Von Sergei Sawtschuk
Das Atomkraftwerk Saporoschje wird eines Tages in die militärischen Annalen der russischen Energiewirtschaft eingehen, so seltsam das auch klingen mag. Das Objekt ist schon deshalb einzigartig, weil dort, wie in jenem Universum des berühmten Computerspiels "S.T.A.L.K.E.R.", alle Ausländer in eine Art Anomalie fallen, die ihnen das Sehen, Hören und Denken vernebelt.
Die Vereinten Nationen haben mitgeteilt, dass am 11. April eine Sitzung des Rates der Sonderorganisation für Atomenergie stattfinden wird. Bemerkenswert ist, dass die Sitzung fast gleichzeitig von zwei Seiten einberufen wurde, zuerst von Moskau und nur wenige Stunden später auch von Kiew. Sie steht im Zusammenhang mit einem weiteren Angriff auf das Atomkraftwerk Saporoschje, der in mehreren Wellen erfolgte. Angriffsdrohnen griffen zuerst den fünften und sechsten Kraftwerksblock an, und in der zweiten Welle wurden der Schulungskomplex, die Kantine und Gebäude im Bereich des Frachthafens getroffen. Infolgedessen wurden drei Rosatom-Mitarbeiter (jenes Unternehmens, das die Erhaltung des Kraftwerks sichert) verletzt.
Russlands Außenministerium bezeichnete die Geschehnisse völlig zu Recht als terroristischen Akt und nannte die Ukraine als Organisator und die Vereinigten Staaten von Amerika zusammen mit deren treuen Vasallen als ideologische und finanzielle Sponsoren dieser Angriffe. Für die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) ist das ein weiterer Schlag ins Gesicht.
Das russische Außenministerium erinnerte daran, dass Moskau den Vertretern der Mission ausdrücklich erlaubt hatte, sich dauerhaft in der Anlage aufzuhalten, um erstens alle Unterstellungen über einen unsachgemäßen Betrieb des Atomkraftwerks zu unterbinden, der angeblich zu einer Art "zweitem Tschernobyl" führen könne, wie es die Kiewer Propaganda so gerne selbstlos erfindet. Und zweitens, damit die Mitarbeiter von Rafael Grossi vor Ort eindeutig auf den Organisator der Terroranschläge hinweisen können. Leider verhalten sich die regelmäßig wechselnden Teams der IAEA am Atomkraftwerk Saporoschje so, als ob dort eine Gehirnwäsche wie beim berüchtigten "S.T.A.L.K.E.R." am Werk wäre: Sie sehen und hören einfach: nichts.
Wenn man nun die Emotionen beiseitelässt und die Situation umfassend bewertet, dann ist sie viel komplizierter und gefährlicher, als es auf den ersten Blick scheint.
Das Atomkraftwerk Saporoschje wird mit bedauerlicher Regelmäßigkeit angegriffen.
Im Juli letzten Jahres veröffentlichte die ukrainische Hauptdirektion der Nachrichtendienste des Verteidigungsministeriums ein Schema, wonach angeblich russische Truppen das Atomkraftwerk vermint hätten. Die IAEA hielt sich lange Zeit bedeckt und machte sich erst im September die Mühe, eine Erklärung abzugeben, dass all dies völliger Unsinn sei und dass es keinerlei Sprengstoff in der Anlage gebe. Einen Monat später jedoch – nach ihrer Zustimmung für eine Resolution Kanadas und Frankreichs – forderte dieselbe IAEA Russland auf, das Atomkraftwerk unverzüglich der vollständigen Kontrolle durch die Ukraine zu übergeben. In Moskau wurde das natürlich ignoriert, und so wiederholte diese Agentur die Forderung am 8. März dieses Jahres – mit demselben Ergebnis.
Bereits am 22. März wurde das Kraftwerk erneut angegriffen, was zur Abschaltung der 750-Kilovolt-Hochspannungtrasse der Dnjepr-Freileitungskreuzung Energodar führte. Die IAEA schwieg wie üblich, wohingegen der ukrainische Energieminister German Galuschtschenko seine große Freude über den Vorfall zum Ausdruck brachte. Am 5. April erklärte Rafael Grossi, dass die 330-Kilovolt-Notstromleitung für das Atomkraftwerks ausgefallen sei, ohne zwar die Gründe zu nennen, vergaß jedoch nicht, darauf hinzuweisen, dass das Kraftwerk in Gefahr sei und weiterhin Risiken für die nukleare Sicherheit bestünden.
Kurzum, die Neutralität und Unparteilichkeit, derer sich die Internationale Atomenergie-Organisation so gerne rühmt, spiegelt sich höchstens in der Tatsache wider, dass die IAEA bisher noch nicht Russland für die Angriffe auf das Atomkraftwerk verantwortlich gemacht hat. Ansonsten folgt die Organisation klar dem Mainstream der proukrainischen Politik des Westens.
Die Reaktion der Vereinigten Staaten auf die Angriffe ist äußerst aufschlussreich. Im Weißen Haus schickte man umgehend den Leiter des Pressedienstes des Außenministeriums Matthew Miller vor die Mikrofone. Er erklärte, die Vereinigten Staaten wüssten von den Angriffen und würden Moskau auffordern, diese Tatsache nicht als Vorwand für eine Eskalation der Lage in der Ukraine zu nutzen. Einen Tag zuvor hatte der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin Kiew aufgefordert, die Angriffe auf Ölraffinerien tief innerhalb des russischen Staatsgebiets einzustellen, da diese Angriffe eine Bedrohung für den globalen Energiemarkt darstellen würden.
Lassen Sie sich nicht von der Tatsache verwirren, dass der US-Militärchef das Thema der globalen Energie anspricht. Im Ukraine-Konflikt ist alles sehr subtil und sehr eng verzahnt.
Die Vereinigten Staaten, die bereits 74 Milliarden US-Dollar in Form von Waffen und Ausbildern in die ukrainische Militärkrise gepumpt haben, wussten zumindest von der Vorbereitung der drohenden Terrorakte. Die Angriffe auf russische Raffinerien sind real nicht in der Lage, Russland und seine Wirtschaft in Bezug auf Treibstoff ausbluten zu lassen, einfach aufgrund des Verhältnisses zwischen der Menge der produzierten primären Erdölprodukte und dem Umfang des Inlandsverbrauchs und der Exporte. Sie könnten jedoch problemlos die internationalen Märkte beunruhigen und zu einem reflexartigen Ansteigen des Preises pro Barrel führen, was in Washington, D.C. im Vorfeld der Wahlen höchst unerwünscht ist.
Beim Atomkraftwerk Saporoschje sind die Dinge jedoch noch komplizierter.
Unlängst sprach der bereits erwähnte Lloyd Austin vor dem Unterhaus des US-Kongresses, wo erwogen wird, weitere 60 Milliarden US-Dollar für die Ukraine bereitzustellen. Auf die direkte Frage der Senatoren Eric Schmitt und Tommy Tuberville, ob die Ukraine gewinnen könne, gab der US-Verteidigungsminister eine äußerst ausweichende Antwort, er sagte nämlich: Kiew kann erfolgreich sein, und die Hauptaufgabe besteht darin, seine Widerstandsfähigkeit gegen die "russische Aggression" aufrechtzuerhalten. Aus der Sprache der Diplomatie ins Normale übersetzt heißt das, dass man in Washington nicht mehr an den Sieg der ukrainischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld glaubt, sondern lediglich die heiße Phase des Konflikts noch so weit wie möglich verlängern möchte.
Und damit kommen wir zum Kern der Angelegenheit:
Kiew erhält weiterhin Militärhilfe im Rahmen der bestehenden Vereinbarungen, während bei den europäischen Gebern zunehmend Ernüchterung, Ermüdung und der Wunsch nach einer Ausgabenbegrenzung zu beobachten sind. Daneben werden die Ukrainer seit Dezember letzten Jahres mit Erzählungen über neue 60 Milliarden US-Dollar aus den Vereinigten Staaten beschwichtigt, von denen jedoch nichts zu sehen ist. Gleichzeitig erleidet die Ukraine nach Anzeichen von außen kolossale menschliche Verluste, wie das von Wladimir Selenskij unterzeichnete Gesetz über die Mobilisierung beweist. Es enthält keine Klausel über die Entlassung in die Reserve, und die konsularischen Vertretungen der Ukraine im Ausland werden nun offiziell keine Ukrainer zwischen 18 und 60 Jahren mehr unterstützen, die keinen Militärausweis besitzen. Es ist nicht verwunderlich, dass man einen solchen Ausweis nur in den territorialen Einsatzzentren innerhalb der Ukraine erhalten kann, die schon lange einen denkbar schlechten Ruf als Menschenfänger für die Entsendung an die Front berüchtigt sind.
In dieser Situation ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass man sich in Kiew, buchstäblich ausblutend und der weiteren Aussichten bewusst, zunehmend der direkten Kontrolle Washingtons und Londons entziehen möchte. Dort greift man zunehmend auf Methoden des Terrors zurück und beschränkt sich darauf, seine Verbündeten nur noch zu informieren, aber nicht mehr die eigenen Aktionen mit ihnen zu koordinieren. Darin liegt die Hauptgefahr. Eine in die Enge getriebene Ratte ist zu allem fähig.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst bei RIA Nowosti erschienen am 11. April 2024.
Sergei Sawtschuk ist ein russischer Kolumnist und Blogger.
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