Dass Wähler sich aufgrund rationaler Überlegungen für einen anderen Kandidaten aussprechen als für den, den man sich in Brüssel und Berlin wünscht, kann man sich dort nicht vorstellen. Zur Begründung, warum die Wähler in der Slowakei sich gegen Brüssels Lieblingskandidaten entschieden haben, werden Verschwörungserzählungen herangezogen. Putin und die russische Propaganda ist schuld. Eine andere, rationalere Erklärung ist jedoch wahrscheinlicher.
Am vergangenen Samstag gab es eine Stichwahl in der Slowakei. Im Rennen um das Präsidentenamt konnte sich der nach EU-Auffassung "russlandfreundliche" Peter Pellegrini durchsetzen. Die Tagesschau hatte schnell ein einordnendes Prädikat zur Hand: Pellegrini sei "Populist". Sie macht damit auf ein Qualitätsproblem des deutschen Journalismus aufmerksam. Dort wird immer dann offen diskriminiert, wenn ein Politiker an die Macht kommt, der programmatisch vom in Deutschland etablierten Narrativ abweicht. So auch hier. Auch Brüssel behauptete, Pellegrini verdanke seine Wahl russischer Desinformation.
Der Blog des unabhängigen Journalisten Eric Bonse, Lost in Europe, rückt diese simplifizierende und wenig differenzierende Einordnung zurecht.
Pellegrini sei nicht nur schlicht der beliebteste Politiker, sondern stehe auch für Frieden statt für Konfrontation, schreibt der Blog unter Berufung auf die London School of Economics. Pellegrini lehnt wie der Ministerpräsident der Slowakei, Robert Fico, Waffenlieferungen an die Ukraine ab und plädiert für Verhandlungen.
Wahlhilfe bekam Pellegrini daher nicht von Putin, sondern vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der habe mit seinen Aussagen über eine mögliche Entsendung von französischen Truppen in die Ukraine schlicht die Angst der Slowaken vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs geschürt.
"Das hat mit russischer 'Desinformation' nichts, mit französischer Kriegsrhetorik jedoch sehr viel zu tun. Wenn diese Analyse stimmt, dann ist nicht Putin am Sieg Pellegrinis 'schuld', sondern Macron!", schreibt Bonse.
Die plumpe Einteilung in Russland- oder EU-freundlich wird der komplexen Gemengelage nicht gerecht und reicht zu einer Einordnung der Wahlergebnisse in der Slowakei nicht aus, weist Bonse nach.
Und das, was für die Slowakei gilt, gilt selbstverständlich auch für andere Länder. Die unterkomplexen Erklärungen des deutschen Mainstreams und von Politikern der EU sind nicht nur unangemessen, sie sind schädlich. Denn sie verhindern eine umfassende und detaillierte Analyse und eine Anpassung der eigenen Politik an die gegebenen Verhältnisse.
Wer meint, die Wahl eines Kandidaten sei ausschließlich auf seine "Russlandfreundlichkeit" und auf russische Desinformation zurückzuführen, überdenkt nicht die eigene Politik, sondern greift zum Mittel der Zensur, um weitere "Desinformation" zu unterbinden. Damit ist ein grundlegendes Problem der EU wohl treffend zusammengefasst.
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