Von Wladislaw Sankin
In Moskau fand eine beachtliche Fachkonferenz für Medienvertreter, Politiker und Bildungsexperten statt. Organisiert wurde das Forum vom Medienportal Ukraina.ru, das Ende Mai sein zehnjähriges Bestehen feierte. Das multimediale Projekt der Exil-Ukrainer hat sich als Erfolg erwiesen, denn heute hat Ukraina.ru nicht nur eine viel besuchte Webseite, sondern auch einen Telegram-Kanal mit 430.000 Abonnenten und sich rasch entwickelnde Plattformen auf Englisch, Spanisch und Chinesisch. Innerhalb Russlands ist das Projekt zu einem einflussreichen medialen Akteur geworden, der auch Ideen für die Politik liefert.
Das Foresight-Forum fand unter dem Titel "Welchen Sieg brauchen wir?" statt und bestand aus drei je zweistündigen Panels: In den ersten zwei Sitzungen ging es jeweils um Entmilitarisierung und Entnazifizierung, das dritte Panel war der "Rolle der Medien bei der Demontage der neonazistischen Banderismus-Idee" gewidmet. Wie der Chefredakteur des Portals und Moderator Iskander Chisamow anmerkte, durchlief die Idee des traditionell jährlichen Foresight-Forums einen Wandel: Während es vor einem Jahr noch darum ging, "Welche Ukraine Russland braucht", stellt sich heute diese Frage nicht mehr. Nun geht es vielmehr darum, wie man die Ukraine in Russland reintegriert und eine mögliche Wiederbelebung des ukrainischen Nationalismus auf diesem Territorium künftig verhindert.
Die Idee, dass die Ukraine nach einem russischen Sieg bei der Militäroperation als unabhängiger Staat weiterexistiert, solle nach übereinstimmender Meinung der Forumsteilnehmer weder für die Russen noch für die Ukrainer selbst eine diskutable Option werden. Die Rede sei nun von der "ehemaligen" Ukraine, wie es einer der Top-Speaker des Forums, Vize-Sprecher der Staatsduma Pjotr Tolstoi, zu sagen pflegt.
Auch im Westen ist man sich weitgehend einig, dass Russland den Staat "Ukraine" abschaffen will. Mit einem prinzipiellen Unterschied: Der Prozess der Abschaffung des ukrainischen Staates wird in Kiew wie auch in den westlichen Hauptstädten im Kontext der Gräuel-Propaganda ausgelegt, als Genozid des ukrainischen Volkes und Vernichtung der ukrainischen Sprache und Kultur.
Diese Propaganda beruht auf der Idee des Antagonismus und ewigen Kampfes zwischen dem edlem, freiheitsliebenden Volk der Ukraine und dem niederträchtigen russischen "Volk der Sklaven", und liegt allen ukrainischen nationalistischen Konzepten zugrunde. Dieser angebliche Antagonismus schreibt Hass ganz programmatisch auf seine Fahnen. Dies belegt eine auf dem Forum vorgelesene "Handlungsanweisung" aus dem Jahre 1912 eindrücklich:
"Wenn wir über die Ukraine sprechen, müssen wir mit einem Wort arbeiten ‒ dem Hass auf ihre Feinde... Die Wiederbelebung der Ukraine ist gleichbedeutend mit dem Hass auf die eigene Frau ‒ eine Moskowiterin, die eigenen Kinder ‒ Kazaplinge, die eigenen Brüder und Schwestern ‒ Kazaps [Kazap ist eine abwertende ukrainische Bezeichnung für Russen ‒ Anm. der Red.], den eigenen Vater und die eigene Mutter ‒ Kazaps. Die Ukraine zu lieben bedeutet, seine Kazap-Verwandtschaft abzulegen."
Diesen in einer Kiewer Zeitschrift veröffentlichten Text brachte der Abgeordnete des Obersten Rats Wladimir Dschabarow während seines Redebeitrags als Zitat. Nazistisch werden diese Ideen wiederum, wenn der Hass das Töten begründet. Der Staat wird nazistisch, wenn er das Töten aus dem Grund dieses Hasses legitimiert, wie der Politikwissenschaftler Timofej Sergejzew anmerkte. Die öffentlich gefeierten und ungesühnten Verbrechen, das Odessa-Massaker im Mai 2014 und die Ermordung des prorussischen Schriftstellers und Publizisten Oles Busina auf offener Straße in Kiew, sind zwei Paradebeispiele dafür, dass der ukrainische Staat nach dem Maidan-Putsch ganz deutliche nazistische Züge aufweist. Dies äußerte sich nicht nur durch die Ehrung der nazistischen Kollaborateure und die Umschreibung der Geschichte, sondern auch durch Hassverbrechen und die totalitäre Säuberungswut im Hinblick auf alles Russische.
"Verschwinden werden unsere Feinde wie Tau in der Sonne, und auch wir, Brüder, werden Herren im eigenen Land sein", singt man in der ukrainischen Hymne. "Feinde" würden von allein ja nicht verschwinden, es muss "nachgeholfen" werden. Also ist die Tötung der Feinde die Voraussetzung für das "ukrainische Glück", so liest man diese Hymne heute, im 21. Jahrhundert. Geschrieben wurde das Gedicht, das viele Jahre später zur Nationalhymne wurde, im Jahre 1862 von Pawel Tschubinski während eines Trinkabends in Kiew unter Teilnahme serbischer Studenten. Diese sollen dabei gesungen haben: "Das Herz schlägt und das Blut fließt für unsere Freiheit".
Tschubinski schrieb noch während des Abends ein ukrainisches Pendant zu Kampfliedern der slawischen Balkanvölker, die damals für die Befreiung von der Fremdherrschaft der Osmanen kämpften ‒ es war die romantische Epoche des Panslawismus. Im russischen Teil der Ukraine befanden sich die Ukrainer als Volk der Kleinrussen unter keiner Fremdherrschaft, sie lebten im eigenen Land. Populär wurde das Lied deshalb zunächst im österreichisch-ungarischen Teil der späteren Westukraine.
Ihres historischen Kontextes beraubt, spielt die Hymne heute den Nationalisten und sonstigen antirussischen Hasspredigern in die Hände und könnte damit sogar die Begründung für einen ewigen Krieg gegen die "Feinde" liefern. Der bekannte russische Philosoph Alexander Dugin, dessen Tochter Darja, eine junge Intellektuelle, vom ukrainischen Geheimdienst in Moskau ermordet wurde, brachte es auf Punkt: "Wir in Russland sind uns mittlerweile weitgehend einig, dass Russland die Ukraine als unabhängigen Staat in keiner Form tolerieren kann, denn die Existenz der Ukraine bedeutet nur Krieg." Ihm zufolge wäre die Existenz der ehemaligen ukrainischen Territorien als Teil der Russischen Föderation oder eines mit Russland gemeinsamen ostslawischen Bundes denkbar.
Die Idee des ewigen Antagonismus zwischen Russland und der Ukraine und einer Überlegenheit der Ukraine als einer angeblich altertümlichen Kulturnation sei mithilfe der vom Westen finanzierten humanitären Projekte erfolgreich in das ukrainische Bildungssystem eingepflanzt worden, merkten weitere Redner der Konferenz an. Da die ukrainische Staatsidee inzwischen vom "banderistisch geprägten Ukrainismus" nicht mehr zu trennen sei, müsse nun stattdessen auf dem ukrainischen Territorium eine "Rerussifizierung" durchgeführt werden, sagte der ehemalige Bildungsminister im Janukowitsch-Kabinett Dmitri Tabatschnik.
Der Geschichtswissenschaftler und direkte Nachfahre des russischen Generalgouverneurs von Kiew Iwan Glebow (1707-1774) mütterlicherseits und einer aus dem zentralukrainischen Podolien stammenden Familie väterlicherseits war seit Ende der 1980er Jahre einer der konsequentesten Widersacher des aufkommenden Banderismus. Nach dem Maidan-Putsch im Februar 2014 floh er nach Russland. Auf dem Foresight-Forum stellte er fest, dass seine Mitstreiter den Kampf um die Köpfe der Ukrainer im Bildungs- und geisteswissenschaftlichen Bereich verloren haben, weil sie die Rolle dieser Sphäre des gesellschaftlichen Lebens unterschätzt hätten. Der Westen habe seinerseits konsequent in die Verwestlichung und Banderisierung der Ukraine investiert, während sich Russland ausschließlich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigte.
Ein anderer Redner, der Politikwissenschaftler Dmitri Jestafjew, sagte, dass die "Debanderisierung" der Ukraine nur dann erfolgreich sein könne, wenn dem Banderismus die sozialen Grundlagen entzogen werden. Diese basieren auf einer Archaisierung der Gesellschaft, die mit Deindustrialisierung und Primitivisierung des Bildungssystems einhergehen. Russland müsse der Bevölkerung der "Post-Ukraine" ein attraktives Zukunftsmodell anbieten. Der Ex-Journalist und Duma-Abgeordnete Pjotr Tolstoi betonte, dass ehemalige ukrainische Staatsbürger in den befreiten Gebieten nur an konkrete Taten glauben, also wenn beispielsweise Straßen und Schulen gebaut werden. Nur so könne das Vertrauen von Bürgern gewonnen werden, die von korrumpierter Macht enttäuscht wurden.
Am Forum nahm auch die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, teil ‒ ihr Redebeitrag war der Entnazifizierung in West- und Ostdeutschland gewidmet. Sie betonte, dass das russische Untersuchungskomitee seit 2014 zu den Verbrechen der ukrainischen Neonazisten konsequent ermittle. Dies bilde eine solide juristische Grundlage für spätere Strafverfahren.
Die Teilnehmer des Forums waren sich einig, dass die Befreiung der Post-Ukraine von der Bazille der Russophobie und des Banderismus langwierig und schwer sein wird. Einer der Redner, der Publizist Wladimir Kornilow, warnte vor einer künftigen Nachsicht gegenüber Nationalisten, wie dies in der Sowjet-Ära und in den Jahren der Unabhängigkeit der Fall war. Bei der Bekämpfung des Banderismus müsse eine Kombination aus Milde und Härte gezeigt werden. Die Teilnehmer zeigten sich fest überzeugt davon, dass die ukrainische Frage trotz aller Schwierigkeiten letztendlich zum Wohle aller in dieser Region lebenden Menschen gelöst werde.
Das wäre eine große geschichtliche Leistung Russlands in diesem Jahrhundert. Im Grunde genommen geht es um den Prozess der Wiedervereinigung des russischen Volkes, der spätestens seit der Gründung der Ukrainischen Volksrepublik im Jahre 1917 mehr als ein Jahrhundert lang durch die künstliche Erschaffung von Nationen und Ethnien hinausgezögert wurde. Auch geht es um die Rettung des traditionellen orthodoxen Glaubens, der in der Ukraine durch staatliche Repressionen und die Schaffung einer Reihe von Pseudo-Kirchen massiv angegriffen wird. Kurzum ‒ es geht um einen Kampf geradezu zivilisatorischen Ausmaßes.
Und das verstehen die Gegner Russlands nur zu gut. Es lässt sich prognostizieren: Je erfolgreicher Russland auf diesem Gebiet wird, desto lauter wird das Geschrei im Westen um einen russischen "Genozid" an den Ukrainern werden. Das sollte nicht verwundern, denn schließlich ist der Ukrainismus stets eine Waffe im Kampf gegen Russland und sein Volk gewesen. Die Abspaltung eines großen und wichtigen Teils des russischen Volkes vom Kernland mithilfe des zynischen "Teile-und-herrsche"-Prinzips erwies sich für seine historischen und heutigen geopolitischen Gegner Polen, Österreich-Ungarn, Deutschland und die USA stets als geeignetes Mittel zum Zweck.
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