Von Alexej Danckwardt
Die unter staatlichem Verfolgungsdruck stehende Ukrainisch-Orthodoxe Kirche musste am Mittwoch einen Rückschlag in ihrem Bemühen, ihre Zerschlagung auf gerichtlichem Wege abzuwenden, hinnehmen. Das Oberste Gericht der Ukraine wies eine Klage von Gläubigen ab, die sich gegen die Übereignung von Gotteshäusern an die 2019 gegründete ukrainische Nationalkirche "Orthodoxe Kirche der Ukraine" wehrten.
Im konkreten Fall ging es um die Pokrow-Kirche im Dorf Kalinowka im Gebiet Schitomir. Das bis dahin der traditionellen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche gehörende Gotteshaus wurde 2019 an die Anhänger der "Orthodoxen Kirche der Ukraine" übertragen, kurz nachdem Letztere auf Betreiben des damaligen Präsidenten Poroschenko gegründet worden war.
Nach geltendem ukrainischen Recht können Angehörige der Gemeinde über die Zugehörigkeit eines Kirchengebäudes zu einer bestimmten Konfession entscheiden. Das Gesetz ist jedoch so unklar formuliert, dass es sowohl die Interpretation zulässt, dass es sich um eine Entscheidung der Kirchengemeinde handle, als auch diejenige, dass die Dorfgemeinschaft, unabhängig vom Glauben, entscheidet. Diese Unklarheit machten sich Machthaber in vielen Ortschaften zunutze, um der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche ihre Kirchenbauten zu entreißen.
Auch in Kalinowka verlief die Abstimmung nach diesem Schema: Die Territorialgemeinde versammelte sich, stimmte entgegen den Bestimmungen der Gemeindesatzung ab, dann wurde das Gotteshaus gewaltsam an die "Orthodoxe Kirche der Ukraine" übertragen. Die Kirchengemeinde selbst stimmte für den Verbleib in der kanonischen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. In der Versammlung der Territorialgemeinde stimmten Personen ab, die anderen Konfessionen angehörten oder gar keine Kirchengänger waren.
Das Verfahren entspricht in seiner Absurdität in etwa dem, dass sich katholische Einwohner eines oberbayrischen Dorfes versammeln und über den Konfessionswechsel des Gotteshauses der evangelischen Minderheit abstimmen würden. Oder dass sich die Atheisten in einer ostdeutschen Stadt versammeln und die Übertragung einer Russisch-Orthodoxen Kirche an die Griechisch-Orthodoxe beschließen würden.
Die Gerichte der ersten und der Berufungsinstanz weigerten sich auch, dem Antrag auf Übertragung des Gebäudes an die neu gegründete Nationalkirche stattzugeben. Der Fall ging an die Große Kammer des Obersten Gerichtshofs, das den Konfessionswechsel des Gotteshauses abnickte.
Die nationalistische Ukrainska Prawda zitiert den triumphierenden Anwalt der Nationalkirche:
"Generell kann die Bedeutung dieser Entscheidung für den laufenden Prozess des Übergangs der Religionsgemeinschaften der Ukraine von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats zur Orthodoxen Kirche der Ukraine ab 2019 kaum überschätzt werden, denn sie wird zu einem Präzedenzfall für alle anderen ähnlichen Streitfälle werden und den Religionsgemeinschaften, die noch zögern, eine Entscheidung zum Austritt aus der UOK-MP zu treffen, Vertrauen in die Rechtmäßigkeit eines solchen Übergangs geben."
Miroslawa Berdnik kommentiert die Entscheidung so:
"Was bedeutet das? Es bedeutet, dass Europa eine solche Gesetzlosigkeit als im Einklang mit den europäischen Rechtsnormen stehend betrachtet. Was wird geschehen? Die verfolgten Kirchengemeinschaften werden sich in die Katakomben zurückziehen, werden sich in geheimen Unterkünften oder in Privathäusern sammeln. Die Dorfkirchen werden sich leeren. Die Anhänger der 'Orthodoxen Kirche der Ukraine' werden beginnen, die Gemeinschaften, die sich in die Katakomben zurückgezogen haben, zu verfolgen, indem sie Schlägereien und Pogrome organisieren, wie es kürzlich in Ladyschin geschehen ist."
Seit dem Sieg des nationalistischen Maidan im Februar 2014 steht die kanonische Ukrainisch-Orthodoxe Kirche wegen ihrer traditionellen, wenn auch in letzter Zeit eher symbolischen Zugehörigkeit zum Moskauer Patriarchat (die UOK ist seit 1990 mit weitgehender Selbstverwaltung ausgestattet) unter massivem Druck. Zwei Abspaltungen wurden von den neuen Machthabern seitdem unverhohlen bevorzugt und mit staatlichen Mitteln bedacht, etwa im Rahmen der Einführung der Militärkapläne. Ungehindert, zum Teil sogar mit staatlicher Unterstützung, ergreifen Anhänger der Abspaltungen unter Einsatz von Gewalt Besitz von Kirchen und verdrängen die traditionellen Gemeinden.
Ende 2018 wurden die Abspaltungen unter der Schirmherrschaft des damaligen Präsidenten Poroschenko zur offiziellen "Orthodoxen Kirche der Ukraine" vereinigt, die 2019 von dem Patriarchen von Konstantinopel als "unabhängig" anerkannt wurde. In der orthodoxen Weltkirche ist dieser Akt umstritten und wird teilweise als ein nicht kanonischer Eingriff in den Hoheitsbereich des Moskauer Patriarchen verurteilt. Nur vier der 15 orthodoxen Weltkirchen haben die "Orthodoxe Kirche der Ukraine" anerkannt. Unter ukrainischen Gläubigen hat die Neugründung bislang nur beschränkte Anerkennung.
Seit 2018 gibt es wiederholt Bestrebungen und politische Initiativen, die Klöster der Ukraine an die neu gegründete Nationalkirche zu übertragen. Wladimir Selenskij, der sich in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit sichtbar aus dem konfessionellen Konflikt heraushielt, hat sich nach Beginn der russischen militärischen Intervention im Februar 2022 offen dazu bekannt, die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche vernichten zu wollen.
Inzwischen wurde die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche aus ihrem traditionellen Sitz im Kiewer Höhlenkloster vertrieben. Gegen den Abt des Klosters läuft seit einem Jahr ein Strafverfahren. Zahlreiche andere Geistliche wurden wegen ihrer Predigten verhaftet. Im ukrainischen Parlament befindet sich ein Gesetz im Gesetzgebungsverfahren, das ein faktisches Verbot der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche bewirken wird.
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