Westliche Waffen als Gamechanger? – Die Halluzination vom Endsieg treibt neue Blüten

Fast allen an Kiew gelieferten westlichen Waffen wurde die Fähigkeit zugesprochen, die Kriegswende herbeizuführen. Doch die gepriesenen "Gamechanger" entfalteten nicht die gewünschte Wirkung. Mit der Kiew erteilten Erlaubnis, diese Waffen gegen Ziele in Russland einsetzen zu können, erhält der Glaube an deren überragende Fähigkeiten neue Nahrung.

Als Nebeneffekt des Ukraine-Konflikts hat sich im deutschen Sprachgebrauch der Begriff "Gamechanger" etabliert. Gemeint sind damit Waffensysteme, die "das Spiel verändern", also eine Kriegswende herbeiführen können. 

Der Westen hat bereits eine ganze Palette verschiedenster Waffen an die Ukraine geliefert, die als Gamechanger bezeichnet wurden, bevor sie auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kamen - wo dann die in sie gesetzten Hoffnungen schnell verpufften. Medial wurde es dann meist ganz still um diese Wunderwaffen, nur um sich sodann auf die nächsten Gamechanger zu stürzen, die Kiew dem Endsieg näher bringen.

Angefangen mit der türkischen Drohne Bayraktar TB2, die man in Kiew bereits vor Ausbruch der Kampfhandlungen mit Russland als Gamechanger betrachtete und in die man große Hoffnungen setzte – und die dann angesichts ihrer Nutzlosigkeit aus den Schlagzeilen verschwand.

Die "heilige Javelin" – Ein Propaganda-Lehrstück 

Als "wirklicher Gamechanger" galt auch die US-Panzerabwehrrakete Javelin, die von der ukrainische Propaganda sogar in den Rang einer Heiligen erhoben wurde. 

Stand Anfang 2024 hatten die USA über 10.000 Javelin-Einheiten an Kiew geschickt – neben Zehntausenden anderer vom Westen gelieferter Anti-Panzer-Waffen. Zu Kriegsbeginn lag die jährliche Javelin-Produktionsrate bei rund 1.000 Einheiten, laut dem Hersteller Lockheed Martin liegt sie inzwischen bei 2.400 Exemplaren. Der von Kiew angemeldete tägliche Bedarf liegt jedoch bei 500 Stück.

Allein dieses Missverhältnis zeigt, dass es sich bei der Javelin nicht um einen Gamechanger handeln kann – trotz aller Halluzinationen in den westlichen Medien, dass auf 300 Abschüsse aus der Waffe 280 zerstörte russische Panzer kämen. Die ukrainische Armee soll demnach also unter realen Kampfbedingungen auf dem Schlachtfeld eine "Kill Ratio" von 93 Prozent erreicht haben.

Dabei kommen US-Soldaten selbst unter optimalen Trainingsbedingungen nur auf eine Trefferquote von 19 Prozent. Das geht aus einem Bericht des US-Militärs hervor, der die Wirksamkeit von Javelins und TOW-Panzerabwehrwaffen untersuchte und verglich. Darin heißt es: 

"Obwohl die Daten zu zeigen scheinen, dass Javelin-Einsätze prozentual gesehen effektiver sind als TOW-Einsätze, gibt es nicht genügend Daten, um einen statistisch signifikanten Unterschied in der Effektivität der drei Systeme zu belegen."

Wohlgemerkt, die 19 Prozent beziehen sich auf "registrierte Treffer", nicht auf "Kills", also nicht auf komplett zerstörte Panzer. Zudem wurden "keine Fälle berücksichtigt, in denen ein Soldat versucht hat, ein Ziel zu treffen, aber durch einen Bedienungsfehler nicht geschossen wurde."

"Die Wirksamkeit ist im Allgemeinen gering", so das vernichtende Fazit des Berichts. Die Javelin war und ist somit nur eine Wunderwaffe in der Fantasie pro-ukrainischer Propagandisten.

Vermeintliche Gamechanger: Keine Zeitenwende auf dem Schlachtfeld

Und so verhält es sich auch mit den anderen westlichen Waffensystemen, die beinah alle zu einem Gamechanger erklärt wurden – bevor sie mit der Realität des Schlachtfelds und den Fähigkeiten der russischen Armee konfrontiert wurden.

Das galt für Stinger-Luftabwehrraketen – deren Bedarf Kiew ebenfalls auf 500 täglich veranschlagte – ebenso wie für US-amerikanische M777-Haubitzen. Oder für westliche Panzer wie den deutschen Leopard 2 oder den amerikanischen Abrams, über den selbst CNN nun ein vernichtendes Urteil fällen musste. Zu den vielen Gamechangern gehörten auch Streumunition, das mobile Antipanzer-System Sturm-SM sowie MLRS-Raketenwerfer. Und nicht zu vergessen US-HIMARS-Raketen oder die britischen Storm Shadow-Marschflugkörper, deren begrenzte Wirkung inzwischen auch westliche Analysten eingestehen.

Und auch die der Switchblade-Kamikaze-Drohne zugesprochenen Gamechanger-Eigenschaften konnten der Realität nicht gerecht werden. Gegen die russischen Fähigkeiten der elektronischen Kriegsführung ist die Drohne machtlos, weshalb das Pentagon deren Produktion inzwischen eingestellt hat.

Nun ruhen alle Gamechanger-Hoffnungen auf die vor Monaten von den USA gelieferte Wunderwaffe ATACMS. Doch einige Analysten haben bereits erkannt, dass die US-Marschflugkörper ebenso wenig wie der deutsche Taurus die Wende herbeiführen können, da die ukrainischen Streitkräfte "bereits mit ähnlichen Systemen ausgestattet" sind und sie "keine wesentliche zusätzliche Fähigkeit bieten, auf die sich die russischen Streitkräfte einstellen müssten."

Bis die ersten von ihnen vom Himmel fallen, gelten darüber hinaus auch F16-Kampfjets als "ernsthafte Gamechanger", von denen die ersten Exemplare bald in der Ukraine eintreffen sollen. Bis dahin können Medien ungestraft von der Realität – wie am Mittwoch der Merkur – Schlagzeilen basteln wie: "Kampfjet-Angst in Russland: Putins Armee muss vor F-16-Angriff zittern"

Westliche Waffen können kein Gamechanger sein

Warum westliche Waffen keine Gamechanger sein können, sollte für jeden unvoreingenommenen Beobachter auf der Hand liegen: Der Westen verfügt über keine Waffensysteme, die nicht auch Russland im Arsenal hat – allerdings meist in größerer Stückzahl und mit mehr Munitionsreserven; zudem mit einer besseren Logistik, was die Herbeiführung von Munition und Ersatzteilen betrifft; Bedienbarkeit und Reparatur fallen zumeist ebenfalls deutlich einfacher aus als bei ihren westlichen Pendants.

Wenn überhaupt von einem einzelnen Waffensystem gesprochen werden kann, das den Verlauf des Kriegs entscheidend verändert, dann sind das die russischen FAB-Gleitbomben. Diese mit einem nachträglich installierten Steuerungsmodul ausgestatten Bomben, von den Russland zigtausende in seinen Arsenalen hat, werden von Flugzeugen aus einer so großen Entfernung abgeworfen, dass sie von der ukrainischen Luftabwehr unerreichbar sind – und treffen präzise ihr Ziel. 

Schon vor drei Monaten berichtete CNN, dass diese Gleitbomben "das Kräfteverhältnis an der Kontaktlinie verändert" hätten. "Russlands neue gelenkte Bombe richtet an der ukrainischen Front Verwüstung an und fordert erhebliche Todesopfer", heißt es dort. Und seitdem hat sich der tägliche Einsatz dieser Bomben deutlich erhöht, denen die ukrainische Armee  machtlos ausgesetzt ist. 

Dabei verfügt auch sie über von den USA gelieferte Gleitbomben. Doch die Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB) kann der elektronischen Kriegsführung der Russen nicht standhalten. The Pentagon is not amused

Zu neuem Leben erweckt: Der Glaube an den Endsieg

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und mit der Entscheidung vieler NATO-Staaten, der Ukraine den Einsatz ihrer Waffen gegen Ziele in Russland zu gestatten, glauben viele "Experten" offenbar wieder an deren Wunderwaffen-Eigenschaften – zumindest wenn sie von sämtlichen Fesseln befreit würden. Denn beispielsweise Washington und Berlin haben Kiew auferlegt, ihre gelieferten Waffen nur gegen russische Waffensysteme einzusetzen, die bei der Offensive im Gebiet Charkow zum Einsatz kommen.  

Mit diesen Beschränkungen seien die westlichen Waffen kein Gamechanger, so der Militärexperte Walter Feichtinger am Dienstag gegenüber ntv. Aber bei deren "genereller Freigabe" sähe das ganz anders aus, ist sich Feichtinger sicher. 

Beim Merkur steht dagegen außer Frage, dass die vom Westen erfolgte Erlaubnis zum Einsatz seiner Waffen auf Ziele in Russland bereits die gewünschten Früchte trägt: "West-Waffen als Gamechanger: Russlands Armee packt die Panik vor Ukraine-Offensive", titelte die Online-Ausgabe der Zeitung am Mittwoch.

"Welche Auswirkungen der Einsatz westlicher Waffen auf den Kriegsverlauf im Ukraine-Krieg haben könnte, lässt sich bislang noch nicht final beurteilen. Jedoch lassen aktuelle Verläufe an der Kriegsfront erste Vermutungen zu", heißt es dort. 

Gemeint ist der Vorstoß der ukrainischen Streitkräften in Woltschansk. Ihnen war es in den letzten Tagen gelungen, die russische Armee aus einem Teil der Grenzstadt zurückzudrängen, weshalb der Glaube an den Endsieg in manchen Redaktionsstuben wieder neue Blüten treibt. 

Dabei unterschlägt der Merkur, dass die Ukraine ihre Reserven mobilisieren und Truppen von anderen Frontabschnitten abziehen musste, um die Russen in Woltschansk zurückdrängen zu können. Dabei haben die Russen mit der Eröffnung der Charkow-Front unter anderem genau das bezweckt: Die Ausdünnung der ukrainischen Truppen entlang der gesamten Frontlinie – wie von Scott Ritter am Dienstag auf RT DE beschrieben.

Und was der Merkur ebenso unterschlagen hat: Bei der proklamierten "ukrainischen Großoffensive auf Woltschansk" spielen weniger kostspielige westliche Wunderwaffen eine ausschlaggebende Rolle, als vielmehr handelsübliche FPV-Drohnen, die mit Sprengstoff beladen werden.

Doch all das wird den Halluzinationen über westliche Gamechanger-Waffen, denen die Mainstreammedien unterliegen, keinen Abbruch tun. Denn was nicht sein darf, dass kann auch nicht sein, und irgendein "Experte" wird sich bei Bedarf immer finden, der für das zunehmend kriegsmüde werdende Publikum die passenden Durchhalteparolen findet und zu berichten weiß, warum der Sieg der Ukraine dank westlicher Waffenhilfe unabwendbar ist. Bis Kiew die Kapitulation unterzeichnet hat.  

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