In einem Vortrag am St. Antony’s College in London kam EU-Außenbeauftragter Josep Borrell zu einer ungewöhnlich realistischen Einschätzung.
"Das internationale System, an das wir uns nach dem kalten Krieg gewöhnt hatten, existiert nicht mehr. Amerika hat seinen Status als Hegemon verloren, und die multilaterale Ordnung nach 1945 verliert an Boden."
Natürlich wiederholte er auch einige der üblichen Motive, dass Russland eine existenzielle Bedrohung für die EU ist, beispielsweise, und es für Europa gefährlich sei, wenn Russland eine starke Position auf dem weltweiten Getreidemarkt habe. Und dass man die Ukraine weiter unterstützen müsse. Aber an einigen Stellen gibt er zu erkennen, dass die Welt schlicht nicht so ist, wie er sie gerne sehe:
"China ist zum Status einer Supermacht aufgestiegen. Mittelmächte – Indien, Brasilien, Südafrika, Saudi-Arabien – treten als wichtige Akteure auf der Weltbühne hervor. Als Europa wollten wir einen Ring aus Freunden bauen und sind von einem Ring aus Feuer umgeben, vom Sahel zum Nahen Osten, Kaukasus, Ukraine."
Aufmerksame Leser erkennen sofort, dass hier eine Liste von BRICS-Mitgliedsländern steht. Und dass der "Ring aus Feuer" womöglich das Ergebnis einer falschen Politik ist, und dass an einigen Punkten mitnichten Einigkeit in der EU besteht, deutet Borrell ebenfalls an:
"Es wird so wahrgenommen, dass uns die Leben in der Ukraine wichtiger sind als die im Gazastreifen, und das es uns weniger interessiert, wenn Israel Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verletzt."
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