Von Felicitas Rabe
Der Kölner Chlodwigplatz war voll, als am Dienstagabend die BSW-Vorsitzende Dr. Sahra Wagenknecht zu den Menschen sprach. Auf ihrer Wahlkampftour vor den Europawahlen veranstaltete die Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit" auch eine Kundgebung vor der Severinstorburg in der Kölner Südstadt. Obwohl es fast ununterbrochen regnete, kamen über 1.000 Menschen, um die Kandidaten der neuen Partei zu hören. Neben Sahra Wagenknecht präsentierten sich in Köln auch der BSW-Europakandidat Hanno von Raußendorf, der ehemalige Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, und der BSW-Spitzenkandidat Fabio Di Masio. Musikalisch wurde die Veranstaltung vom Kölner Sing- und Songwriter Duo 'Anyway' und dem Sänger Tino Eisbrenner umrahmt.
Hanno von Raußendorf: Eine europäische Friedensordnung gibt es nur mit Russland
Der BSW-Europakandidat Hanno von Raußendorf forderte in seiner Eröffnungsrede eindringlich die Beendigung des Krieges in der Ukraine. Die Ausweitung der Europäischen Union und der NATO, welche in den letzten 30 Jahren bis an die russische Grenze ausgedehnt wurde, habe Europa doch nicht sicherer gemacht. Im Gegenteil, das Ergebnis der über tausend Kilometer reichenden EU- und NATO-Ausdehnung nach Osten habe nur zu Krieg und Unfrieden in Europa geführt. Eine europäische Friedensordnung gebe es aber nur mit Russland. Dazu erklärte der frühere Linken-Politiker:
"Ein europäisches Haus gibt es nur unter Einbeziehung Russlands und mit einer gemeinsamen Sicherheitsordnung!"
Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel: Warum verhandelt man nicht mit Russland?
Früher engagierte sich der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel in der SPD. Nachdem er in das BSW eingetreten ist, tritt er für die Partei als Spitzenkandidat bei der Europawahl an. Europa müsse sich gegen die US-Subventionspolitik wehren, womit gezielt europäische Unternehmen in die USA gelockt würden. Es handele dabei um eine "Kampfansage" der USA an den Industriestandort Europa. Zwar habe "Putin" einen "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" gegen die Ukraine begonnen, aber mittlerweile gehe es dem Westen in diesem Krieg um den Milliardenprofit der Rüstungsindustrie. Insbesondere der Grüne Politiker Anton Hofreiter bete das Angebot von Rheinmetall rauf und runter. Europa müsse wieder zur Friedensmacht werden. Wohlstand und sozialer Zusammenhalt müssten erhalten bleiben.
Schon Helmut Schmidt habe gesagt:
"Lieber 1.000 Stunden verhandeln, als eine Stunde schießen."
Angeblich wüssten diverse "Putinversteher" ja bereits, dass Putin von Moldawien bis an die Elbe alles Land erobern wolle. Aber wieso verhandele man nicht mit Russland? Warum machte man dem Land kein Friedensangebot? Für Thomas Geisel stellt der russische Präsident ein vergängliches Problem dar:
"Putin ist ein Problem, aber dieser Mann wird irgendwann Geschichte sein."
Fabio Di Masio: Warum sollen immer die Söhne der anderen sterben?
Der Finanzexperte Fabio Di Masio war bis 2022 für die Partei die Linke im deutschen Bundestag. Auch der EU-Spitzenkanditat des BSW bezeichnete den Einmarsch der Russen in die Ukraine als völkerrechtswidrig. Gleichzeitig betonte er aber, dass man die komplizierte Vorgeschichte des Ukrainekrieges nicht außer Acht lassen dürfe. In seiner Rede prangerte er das angeblich "faire Angebot" für ukrainische männliche Kriegsflüchtlinge an, die man in die Ukraine zurückschicken wolle. Den europäischen Politikern stellte er die Frage:
"Warum sollen immer die Söhne der anderen in der Ukraine und in der Tragödie, die sich in Gaza abspielt, sterben?"
Der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warf er vor, sie habe angekündigt, Rüstung nach dem hervorragenden Vorbild der Impfstoffbeschaffung zu organisieren. Da könne man ja dann erwarten, dass sie hinterher die SMS mit dem Waffen-Geschäftsabschluss leider nicht mehr auffinden werde.
Sahra Wagenknecht: Ein Krankenhaus muss keine Gewinne machen, es muss Kranke heilen
Unter großem Beifall begrüßte die BSW-Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht die Kölner. Sie prangerte besonders den Sozialabbau in Deutschland an. Es sei unwürdig, dass die Hälfte der Menschen nach mehr als 40 Arbeitsjahren in Deutschland unter 1.100 Euro Rente bekämen und sich zum Überleben ihr Essen bei der Tafel holen müssten.
Gleichzeitig blamierten sich Politiker mehrerer Parteien, indem sie wie Lindner von der FDP forderten, die Rente mit 63 müsse weg, oder wie zuletzt ein SPD-Politiker, die Rente mit 63 müsse bleiben. Rente ohne Abschläge bekomme man in Deutschland nach 45 Arbeitsjahren erst ab dem Alter von 64 Jahren und 4 Monaten.
Genau wie bei der Riesterrente – wer dort eingezahlt habe, bekomme als Rentner davon rund 60 Euro im Monat – würden auch bei dem neuen Aktienrentenmodell nur die Banken profitieren. Es gehe bei diesen Modellen nicht um die Interessen der Rentner. Österreich habe ein gemeinsames Rentensystem für Beamte, Selbstständige und Angestellte – daher seien die Renten viel höher als bei uns. Dieses Modell sollte als Vorbild für Deutschland dienen.
Mittlerweile würden in Deutschland die Reallöhne mehr als in allen anderen Ländern sinken. Der Lohnzuwachs würde weit hinter der Inflation herhinken – es handele sich um eine kontinuierliche Enteignung der Fleißigen. Wagenknecht forderte: Der Mindestlohn müsse auf mindestens 14 Euro erhöht werden. Den diesbezüglichen BSW-Antrag hätten vor drei Wochen alle anderen Parteien im Bundestag abgelehnt – übrigens auch die AfD, fügte Wagenknecht hinzu. Heuchlerisch sei die Ampelkoalition, bei ihrer demokratischen Selbstbeweihräucherung:
"Die Ampelkoalition feiert sich als Verteidiger der Demokratie – wer hat denn dafür gesorgt, dass Rechte immer stärker werden?"
In diesem Land seien Bildung und soziale Aufstiegschancen inzwischen wieder vom Reichtum des Elternhauses abhängig. Bei der Bildung würde im Vergleich zu anderen Ländern und im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung hierzulande am meisten gespart. Und die Sparerei auf Kosten der Kinder würde uns hierzulande noch als Fortschritt und Digitalisierung verkauft:
"Wir brauchen nicht mehr Tablets, wir brauchen mehr Lehrer", so Wagenknecht.
Weil die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem der Logik des Profits ausgeliefert worden seien, sei in Deutschland sogar die Lebenserwartung niedriger als in anderen Ländern. In diesem System müssten die Klinikleiter fragen:
"Wie kann ich mit einem Kranken das meiste Geld verdienen? – nur deshalb gibt es in Deutschland die meisten Hüft- und Knie-OPs. Ein Krankenhaus muss keine Gewinne machen, es muss Kranke heilen!"
Schließlich äußerte sich Wagenknecht auch noch zur deutschen Kriegspolitik:
"Wozu brauchen wir die Kriegstüchtigkeit, die Pistorius uns nahe legt – und eine neue Wehrkunde an Schulen?"
Das Verbrechen vom 7. Oktober rechtfertige nicht das Töten der israelischen Regierung in Gaza: Das sei keine Selbstverteidigung Israels.
"Wir müssen alles dafür tun, dass die Kriege dieser Welt beendet und nicht munitioniert werden. Waffen vernichten Menschenleben in allen Kriegen dieser Welt."
Bis zum Schluss hörten die Menschen gebannt auf die Vorschläge von Sahra Wagenknecht für eine andere soziale Politik in Deutschland. Viele Besucher waren überrascht und beeindruckt, als die Parteivorsitzende im Anschluss an ihre Rede noch eine halbe Stunde von der Bühne runter auf den Chlodwigplatz kam, um mit den Menschen auch persönlich in Kontakt zu treten und zu sprechen.
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