Von Susan Bonath
Die westliche Rüstungslobby dürfte jubeln. Künftige Superprofite sind ihr so gut wie sicher: Im neuen EU-Parlament werden weiterhin jene Parteien haushoch dominieren, die einen Krieg gegen Russland aktiv anheizen. Allein in Deutschland haben drei Viertel aller Wähler für solche Parteien gestimmt. Und der größte Teil der Opposition ist in Bahnen gelenkt, die kriegerische Kapitalinteressen kaum gefährden werden.
Von der Leyen will weitermachen
Das Gerangel um die Spitzenposten im EU-Parlament hat bereits begonnen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) drängt auf eine zweite Amtszeit. Das bürgerlich-konservative Parteienbündnis EVP, dem die deutschen Unionsparteien CDU und CSU angehören, forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, ihre Wiederwahl zu unterstützen, wie die Tagesschau berichtete.
Von der Leyen will sich dafür "Bündnisse in fast alle Richtungen" offenhalten, wie sie auf einer Pressekonferenz in Berlin sagte. Zunächst werde sie mit den Fraktionen der Sozialdemokraten und Liberalen reden, die ihren Kriegskurs befürworten. Sie lobte, wie "gut und vertrauensvoll konstruktiv" die deutschen Unionsparteien mit ihnen in den letzten fünf Jahren zusammengearbeitet hätten.
Notfalls mit den "bösen Rechten"
Aber auch andere Türen will sich von der Leyen nicht verschließen, wie sie betonte. Denn die EVP ist zwar die stärkste Fraktion, hat aber mit 186 nur ein knappes Viertel der Sitze inne. So will sie beispielsweise auch bei Abgeordneten der Partei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Fratelli D'Italia (Brüder Italiens), um Stimmen werben. Sie gab sich dazu in Berlin pragmatisch und beteuerte gegen leise aufkommende, moralisierende Kritik, vor der auch sie nicht vollständig gefeit ist:
"In diesen turbulenten Zeiten brauchen wir Stabilität, wir brauchen Verantwortlichkeit und wir brauchen Kontinuität."
Nicht nur mit den meisten "grünen" und "sozialdemokratischen" Parteien, auch mit dem Gros der starken Rechtsaußen-Fraktion (der die AfD nicht mehr angehört) eint von der Leyen der Aufrüstungs- und Kriegskurs.
Melonis Fratelli D'Italia haben sich bereits strikt gegen Russland positioniert. Auch Frankreichs Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen verhält sich in der Frage so verhalten wie gespalten.
Wer auch immer von der Leyen zur Wiederwahl verhelfen könnte: Sie hat bereits zuvor klargestellt, dass ihre Bedingung für eine Kooperation die Bereitschaft sei, "sich in die EU und die NATO einzugliedern sowie die Ukraine im Krieg gegen Russland zu unterstützen". Melonis Partei erfüllt diesen Wunsch in jedem Fall.
Gelenkte Opposition?
Insgesamt ist die politische Landschaft ein einziges Verwirrspiel. Ehemals eher linke, sozialdemokratische und grüne Parteien sind zusammen mit den Konservativen auf den ultrarechten Kriegskurs eingeschwenkt, wobei sie sich gemeinsam weiterhin als "demokratische Mitte" gebärden.
Europas größten, expandierenden Rüstungskonzern Rheinmetall freut das. Dessen Chef Armin Papperger jubelte in der Wirtschaftswoche über sprudelnde Profite, volle Auftragsbücher unter anderem durch eine Einigung mit Litauens Regierung über den Bau einer neuen Waffenfabrik sowie eine weitere Partnerschaft mit der weltgrößten US-Waffenschmiede Lockheed Martin.
Derweil ist die verbliebene linke Opposition, die sich weiterhin gegen Aufrüstung und Krieg ausspricht, erneut geschrumpft. Viele Wähler sahen eine Alternative bei Rechtsaußenparteien. Gegen Aufrüstung der NATO-Mitgliedsstaaten sind diese aber nicht, auch nicht die AfD, die sich allerdings zumindest partiell gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und für gute Beziehungen mit Russland ausspricht. Ihr Zugewinn an Stimmen um knapp fünf auf fast 16 Prozent dürfte bei vielen ihrer Wähler auch eine Absage an Krieg sein.
Das ändert allerdings nichts an ihrem grundsätzlichen Zuspruch für das imperialistische westliche Kriegsbündnis NATO und ihrem Wunsch nach Aufrüstung, Wiedereinsetzung der Wehrpflicht und Waffenlieferungen in den Rest der Welt, zum Beispiel nach Israel. Auch ein Ende der Unterdrückung des globalen Südens durch den Westen und daraus resultierender Probleme, wie Flucht und Migration, stehen nicht auf ihrer Agenda.
Den Interessen der Rüstungsindustrie und ihrer politischen Handlanger steht keine der europäischen rechten Oppositionsparteien ernsthaft im Weg. Bei aller verbaler Kritik aus den bürgerlichen Lagern bleiben diese dennoch eine für das westliche Kapital akzeptable Alternative. Man könnte es so sehen: Es ist den Eliten gelungen, den Widerstand gegen die desaströsen politischen Verhältnisse in Deutschland und Europa in eine Richtung zu lenken, die den Herrschenden zumindest nicht wesentlich schadet.
Propaganda-Dauerfeuer
Dass der Kriegsblock erneut gewinnen konnte, liegt aber nicht zwingend an einer großen Kriegslust der europäischen Bevölkerung, die am Ende einmal mehr als Kanonenfutter verheizt werden wird. Einen riesigen Anteil daran dürfte die ausufernde westliche Propaganda haben, die auch die deutschen Leitmedien aus allen Rohren in Dauerschleife abfeuern.
Kernpunkt der massiven Desinformationskampagne ist eine Lüge, mit der das tonangebende Establishment die Realität vollständig verdreht: Angeblich wolle Russlands Präsident Wladimir Putin im Falle eines Sieges weitere europäische Staaten "überfallen", da er eine Art "großrussisches Reich" anstrebe.
Diese Propagandaerzählung, die beispielsweise das öffentlich-rechtliche ZDF fantasiereich ausgeschmückt im April zum Besten gab, spielt sogar manipulativ mit der natürlichen Angst der Menschen vor einem Krieg. Die verlogene Botschaft dahinter lautet: Nicht der Westen eskaliere, sondern Putin, und wenn man diesen nicht mit aller Gewalt stoppe, gebe es einen großen Krieg.
Altes Feindbild neu aufgeblasen
Anders ausgedrückt: Die Propagandisten verkehren die tatsächliche kriegerische Eskalation des Westens zu einem Allheilmittel gegen Russlands angebliche Eskalation, die allerdings frei erfundene Fantasie ist. Dieses perfide gestreute und ständig wiederholte Narrativ beflügelt – mutmaßlich ganz bewusst – das in der alten BRD auch nach dem Zweiten Weltkrieg nach antikommunistischer Räson kultivierte Feindbild Sowjetunion.
Dafür bemüht das ZDF dann schon mal Pseudoexperten, wie den ukrainischen Abgeordneten und Atlantiker Alexei Gontscharenko. Unreflektiert zitierte der Sender aus dessen Propaganda-Märchen, die er in einem Beitrag für die US-amerikanische Denkfabrik und PR-Agentur "Atlantic Council" zusammenfantasiert hat:
"Die Schwäche des Westens in der Ukraine könnte einen weitaus größeren Krieg mit Russland provozieren."
Denn, so der vom ZDF Zitierte: Putin könne sich ermutigt fühlen, noch weitere Länder anzugreifen, die er als historisch-russische Gebiete betrachtet, zum Beispiel Moldawien, Georgien und Kasachstan. Um die Propagandalüge zu "untermauern", griff das ZDF auf einen passenden Politologen aus Österreich zurück: Gerhart Mangott von der Universität Innsbruck erklärte die Propagandalüge für "realistisch".
Irrationale Ängste geschürt
Sind Geschichten dieser Art, aufgeladen mit allerlei negativ wertenden Adjektiven, in akademischen Kreisen – und auch journalistischen – erst einmal virulent, gelten sie dort bekanntlich schnell als die Wahrheit. Wer das für Bullshit hält, was es ist!, riskiert den Rauswurf. So werden Desinformationskampagnen nicht nur zum Thema Russland und Ukraine konzipiert, deren Überbringer oft Mittäter und Opfer zugleich sind.
Propaganda zielt dabei nie auf den Verstand ab, sondern nur auf Emotionen. Wer von immer neu geschürter irrationaler Angst vor einem vermeintlich anstehenden russischen Eroberungsfeldzug geplagt ist, kann schon mal wahnsinnig werden. Auf einen erheblichen Teil der europäischen Bevölkerung dürfte das zutreffen.
Bei den kriegstreibenden Rüstungslobbyisten aus Wirtschaft und Politik knallen derweil wohl längst die Champagnerkorken ob ihrer erfolgreichen Kampagne. So kann der für sie profitable imperialistische Wahnsinn weiterlaufen. Imperialismus in der Krise strebte schon immer nach Krieg, um sich gesundzustoßen. Ursula von der Leyen und ihre Mitstreiter an der Seite des westlichen Großkapitals können sich nun feiern lassen. Dafür werden auch "die Bösen" vorübergehend schon mal zu "den Guten".
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