Staaten weiter – ab Juli unter ungarischer Ratspräsidentschaft.

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