Von Marinko Učur
Im März dieses Jahres wurde erstmals wieder die Möglichkeit angekündigt, erneut den Versuch einer Entschließung zum Vorwurf eines Völkermordes in Srebrenica zu unternehmen. Der frühere Versuch, eine solche Entschließung zu erreichen, wurde im Jahr 2015 durch das russische Veto im UN-Sicherheitsrat abgelehnt. Seitdem dauern die Streitigkeiten zwischen den Befürwortern und die Gegner eines solchen unverbindlichen Akts der Vereinten Nationen an.
Das offizielle Belgrad stufte diese neuerliche Kampagne als den aktuellen Versuch ein, die Aufmerksamkeit von den wichtigsten Themen der Welt abzulenken – von der Beteiligung des Westens an einem unerklärten Krieg gegen Russland auf und von ukrainischem Territorium sowie von den Verbrechen, denen palästinensische Zivilisten im Nahen Osten ausgesetzt sind.
Bereits im Jahre 2015 scheiterte der Versuch Großbritanniens, das unbestreitbar schwere Kriegsverbrechen aus der Zeit des blutigen Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien – als nämlich laut serbischen Quellen 4.000 muslimische Zivilisten und Soldaten in Srebrenica durch serbische Streitkräfte starben – als Völkermord zu behandeln. Gegen Großbritanniens Versuch, ein solches Dokument im Sicherheitsrat "durchzusetzen", legte der damalige russische UN-Botschafter Witali Tschurkin legte ein Veto der Russischen Föderation ein.
In gewisser Weise hatte das die Kreise im Westen vorübergehend "abgestumpft" und somit auch muslimisch-bosniakische Vereinigungen unzufrieden gestimmt, die auf eine neue Chance warteten.
Diese Chance tauchte kürzlich auf, als Deutschland und Ruanda als Sponsoren eine neue Entschließung mit ähnlichem Inhalt ankündigten, diesmal jedoch in der Generalversammlung der Weltorganisation als jenem Ort, an dem es keine Vetomöglichkeit gibt und an dem Entscheidungen durch eine einfache Mehrheit der anwesenden Mitgliedsländer erzielt werden können.
Zunächst schien es seltsam und sogar abstoßend, dass diese beiden Länder – Deutschland und Ruanda – die Initiatoren einer Entschließung zum Völkermord sind, wenn man ihre Vergangenheit und die zig Millionen Opfer berücksichtigt, die sowohl durch deutsche Nazis an Russen, Serben und Polen im Zweiten Weltkrieg als auch in Ruanda durch ethnische Huthis in den Kämpfen gegen den Tutsi-Stamm im Jahr 2010 begangen wurden, wobei fast eine Million Mitglieder des Tutsi-Stammes getötet wurden.
In Belgrad verstand man diese aus Sicht der Serben antiserbische Initiative Deutschlands und Ruandas als Art einer Bemühung, das schlechte Gewissen in Deutschland und Ruanda reinigen zu wollen. Somit war es für beide Länder noch nötig, eine größere Zahl von Ländern als Mitunterstützer einer solchen antiserbischen Entschließung zu finden. Berlin und Kigali alarmierten also gemeinsam jene Länder, die bereits früher solche Absichten bekundet hatten, darunter erwartungsgemäß die USA, Großbritannien und Frankreich.
Aber auch Serbien blieb nicht untätig, und Präsident Aleksandar Vučić beteiligte sich persönlich an der Kampagne zum Werben traditioneller serbischer Freunde. Die serbische Diplomatie erhielt Zusicherungen aus Moskau, Peking und Budapest, dass eine solche Entschließung nicht unterstützt werden würde – unabhängig vom Ausgang der Abstimmung.
In Belgrad ist man der Meinung, dass Serbien wegen der Verabschiedung eine solchen Entschließung zu Srebrenica auch die Verabschiedung einer Entschließung zu den Verbrechen an Serben durch die deutschen Nazis im Zweiten Weltkrieg sowie durch die kroatische Ustascha im KZ Jasenovac fordern wird, wo die Marionetten des von den Nazis geschaffenen "Unabhängigen Staates Kroatien" 700.000 überwiegend serbische Zivilisten brutal töteten.
Vučić sagte, Serbien werde sich für die Wahrheit einsetzen und wies darauf hin, dass diejenigen, die eine keineswegs zum Frieden und zur Versöhnung auf dem Balkan beitragende Entschließung befürworten, nicht mit der erhofften Einstimmigkeit rechnen könnten:
"Machen Sie es mit Gewalt, wie Sie es immer mit Gewalt getan haben, aber dieses Mal werden Sie mit der Tatsache konfrontiert, dass es nicht einstimmig sein wird. Und bisher war es jedes Mal einstimmig. Russische Freunde teilen uns mit: Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet. Jedes Jahr werden Sie Resolutionsvorschläge zum Völkermord am sowjetischen Volk haben. Wie wollen Sie erklären, dass es kein Völkermord ist, wenn Sie mehr als 20 Millionen Sowjetbürger getötet haben?"
Vučić erwähnte auch die Türkei und das verursachte Leid der Armenier sowie die Möglichkeit, einige andere historische Probleme aufzuwerfen, beispielsweise die Tötung der indianischen Ureinwohner der USA. Das sind Fragen, die die Unterstützer und Mitunterstützer der Entschließung nicht sehen oder nicht sehen wollen. Selbst wenn sie sie sehen, ist es schwer zu behaupten, dass die 7.000 Opfer von Srebrenica (nach muslimischen Quellen) mehr als die 700.000 Serben unter den Nazis, eine Million Tutsis oder gar 28 Millionen sowjetische Opfer sind.
Wie sich die Dinge in Zukunft entwickeln könnten, wird durch die diplomatische Note bestätigt, die das Außenministerium Russlands kürzlich an das deutsche Außenministerium geschickt hatte und in der es darum bittet, die Belagerung Leningrads (des heutigen Sankt Petersburgs) durch Nazi-Truppen während des Zweiten Weltkriegs als Völkermord und nicht nur als Kriegsverbrechen anzuerkennen. Laut deutschen Medien besteht "Russland auf der offiziellen Anerkennung solcher Verbrechen des Dritten Reiches als Völkermord".
Es ist klar, dass das vorgeschlagene Dokument, die Entschließung über einen Völkermord in Srebrenica, nach 30 Jahren alte Wunden wieder aufreißen und zusätzliche Spannungen in der Region sowie Spaltungen unter den UN-Mitgliedern verursachen wird. Aus diesem Grund forderte die Ständige Vertretung Serbiens bei den Vereinten Nationen die Rücknahme dieser Resolution. Die Befürworter behaupten jedoch, das Ziel der Entschließung bestehe nicht darin zu spalten, sondern zu vereinen (?!), um ein starkes Signal gegen das Leugnen von Völkermord zu senden. Allerdings ist eine unterschiedliche Meinung zu einer solchen nicht bindenden Entschließung mit dennoch großem politischem Gewicht stets auch mit einer unterschiedlichen Einschätzungen zu den möglichen Folgen eines solchen Dokuments verbunden.
Der israelische Historiker Gideon Greif, eine weltweite Autorität auf dem Gebiet der Kriegsverbrechen und des Holocaust, behauptet:
"Indem wir einen Präzedenzfall schaffen, in dem ganze Nationen diffamiert und als Genozid-Volk bezeichnet werden, riskieren wir, historische Tragödien weiter zu politisieren und Spaltungen und Feindseligkeiten aufrechtzuerhalten. Dies könnte die Bemühungen um Versöhnung und Friedenskonsolidierung nicht nur in der Balkanregion, sondern auch in anderen Regionen, die mit dem Erbe vergangener Konflikte zu kämpfen haben, untergraben."
Belgrad und Banja Luka behaupten, dass die Verabschiedung der beabsichtigten Entschließung auch einen Verstoß gegen das Abkommen von Dayton darstellen würde, da es keine Einigung aller drei konstitutiven Völker von Bosnien und Herzegowina gibt, und sie könnte definitiv "das durch Dayton geschaffene Bosnien und Herzegowina begraben".
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